Eine Chance zum Streit

Betr.: „Mäurer untragbar?“, taz bremen vom 3.12.2002

Leider ist es in der heutigen Mediengesellschaft zu einem effektiven Mittel geworden, dem Kontrahenten die Worte im Mund zu verdrehen und ihm etwas zu unterstellen, was nie gesagt und gemeint wurde. Schon hat man einen Bösewicht, auf den man trefflich einschlagen kann. Für die politische Streitkultur ist das tödlich, weil es um die Sache selbst gar nicht mehr geht. Bedauerlich, dass auch Richter zu diesem Mittel greifen, statt den Mäurer-Kommentar als Einladung und Chance zum Streit in der Sache zu verstehen und anzunehmen.

Ulrich Mäurer hat mitnichten die jetzige Richterschaft in eine Linie mit Wegbereitern des NS-Regimes gestellt oder sie gar mit der republikfeindlichen Richterschaft der Weimarer Zeit verglichen. Ganz im Gegenteil. Er hat dargestellt, welche Konsequenzen aus seiner Sicht aus dem Faschismus gezogen wurden und verteidigt diese. Er verteidigt also eine Politik, die eine demokratische Richterschaft zum Ziel hatte und hat und attestiert der bestehenden Richterschaft damit, eben nicht mit Nazi-Richtern vergleichbar zu sein.

Über seine Thesen kann und muss gestritten werden. Eine starke Rolle der Exekutive ist kein Garant für eine republiktreue Richterschaft. Schließlich wurde nach 1945 der Fehler von 1919 wiederholt, der Eid auf den Führer war kein Hinderungsgrund, die meisten Nazi-Richter amtierten weiter. Und es fragt sich, ob in einer gefestigten Demokratie nicht mehr Mitwirkung der Richterschaft erforderlich ist.

Andererseits glaube ich nicht, dass die von einigen angestrebte weitgehende personelle Selbstverwaltung der Justiz sinnvoll ist. Eine Richterkaste, die sich selbst reproduziert, wird kaum zum Repräsentanten und Spiegelbild der Gesellschaft werden können. Könnten die Richter z. B. über Beförderungen selbst entscheiden, wäre der Kollege Neskovic, der die Rechtsprechung zum Drogenstrafrecht revolutioniert hat, jetzt nicht zum BGH gekommen.

Erforderlich scheint mir, dass Richterschaft, Legislative und Exekutive gleichberechtigt an der Ernennung und Beförderung von Richtern beteiligt werden und dass mehr Transparenz hergestellt wird. Wir Richter sollen schließlich über die Einhaltung der Gesetze einer offenen und pluralistischen Gesellschaft wachen, diese hat daher Anspruch darauf, dass nachvollziehbar ist, nach welchen Kriterien wir ernannt und befördert werden. Diese wichtige Debatte sollte aber in der Sache geführt werden. Unterstellungen und Rücktrittsforderungen sind der falsche Weg.

Adolf Claussen, Richter am Arbeitsgericht Bremen