: Der kleine Horror von Großgmain
von CORDULA FLEGEL (Text und Fotos)
Bei Einbruch der Dunkelheit rüstet sich die Horde junger Männer in dem kleinen Ort bei Salzburg mit Masken und Fellen. „Großgmainer Krampusse, e. V. zum Erhalt wertvollen Brauchtums“ steht auf den zwei bereitstehenden Treckeranhängern. Der Nikolaus geht an diesem 5. Dezember 2001 in Großgmain auf Hausbesuch. Mit ihm zieht, halb Mensch, halb Tier, der Krampus.
„Wir sind – genau genommen – 26 Krampusse, fünf Knechte und zwei Nikoläuse“, sagt Guido Schratzer, von Beruf Computerfachmann. Alex Hiess, Bankangestellter, trägt Bischofsmütze und Stab des heiligen Nikolaus und tut so, als hörten die wilden Kerle auf sein Kommando. Mike Lenz lässt sich schwere Stahlkugeln auf den Rücken schnüren. Bis zu 5.000 Euro investiert ein Krampusläufer in die Larve aus der handgeschnitzten Maske, dem Ziegenfell und den Schellen. Mike Lenz – 22 Jahre alt, die anderen nennen ihn Lenzei – wirkt ohne Maske fast schüchtern, dabei ist er einer der heftigen der Passe – so heißt eine Krampus-Gruppe. Im wirklichen Leben trägt Lenz Zeitungen aus. Die Wagen haben sich in Bewegung gesetzt. Drinnen riecht es nach Ziegenfell, Schweiß, geleerten Stieglbräuflaschen und Kippen. Einige Hausbesuche sind absolviert. Verstörte Kinder sind schellenrasselnd und rutenschwingend daran erinnert worden, nicht auf Socken rumzurennen oder die Schwestern seltener zu ärgern. Fast erwachsene Brüder werden gemahnt: „Ihr fahrts besser nicht jedes Jahr euer Auto zu Schrott.“ Alex Hiess verkündet mit sonorer Stimme, dass dem Krampus auch im kommenden Jahr keine noch so unbedeutende Sünde entgeht. Erleichterte, belustigte oder sentimentale Väter kramen Geldscheine aus ihrem Janker und schenken Marillenschnaps aus.
Der Krampus ist Teil der österreichischen Kindheit. Der Name entstammt dem mittelhochdeutschen Wort Kramp, das bedeutet Kralle. Sein Auftritt bildet einen Rest an katholisch-heidnischem Abenteuer, der den freizeitlichen Errungenschaften der Neuzeit nicht nur trotzt, sondern sie sich einverleibt. Begründet in der spätmittelalterlichen Vorstellung vom Teufel, wird die Figur des Krampus heute von Horrorfilmen und Halloween inspiriert.
Seit Mitte der 80er-Jahre haben die Passen regen Zulauf. Während der Verein Salzburger Volkskultur über atavistische Sehnsüchte, Jugendvergnügung und touristisches Spektakel referiert, sorgen sich die Salzburger Nachrichten nur um die Verwechslung mit den Schiachperchten, den schlechten Perchten der Frau Berchte, die als Herrscherin über Leben und Tod am Vorabend des Dreikönigstages erscheint. Pädagogen attestieren beiden Bräuchen eine Ritualisierung von Gewalt. Ungerührt von diesen Diskussionen präsentieren viele hundert Passen das begütigende Wesen des Nikolaus und das böse eines grausam heldenhaften Krampus.
Seit dem 16. Jahrhundert hat sich dieser Brauch in den österreichischen Alpen stetig entwickelt. Eben dort, so erklärt es der Soziologe Roland Girtler, wo man noch weiß, was gut und böse ist. Ein Nikolaus ohne Krampus, wie ihn die reformierten Norddeutschen durch ihre Kaufhäuser schicken, wäre für Girtler langweilig. „Der Krampus ist kein Feind des Menschen, er ist vielmehr jemand, der unter Obhut des Nikolaus den Menschen einen Schrecken einjagt, um sie anzuhalten, den guten Weg zu suchen.“
Auf der Hauptstraße von Großgmain haben sich inzwischen hunderte Schaulustige um die Wallfahrtskirche herum versammelt. Enthemmt rasen die Krampusse mit ihren Ruten in die Menge. Kreischende Mädchen werden auf den nasskalten Asphalt geworfen, niemand hilft. Zum Mythos gehört eine starke sexuelle Anziehungskraft des Krampus. Postkarten, bis in die 50er- und 60er-Jahre zur Weihnachtszeit verschickt, zeigen den lechzenden Krampus mit einer Maid im Arm: „Wer sich beim Küssen spröd benimmt, der Krampus kommt und lehrt’s geschwind.“
Ein Trommeln. Der Teufel erscheint auf einem Fünfzack, dem Trudenstern, von einigen Krampussen getragen. Noch bevor die Jugendlichen zum Abtanz in den Postgasthof strömen können, verliest Alex Hiess stolz, wie viel Mitglieder die Großgmainer Passe hat. Auch die Heranwachsenden sollen irgendwann dem Brauchtumsverein beitreten. Um es sich und den anderen einmal im Jahr richtig zu zeigen.
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