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Hilflose Chiffren an der Wand

Spiel mit paranoiden Deutungsreflexen: Masken und Zeichnungen des Hamburger Publizisten und Künstlers Hans-Christian Dany in der Kunsthallen-Reihe „Standpunkt“

Zeigte sie chinesische Schriftzeichen – sie befriedigte wenigstens den Ratetrieb. Wären es Koordinaten eines fremden Spiels – man verstünde, warum man man sie nicht begreift, die Rorschachtest-ähnlichen Flecken auf der von Hans-Christian Dany gestalteten Wand in der Kunsthalle, die derzeit in der Reihe „Standpunkt“ zu sehen ist.

Ohne solches Alibi aber steht man stumm, deutet und versucht zu eruieren, was die schwarzen Flecken auf weißem Grund verbergen mögen. Mancher versteigt sich gar zu der These, dies könnten vergrößerte Mikroskop-Aufnahmen angeschnittener, sezierter menschlicher Hirnmasse sein.

Eine Deutung, die gar nicht so abgelegen scheint, hat sich der 1966 in Hamburg geborene Künstler, Publizist und Kurator Dany hier doch explizit dem Phänomen „Maske“ verschrieben, allzu deutlich offenbart durch drei auf die Wand gehängte Stücke aus eigenem Bestand.

Doch wichtiger ist die Folie: Zur endlosen Serie verdichten sich die schwarzen Pusteln, zu immer neuen Kombinationen lassen sie sich reihen – und täuschen gekonnt darüber hinweg, dass sie nichts erhellen. Denn Serie und Struktur sind nur hineingedacht in das Konglomerat, das – adrett sich wiederholend – Fata Morgana bleibt. Wehrlose Chiffren sind es, die Dany dem Zuschauer vorwirft. Hilflos bleibt auch der Betrachter, der die Manipulation – den paranoiden Deutungsreflex, der ins Leere laufen muss – erst spät bemerkt.

Als suggestives Zeichensystem lassen sich auch Danys Zeichnungen – alle in einheitlichem Format – lesen, deren poetische Titel („Ohrloser unter Wasser“, „Nebel mit Fehler“) Paul Klee zitieren und sich wie flüchtige Skizzen geben, hingekritzelt im Mathe-Unterricht oder beim Telefonat, mit verschmierter Tinte auf Kladden-Linien gezeichnet.

Auffällig oft blicken hier maskenhafte Riesengesichter auf diese Welt herab, als schauten uns Außerirdische bei unseren Verrichtungen zu. Fast schon gewollt lapidar wirken diese Zeichnungen, die nicht preisgeben, woher sie kommen, die nicht verraten, ob sie aus dem Alltag erwachsen oder ihn transzendieren. Die Doppelbödigkeit suggerieren und leugnen, sich zugleich öffnen und verschließen. Und die den Betrachter immer wieder stranden lassen an der Erkenntnis, dass Zeichensysteme die Realität weder abbilden noch fortschreiben, sondern sie allenfalls zufällig tangieren.

Petra Schellen

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 12. Januar 2003

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