: Also sprach der Hirsch
Erick Swenson stellt in München rätselhafte Tierplastiken aus. Dass sie in der Villa Stuck zu sehen sind, liegt am Projekt „hosted by …“ des „kunstraums münchen e. V.“, der seine Räume aufgeben musste
Erick Swenson macht Skulpturen und möchte mit ihnen Geschichten erzählen. Er selbst spreche nicht viel, meint die Kuratorin seiner Ausstellung, Cortenay Smith. Also kann man nicht darauf hoffen, dass Mr. Swenson die Geschichte liefert, an die er bei seiner Arbeit gedacht haben könnte, bevor am Ende weiße Plastikhirsche, ein bunter Plastikteppich und ein schwarz-rotes Plastikcape herauskamen, die nun in der Villa Stuck in München zu sehen sind. Wo sollen die Geschichten herkommen? Mr. Swenson spricht nicht. Die Hirsche sprechen? Nicht. Sie sind stumm und statisch und Bildwerke ohne szenische Reihenfolge, was die Sache mit den Geschichten etwas erschwert. Andererseits befinden sich die Tiere in sonderbaren Situationen, was die narrativen Energien der Betrachtenden entschieden anzuregen mag.
Eins der zwergziegengroßen Plastiktiere steht breitbeinig auf einem Teppich mit einem recht gewöhnlichen orientalisierenden Blumendekor. Dem Tier hängen braunrote Zotteln am Geweih. Offenbar soll es ein frisch gewachsenes Geweih sein, das vom Bast befreit werden muss, weshalb es der Hirsch über den Teppich schabt. Das könnte erklären, warum das Teppichmuster in Hirschnähe verwischt ist. Das Muster wird aufgelöst, als wäre es ein Sandbild buddhistischer Mönche oder – beachten wir auch die texanische Herkunft von Mr. Swenson – ein Sandbild von Indianern. Wir haben also einen Hirsch als Vertreter der wilden Natur, einen Teppich als Vertreter menschlicher Geschicklichkeit und Wohnkultur und eine zivilisierte geordnete Natur in Form des blumigen Teppichmusters. Was lässt sich daraus machen? Der Hirsch hat ein biologisches Bedürfnis und zerstört nur nebenbei und ohne jede Aufregung den Teppich. Oder: Der Hirsch hasst Kunstblumen, auch die auf einem Teppich. Oder: Der Hirsch bemerkt, dass jetzt sogar Teppiche seinen natürlichen Lebensraum, in dem er sein Geweih leichter abschubbern könnte, verdrängen. Ärger aufseiten des Hirsches, oft Mitgefühl bei den Umstehenden. Oder: Der Hirsch will ein Zeichen setzen, und der Bast ist entweder Vorwand oder blutiges Symbol seiner Auflehnung gegen die Menschen (Teppich), in deren Umgebung er nun mal ist, die er aber nicht leiden kann. Möglicherweise hat man es mit einem politisch engagierten Hirsch zu tun. Er stammt aus Texas und hat daher naturgemäß etwas gegen Orientteppiche.
Erick Swensons Tiere haben einen Raum in der Villa Stuck bekommen. Das geschah im Rahmen der Reihe „hosted by …“ des „kunstraums münchen e. V.“. Der Verein ehrenamtlicher Kuratoren und Kuratorinnen verspürte 2001 eine akute Geldknappheit, ausgelöst durch eine Mieterhöhung. Die Vereinsräume mussten aufgegeben werden. Aus dem Raummangel entstand das Projekt „hosted by …“, bei dem die Räume und organisatorischen Strukturen anderer Kunstinstitutionen genutzt werden sollten. Zuerst öffnete sich Christoph Vitali dem Projekt, dann öffnete er ihm das Haus der Kunst, woraufhin Christoph Büchel eine komplizierte Rauminstallation einbaute. Das Haus der Kunst stellte auch eine Aufsichtsperson zur Verfügung, die kontrollierte, ob die Besucherinnen und Besucher aus Büchels Raumgebilde wieder rausgefunden hatten. Die Kuratorin aber war Susanne Meyer-Büser, Vorsitzende des Kunstraums. Sie erklärt gut, dass sowohl die Gäste wie die Gastgeber vom „hosted by …“-Projekt einen Nutzen haben. Für die Gäste war es nützlich, dass die Präsenz in einem prominenten Kunsthaus sie auch prominenter machte. Es wurden weitere Türen angesehener Kunsthäuser geöffnet. Eine Ausstellung im Lenbachhaus wurde organisiert. Außerdem wurden die „Klubgespräche“ mit Kuratoren und Kuratorinnen übers Kuratieren geführt. Und das klug gespannte Netzwerk, das auch zum Fotografen Wolfgang Tillmanns reicht, wurde gepflegt. Seit Juli 2002 hat der Verein einen neuen Raum in der Zieblandstraße in München. Die Eröffnungsausstellung kuratierte Justin Hoffmann, freier Kurator, Theoretiker und Musiker. Zu den Vereinsmitgliedern gehört auch Cortenay Smith. Sie arbeitete früher in Chicago. In München ist sie nun freie Autorin und Kuratorin und sie betreibt eine Galerie in ihrer Wohnung.
Die Arbeiten von Erick Swenson hat sie dagegen in der ehemaligen Wohnung Franz von Stucks untergebracht. Wo sie nun in der Nähe zu Stucks Bildern stehen. Während in der antiken Mythologie und beim mythenbegeisterten Stuck unwahrscheinliche Kombinationen aus Tieren und Menschen auftauchen, kombinierte Swenson Tiere mit menschlichen Accessoires. Swensons Tiere sind weiß wie die Marmorstatuen der überlieferten Antike und des Klassizismus. Und sie sind glatt wie das weiße Nacktmodell für präparierte Tiere, bevor das Fell darüber kommt. Seine nackten Hirsche sind in Kontakt nicht nur zu alten, sondern auch zu bedeutenden zeitgenössischen Mythen, dem Theater und den Filmen, mit ihren Spezialeffekten und Rollenspielen. Zurzeit gibt es also Kunst von Scheinweltlern in der Villa Stuck. HEIKE ENDTER
Bis 6. Januar, Villa Stuck
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