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Wider die „Lex Rothkuhn“

Die Trennung von Amt und Mandat ist veraltet. Sie jetzt aufzugeben, würde aber eine Diskreditierung der Basis bedeuten – das sollten sich die Grünen nicht leisten

Dem Bundeskanzler dürfte gleichgültig sein, ob die grünen Vorsitzenden im Parlament sitzen

Es gibt mehrere Möglichkeiten, für die eigene Sache zu kämpfen. Man kann auf die Kraft der Argumente vertrauen oder auf die Kraft der Fäuste. Schmeicheleien, Drohungen, Tauschgeschäfte, Überzeugungsarbeit und Bestechung sind lauter erprobte Mittel, je nach Situation mal mehr, mal weniger Erfolg versprechend. Man kann es natürlich auch so machen wie die grüne Führungsriege: nämlich denjenigen, deren Zustimmung man zu erringen wünscht, konsequent die eigene Verachtung unter die Nase reiben und sich hinterher über Abstimmungsniederlagen wundern. So geschehen auf dem letzten Parteitag in Bremen. Gut möglich, dass sich diese Abfolge am Wochenende in Hannover wiederholt.

Seit Jahren hat die Diskussion über die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat, die jetzt ein weiteres Mal im Mittelpunkt eines Parteitags stehen wird, zwei unterschiedliche Ebenen: eine demokratietheoretische, die sich ausschließlich an der Sachfrage orientiert, und eine andere, die das Thema vor allem unter dem Blickwinkel parteiinterner Machtpolitik betrachtet. Für beide Herangehensweisen gibt es vernünftige Gründe. In allen Parteien benutzen Delegierte, die zu weniger einflussreichen Strömungen gehören, Satzungsfragen gern als Instrument, um ihre Spitzenpolitiker daran zu erinnern, dass sie auch noch da sind und dass mit ihnen weiterhin gerechnet werden muss. Das ist nicht irrational, im Gegenteil: Strukturelle Minderheiten haben schließlich nur dort die Möglichkeit, bestimmenden Einfluss zu nehmen, wo die Mehrheit auf sie angewiesen ist.

Die Tatsache, dass auf dem Parteitag in Bremen nur sehr wenige Stimmen an der für eine Satzungsänderung notwendigen Zweidrittelmehrheit gefehlt haben, lässt vor diesem Hintergrund darauf schließen, dass tatsächlich auch ein überwältigender Teil der Basis die Trennung von Amt und Mandat für veraltet hält. Angesichts der Verhältnisse bei den Grünen zeugt das von Realitätssinn. Es wirkt nachgerade lächerlich, wenn ausgerechnet eine Partei, die informelle Hierarchien in stärkerem Maße akzeptiert als jede andere, trotzig an einer Regelung festhält, die ursprünglich einmal dazu gedacht war, Ämterhäufung und Machtkonzentration zu verhindern.

Die Satzung hat Joschka Fischer nicht daran gehindert, innerhalb der eigenen Partei einflussreicher zu werden als irgendein anderer deutscher Politiker. Vielleicht hat sie ihm sogar dabei geholfen: Schließlich konnte er mit dem Hinweis auf die Trennung von Amt und Mandat stets vermeiden, sich um den Parteivorsitz zu bewerben. Und es hat durchaus Zeiten gegeben, in denen eine solche Kandidatur für ihn nicht risikolos gewesen wäre. Vieles spricht dafür, dass die Grünen in Bremen bereit gewesen wären, sich endgültig von einem weiteren Prinzip ihrer Gründertage zu verabschieden – hätte die Führungsspitze wenigstens offensiv dafür geworben.

