Auf Augenhöhe

Das Eiszeit-Kino zeigt Michael Hammons und Jacqueline Görgens preisgekrönten Dokumentarfilm „Hillbrow Kids“

Straßenkinder in Johannesburg. Sie stehen an Autos und betteln. Manchmal sind es ganze Scharen, die sich um die Tür eines Autos drängen, aus dem gerade einer aussteigt und ein paar Münzen auf den Boden wirft. Manchmal steht nur ein einzelner schlanker Junge mitten auf der Straße und tänzelt stoned zwischen den Autos herum.

Die Straßenkinder, von denen Michael Hammon und Jacqueline Görgen in ihrem vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Hillbrow Kids“ erzählen, erfüllen eigentlich alle Klischees, die man als Auslandsjournalfan so hat: Sie schnüffeln ständig Klebstoff, sie sind Waisen oder von den Eltern weggelaufen. Nachts an ihren Schlafplätzen unter Häusern oder anderswo drängen sie sich aneinander wie junge Hunde. Sie haben Feinde – ein alter Mann greift sie mit einer Peitsche an, wenn sie vereinzelt in die Nähe seines Parkplatzes kommen. Sind sie aber zu mehreren, greifen sie den alten Mann Steine werfend an und finden es lustig, wenn er flieht.

Manchmal helfen sie bei kleinen Arbeiten. Sie verehren einen Mann von der Heilsarmee, der ihnen hilft, und sie haben Angst vor Banden, deren Mitglieder älter sind und Messer bei ihren Kämpfen benutzen.

Der Film zeigt nichts, was man zuvor nicht gesehen hat. Es wäre auch unsinnig, etwas anderes zu erwarten – die Möglichkeiten, Alltag zu gestalten, sind für Straßenkinder ja eher limitiert. Aber es gibt auch seltsame Momente der Souveränität: Ein kleiner Junge fährt jeden Monat zurück zu seiner Familie vor der Stadt. Er wäscht sich. Die Mutter weint und sagt, alle würden ihn doch lieben und alles dransetzen, ihm das Fahrrad zu besorgen, das er so gerne hätte. Doch immer wieder zieht es ihn in die Großstadt. Plötzlich ist da ein Moment der Souveränität: Der Junge widersetzt sich den Wünschen nach Determinierung, nach Elendspotenzierung, die man als Zuschauer hat. Er handelt unvernünftig. Anstatt bei den Seinen zu bleiben, die ihn lieben und die er auch zu lieben scheint, zieht er immer wieder mit schlechtem Gewissen in die Stadt. Weil’s interessanter ist, weil die vielen Menschen und Lichter ihn anziehen.

Jacqueline Görgen und der in Südafrika geborene Michael Hammon erzählen zurückhaltend und mit Respekt von den Kindern. Die Kamera ist fast immer auf Augenhöhe mit ihnen. Die Kinder sprechen, nicht die Filmemacher, und anstelle eines Off-Kommentars wird der Film durch die mythischen Geschichten einer alten Frau strukturiert. Sie erzählt von der Zeit, in der die Affen noch die Welt beherrschten, oder von einer Familie, die glücklich zusammenlebte. Es gibt nur ein Problem. Die Kinder sind aus Wachs, dürfen nicht ans Sonnenlicht und gehen dann natürlich doch. DETLEF KUHLBRODT

„Hillbrow Kids“ läuft bis Mittwoch im Eiszeit