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Mit fremden Zungen geschmückt

Wenn sich die Gedanken so geschmeidig in Zeilen verweben, dass die Metaphern eifersüchtig werden: In New Yorks Longacre Theatre hat derzeit die aktuelle Creme der „Spoken Poetry“-Szene das Wort. Mit dem „Def Poetry Jam“ probt der Broadway den Brückenschlag zu einem jüngeren Publikum

Ich will, dass ein Mädchen mein Fotoin der Zeitung sieht und sagt: „Ich kann das auch“

von SUSANNE BURG

„Ich will ein Gedicht hören, in dem Gedanken so innig Similes küssen, dass Metaphern eifersüchtig werden“, ruft Lemon in den Saal. Lemon ist einer der neun Dichter, die auf der Bühne des Longacre Theatre in New Yorks 48. Straße geschmeidig Zeilen ineinander verweben. Sie wolle mal ein Gedicht über einen jamaikanischen Rastamann hören, der noch nie Gras geraucht habe, verkündet Staceyann Chinn, selber Jamaikanerin. „I want all poems to be about me“, fügt Beau Sia, ein US-Koreaner, hinzu. Das Publikum am Broadway johlt.

Kein riesiges Ensemble, keine Lightshow. Es ist allein das Wort, das derzeit beim „Def Poetry Jam“ auf dem Broadway lebt. Und doch erklärte die New York Times geradezu überschwänglich, die Energie auf der Bühne sei so groß, dass sie die Stadt im Sommer hundert Jahre lang mit Strom für Klimaanlagen versorgen könne. Weil alterndes Publikum zwar treu ist und regelmäßig den Geldbeutel füllt, langfristig aber eher wenig Zuwachs verspricht, bemüht sich der Broadway seit einiger Zeit vehement um jüngere Zuschauer und solche, die sonst gar nicht hierher kämen. Unterstützung versprach Russell Simmons, der Chef des HipHop-Labels Def Jam. Er hatte bereits eine Fernsehshow auf HBO präsentiert, in der verschiedene Poets auftraten. „Spoken Word Poetry“ versprach da die richtige Prise radikalen Charmes und authentischer Stimme von der Straße, die man suchte. Freimütig gab Simmons in Interviews zu, dass er überhaupt keine Ahnung vom Broadway habe, aber Name und Konzept gesiegt hätten. So wurde der HipHop-Mogul zum Broadway-Produzenten. Und so landete die lyrische Politavantgarde mitten im Herzen des kommerziellen Amerikas.

Auf dem Broadway gibt sich nun die aktuelle Creme der „Spoken Word Poetry“-Szene ein Stelldichein – jene Lyriker, die seit den späten 80er-Jahren in verrauchten Clubs ihre Gedichte als mündliches Kunstwerk für den Moment entwerfen und sich dabei auf alle möglichen orale Traditionen, von den Griots Westafrikas bis hin zu Gil Scott-Heron beziehen. Wobei einige nichts mit der populären Slam-Poetry-Szene zu tun haben wollen, die Lyrik zum Wettbewerb macht. „Wir sind doch angeblich die letzte Bastion der Wahrheit. Und die Wahrheit kann nicht erobert werden“, sagt Black Ice. „Du trägst ein Gedicht darüber vor, dass du als Kind misshandelt wurdest, ich trage ein Gedicht über Drogendealer vor. Wie kann man in einem Wettbewerb feststellen, welches besser ist? Wenn das, was wir beide sagen, wahr ist, dann heißt das, dass wir gerade einen Gottesdienst hatten. Wir brauchen keinen Wettkampf. Davon gibt’s schon genug unter den HipHop-MCs.“

Black Ice ist eine Art Prediger in FUBU-Gewand. In seinem Gedicht „What do you see“ legt er nahe, dass die luxusverliebten Texte des derzeitigen HipHop gefährlicher seien als Crack, denn sie gaukelten nur Veränderung vor, bewahrten aber in Wirklichkeit den Status quo. „In essence they’re still flooding the streets with the thugs, drugs and killing / they just using these record labels to do it. Takin’ our heart-felt demos, putting us in limos / trying to fuck up divine direction / but young black men are trained to chase money and pussy / so we fall victim to our own erection.“

Sechs Poets und einige hundert Verse später trägt Suheir Hammad mit sanfter Stimme ein Gedicht über US-Gewalt in Afghanistan, über einen möglichen Krieg im Irak und über Armut in Malaysia vor. Sie stammt aus Brooklyn, ihre Eltern sind als palästinensische Flüchtlinge ins Land gekommen.

„Es ist mir klar, dass ich für die meisten Zuschauer die erste palästinensische Frau bin, die sie sprechen hören, und dann auch noch in fließendem Englisch“, sagt sie. „Für mich ist es eine Ehre, Palästinenser auf diese Weise zu vertreten. Als Kind gab es für mich – abgesehen von Edward Said – keinen Intellektuellen, zu dem ich aufschauen konnte. Ich will, dass ein Mädchen, egal welche Wurzeln es hat, mein Foto in der Zeitung sieht und sagt: ‚Ich kann das auch. Ich muss keine weiße Amerikanerin sein. Ich kann ich sein und trotzdem mitdiskutieren in diesem Land.’ “

Allesamt setzen die Dichter auf der Bühne ihre Worte als Brechstange ein, um die Tür zu Amerikas multiethnischer Realität zu öffnen. Die Tür öffnet sich nur ein bisschen, und dennoch: Es ist allemal vielstimmiger als das, was sonst auf dem Broadway zu hören ist – oder auch sonst derzeit in den US-amerikanischen Medien.

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