Wenn die Parteivorsitzende Claudia Roth plötzlich eine Position räumt, die sie über Jahre hinweg vertreten hat, und eine Satzungsänderung wünscht, sobald sie selbst Amt und Mandat miteinander vereinbaren will, dann möchte man schon gern erfahren, was ihren Sinneswandel veranlasst hat. Sie hätte durchaus einleuchtende Gründe dafür nennen können: zum Beispiel den, dass gute Parteiarbeit ohne Unterstützung der Fraktion nur um den Preis der Selbstausbeutung zu leisten ist, solange die Grünen ihre Zentrale dermaßen beschämend schlecht ausstatten. (In welchem Umfang die Unterstützung der Partei durch die Fraktion überhaupt rechtmäßig ist, steht auf einem anderen Blatt.) Auch Fritz Kuhn hätte die Gelegenheit nutzen können und müssen, dem Vorwurf zu begegnen, er fungiere lediglich als willfähriger Statthalter des Außenministers. Joschka Fischer selbst hätte schließlich mit einer Rede den Beweis antreten können, dass er die Partei tatsächlich so ernst nimmt, wie er immer behauptet.

Schnee von gestern. Die Führungsspitze ging nicht in die Bütt, sondern riegelte sich auf dem Podium ab und schien darauf zu vertrauen, dass niemand mehr aufmucken werde. Also ging die Abstimmung schief. Sind aus dieser Erfahrung denn nun wenigstens Lehren gezogen worden? Mitnichten. Die Diskreditierung der Basis hat vielmehr ein neues, bislang nicht gekanntes Maß erreicht. Neue Parteivorsitzende ohne Bundestagsmandat kämen im Kanzleramt „nicht einmal am Pförtner vorbei“: Das ist ein regelmäßig wiederholter Satz, mit dem grüne Mandatsträger für eine Satzungsänderung plädieren.

Wie ist dieser Satz zu verstehen? Wer entscheidet über das Koordinatensystem der Macht in einer Regierungspartei? Wären es tatsächlich Pförtner, dann hätte sich das herumgesprochen. Niemand außer den derzeitigen Amtsinhabern hat übrigens bisher Interesse am Parteivorsitz angemeldet. Aus gutem Grund. Angesichts der aufgeheizten Stimmung könnte eine Kandidatur durchaus das politische Todesurteil bedeuten. Aber es sind doch immerhin Namen genannt worden. Angelika Beer beispielsweise, Hubert Kleinert, Ralf Fücks. Die kämen im Kanzleramt also nicht am Pförtner vorbei? Deutlicher kann man Politiker nicht abwerten, die sich aus Sicht vieler ihrer Parteifreunde durchaus Verdienste erworben haben.

Wenn die Mandatsträger hinter den Amtsinhabern stehen – wie immer diese heißen mögen –, dann bleibt den politischen Verhandlungspartnern gar nichts anderes übrig, als diese ernst zu nehmen. Dem Bundeskanzler dürfte es ziemlich gleichgültig sein, ob die Parteivorsitzenden seines Koalitionspartners im Parlament sitzen oder nicht. Ihn interessiert, wie viel Einfluss sein Mit- und Gegenspieler Joschka Fischer den eigenen Parteifreunden einzuräumen bereit ist. Gerhard Schröder hat nämlich ebenfalls Sinn für informelle Strukturen.

Joschka Fischer ist in der eigenen Partei einflussreicher als irgendein anderer deutscher Politiker

Die grüne Führungsriege möchte nun die Mitglieder in einer Urabstimmung endgültig über das leidige Dauerthema entscheiden lassen. Dafür spricht, dass diese Form der Entscheidungsfindung tatsächlich demokratisch ist. Dagegen spricht der unschöne Verdacht, dass ein anderes demokratisches Forum – nämlich der Parteitag – einfach überstimmt werden soll, bloß weil er unbotmäßig abgestimmt hat. Das allerdings wäre ein Missbrauch des Instruments der Urabstimmung.

Um diesem Verdacht entgegenzuwirken, gibt es eigentlich nur ein – wenngleich schmerzhaftes – Mittel: Es gilt, jedem Anschein entgegenzuwirken, dass hier eine „Lex Kuhn“ oder „Lex Roth“ installiert werden soll. Um das zu vermeiden, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder müssen die Vorsitzenden ihre Posten räumen. Das wäre schade, denn sie waren erfolgreich. Aber es wäre dennoch keine Katastrophe, denn unersetzlich sind sie nicht. Sie können jedoch auch auf ihr Mandat verzichten. Die Tatsache, dass diese Alternative mittlerweile völlig aus dem Blickfeld der öffentlichen Diskussion geraten ist, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt.

BETTINA GAUS

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