: Kleinwagen auf der Überholspur
Selbstständigkeit als Designer: Das war ein Dorn im Auge kollektiv organisierter Entscheidungsträger. Das Museum für industrielle Gestaltung zeigt die gestalterischen Ideen und Entwürfe des DDR-Designerteams Clauss Dietel und Lutz Rudolph
von RICHARD RABENSAAT
„Als hätte man das Herz eines jungen Menschen in eine alte Oma eingebaut“, erinnert sich Clauss Dietel. Nachdem die staatlichen Planungsbehörden der DDR 1984 beschlossen hatten, in den Trabant einen VW-Motor einzusetzen, wusste der Autodesigner Dietel: „Da geht etwas zu Ende“ – die Idee des real existierenden Sozialismus, das Vorhaben, den westlichen Industriestaaten mit einer planwirtschaftlichen Produktion Paroli bieten zu können. Die Entscheidung der DDR, vorhandene Ressourcen zunächst in den Plattenbau statt in den Fahrzeugbau zu investieren, hält Dietel noch heute für fatal. Denn nicht zuletzt im Prestigeobjekt Auto spiegelten sich auch in der DDR kleinbürgerliche Wunschträume und zu Blech geronnene Wohlstandsutopien.
Die gestalterischen Ideen und Entwürfe des Designerteams Clauss Dietel und Lutz Rudolph zeigt nun das Museum für industrielle Gestaltung. Die Show bietet gute Einblicke in die Visionen der sozialistischen Fahrzeuggestaltung, aber auch zu allerlei anderem Nutzgerät.
1957 lief der Zweitakter Trabant erstmals vom Band der sozialistischen Werkstätten. Allerdings rechnete niemand ernsthaft damit, dass die Heckflügel-bewehrte Seifenkiste nicht nur die Jahrzehnte, sondern auch die DDR überleben würde. Angesichts der kuriosen Kastenform der „Rennpappe“ äußerte Lutz Rudolph schon früh ätzende Kritik: „Das ist ein unwürdiges, in seiner Gestaltung das schlimmste Fahrzeug der Erde.“
Dem hätte abgeholfen werden können. An der Entwicklung von wenigstens fünf möglichen Nachfolgemodellen arbeiteten Dietel und Rudolph mit. In Serie ging keines. Die Mittel zum Bau der bis zur Produktionsreife gediehenen Entwürfe fehlten und der Trabant rollte lange 25 Jahre vom Band.
Schaut man sich Dietels Entwürfe der Jahre 1970 bis 1973 an, entsprachen sie ziemlich exakt dem 1974 auf den Markt kommenden VW Golf. 1971 stellten er und Lutz Rudolph ein Modell vor, das in damals revolutionärer Gestaltung eine große Heckklappe mit Frontmotor und gefälligem Äußerem verband. Und zwei Jahrzehnte später konstruierte Renault mit dem Twingo ein Fahrzeug, das erstaunlich deutlich an eine Kleinwagenstudie erinnert, die Dietel/Rudolph 1972 im Auftrag des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt entwarfen.
Auch die Idee zu einem erschwinglichen, großräumig nutzbaren Massenfahrzeug scheiterte im bürokratischen Hindernislauf. Dabei hätte mit dem Fahrzeug eine sinnvolle Weiterentwicklung des erfolgreichen Wartburg 353 betrieben werden können. Aber schon dieser war bei der Partei auf wenig Gegenliebe gestoßen: Günter Mittag, Sekretär für Wirtschaft im Zentralkomitee der SED, verglich das Erscheinungsbild des Fahrzeugs mit einem Nato-Jeep.
Aber nicht nur mit vorwärts weisenden Entwürfen eckten die beiden Fahrzeugbauer bei den staatlichen Planungsbehörden an. Sie verärgerten die im Kollektiv organisierten Entscheidungsträger zudem damit, hartnäckig auf ihrer Selbständigkeit als Designer zu beharren.
Bereits seit den 60er-Jahren arbeiteten sie freischaffend. Zwar erhielten beide Auszeichnungen und Preise, zwar wurde Dietel 1984 zum Professor berufen, aber dennoch blieb die ständige Reibung mit dem staatlichen Planungsideal. Das behinderte Selbstständige und begünstigte Entwurfskollektive. Wie die sozialistische Form auszusehen hatte, sollte ab 1965 das Zentralinstitut für Gestaltung festlegen. Im Unterschied zu seiner Vorgängerbehörde unterstand es dem „Deutschen Amt für Meßwesen und Warenprüfung“. Aufgabe des Amtes war es, Normierung und Qualität der real existierenden Warenwelt zu überprüfen. Der nach Meinung der Staatslenker reichlich unbedarften, sozialistischen Bevölkerung sollte „ästhetische Bildung durch eine quasi meßbare Formgüte“ vermittelt werden, formulierte der damalige Institutsleiter Martin Kelm.
Dietel hoffte als Vizepräsident des „Verbandes Bildender Künstler“ noch einen minimalen Freiraum für Selbstständige bewahren zu können. 1981 jedoch sah er, dass auch der Künstlerverband der staatlich verordneten „Konzentration des Gestalterpotentials in Gestaltungszentren der Industrie“ keine wirksame Opposition bieten konnte. Er fühlte sich immer weiter an den Rand der industriellen Produktion gedrängt. Mit den Worten, er wolle nicht „Blockältester einer Ghettogruppe sein“, trat Dietel von seiner Funktion zurück.
„Gestaltung ist Kultur“, Sammlung für industrielle Gestaltung, Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Mi.–So., 13–20 Uhr
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