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Wachstumsbranche Arbeitslose

Die Arbeitslosenzahl stieg im November überraschend deutlich. 43.000 Jugendliche suchen noch eine Lehrstelle. Regierung, Gewerkschaften und die Union nähern sich bei den Hartz-Gesetzen an. Leiharbeiter verdienen ein bisschen besser als gedacht

von HEIDE OESTREICH

Seit zwei Wochen hat Arbeitsminister Wolfgang Clement die Strategie bei der Propagierung seiner arbeitsmarktpolitischen Vorhaben gewechselt: von öffentlicher Auseinandersetzung zu stiller Einzelbetreuung der oppositionellen Länderchefs. Und siehe da, der hessische Ministerpräsident Roland Koch antwortete seinerseits mit einem Zugeständnis: Für den heutigen Vermittlungsausschuss kündigte er an, die Unionsländer würden „auf keinen Fall eine Blockade im Bundesrat machen“.

Bei den zustimmungspflichtigen Hartz-Reformen meldete er nur noch geringfügige Änderungswünsche an. Dazu gehört die Abschaffung des Brückengeldes für ältere Arbeitslose und eine höhere Steuerentlastung für Arbeitgeber von Minijobs. Offenbar entschieden seine Wahlkampfdesigner, dass eine Prise Konzilianz des Hardliners Koch sich beim hessischen Wahlvolk besser macht als Komplettblockade. Am 2. Februar 2003 sind Landtagswahlen in Hessen.

Die Arbeitsmarktdaten für November sprechen tatsächlich dafür, sich schnell auf Reformen zu einigen. Gestern gab Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA), bekannt, dass die Zahl der Arbeitslosen überraschend deutlich auf 4.025.800 stieg und damit binnen einem Monat um 96.100 zugenommen hat. Im Vergleich zum letzten Jahr bedeutet dies, dass weitere 236.900 Menschen keinen Job finden konnten. Die Arbeitslosenquote stieg auf 9,7 Prozent.

Zudem zählten die Arbeitsämter 43.000 jugendliche Bewerber ohne Lehrstelle, im November vergangenen Jahres waren es nur 5.500. Die Bundesregierung, so hieß es gestern, erwäge deshalb, das „Ausbildungsprogramm Ost“ aufzustocken.

Und sie macht beim Hartz-Gesetz Dampf: Am Dienstagabend traf sich Kanzler Gerhard Schröder mit dem SPD-Gewerkschaftsrat. Anschließend hoffte DGB-Chef Michael Sommer, dass man bis zum Frühjahr erste Tarifverträge für die Leiharbeitsbranche abgeschlossen habe.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat derweil Daten zutage gefördert, die den schlechten Ruf der Leiharbeit zumindest ein wenig aufhellen: Nur in den seltensten Fällen werde 30 Prozent weniger Lohn gezahlt als an die Festangestellten, obwohl dies die Arbeitgeber immer wieder gern behaupten. Tatsächlich seien es im Schnitt nur 10 bis 15 Prozent, die die Leiharbeiter weniger erhalten würden. Und noch eine gute Nachricht des DIW: Wer – mit oder ohne Lohnabschläge – eine Weile lang bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist, landet nicht langfristig in schlechter bezahlten Jobs. Im Gegenteil: Wenn Zeitarbeiter eine erneute Festanstellung finden, können sie ihren Lohn sogar leicht erhöhen im Vergleich zum letzten festen Job.

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