: Zwei, die das Labyrinth lieben
aus Budapest KENO VERSECK
„Du wirst nicht mit mir verhandeln“, ruft László Somogyi ins Telefon, „du wirst die Ehre mit meinem großen Schwesterchen haben und wirst sie zu einem Abendessen treffen dürfen.“ Er sagt das mit so entschiedener Koketterie, und in seinem Ton schwingt so viel Stolz auf seine Schwester mit, dass der Mann am anderen Ende der Leitung gar nicht anders können wird, als dieses Geschäftsessen gespannt zu erwarten. Katalin Fischer schaut schmunzelnd vom Bildschirm auf. Ihr Bruder zwinkert ihr zu, während er seinem Gesprächspartner die Adresse eines exklusiven Budapester Restaurants nennt.
Nachdem er aufgelegt hat, beschreibt László Somogyi seiner Schwester den Mann: „Ein richtig gutes Stück Ungar“, sagt er und deutet mit weit ausgebreiteten Händen die Körperfülle des Besagten an. Katalin Fischer winkt ab. „Komm, hilf mir lieber hier am Computer!“
László Somogyi, 42, und seine Schwester Katalin Fischer, 55, haben eine kleine Außenhandelsfirma in Budapest. „Somafis“, heißt die GmbH, eine Kombination aus den Familiennamen der beiden. Im Internet stellen sie die Firma unter www.siofok.com/somafis so vor: „Somafis – Ihr vertrauenswürdiger Partner, eine private ungarische Handelsfirma, klassischer Vertreter des modernen ungarischen Außenhandels, gegründet vor zehn Jahren auf der Basis einer jahrzehntelangen Erfahrung ihrer Mitarbeiter im Im- und Export-Geschäft zwischen Ost und West.“ In Stichworten ist aufgelistet, womit die Firma handelt: Lebensmittel, hauptsächlich Fleisch, Mais und Weizen, Futtermittel, nichtalkoholische Getränke, Dauerkonserven, daneben Druckerzeugnisse wie Wandkalender und Notizbücher, Baumwolle, synthetischer Kautschuk und Metalle.
Es klingt nach osteuropäischem Gemischtwarenladen, so ähnlich wie auf den fliegenden, halblegalen Märkten der Region, wo es unter Partyzelten oder auf Motorhauben Plaste-Latschen neben industriell gefertigter Volkskunst-Keramik gibt und Kisten voller ungeordneter Werkzeuge neben Reihen bunter Trainingsanzüge.
László Somogyi und Katalin Fischer sind keine windigen Händler. Bei beiden hat man das Gefühl, sich auf ihr Wort und ihre Korrektheit verlassen zu können. Er lacht gern, sie ist eher ruhig und zurückhaltend.
Das Büro der Geschwister liegt im 11. Bezirk von Budapest, zwei Minuten von der Ausfahrtsstraße nach Wien entfernt, im Rubin-Apartment-Hotel, das 1989 der erste offizielle Bürokomplex für Privatfirmen in Ungarn wurde und in dem heute viele kleine Handels- und Vertreterfirmen untergebracht sind. Stünden in dem Büro nicht so viele Schreibtische mit Computern, könnte es fast die gemeinsame Wohnung der Geschwister sein. In allen Räumen hängen Familienfotos: die beiden zusammen, einzeln, mit ihren Partnern, mit ihren Kindern, die Kinder allein.
Schon der Vater der beiden war im Außenhandel tätig. Die Kinder folgten ihm in der Branche nach: Katalin Fischer erhielt ihr Diplom an der ungarischen Außenhandelsschule 1969, László Somogyi 1982. Die beiden arbeiteten bis 1990 bei großen staatlichen Außenhandelsunternehmen wie Chemolimpex oder Hungarocoop. Als die nach der Wende 1989 ihre Märkte verloren und Bankrott gingen, riet ihnen der Vater, eine Firma zu gründen.
Somafis existierte gerade ein Jahr, als László Somogyi und Katalin Fischer 1993 ihr erstes großes Geschäft machten. Es war ein für den Ost-West-Handel typisches Tausch- und Kompensationsgeschäft in ehemaligen Sowjetrepubliken, die bis heute Hauptpartner und -märkte von Somafis sind. „Damals hatte ich in Moskau zu tun und bekam eine Information, dass eine große russisch-schweizerische Firma in Moskau Rindfleisch für Usbekistan suchte“, erzählt László Somogyi. „Ich hatte gute Kontakte im Baltikum und in der Ukraine, und dort habe ich auch Fleischlieferanten gefunden. Wir haben die Ware nach Usbekistan geliefert. Einen Teil der Lieferung hat die russisch-schweizerische Firma direkt bezahlt, für den anderen Teil bekamen wir über den usbekischen Empfänger Baumwolle. Meine Schwester hatte gute Kontakte in der Textilbranche. Wir haben die Baumwolle dann hier in Ungarn und auch nach Deutschland und Rumänien verkauft.“
Was László Somogyi in wenigen Worten erzählt, ist in der Praxis eine langwierige, komplizierte Angelegenheit. Die einfache Beziehung zwischen Lieferant und Empfänger und die Gleichung „Ware gegen Geld“ galten im Handel der Länder des früheren „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe“, RGW, nicht. Abgerechnet wurde zwischen den sozialistischen Staatsbetrieben auf überstaatlicher Ebene in einem komplexen Clearingsystem mit der Kunstwährung Transfer-Rubel. Noch verworrener wurde es, wenn am Handel Firmen aus Nicht-RGW-Ländern beteiligt waren und wenn Hartwährung ins Spiel kam.
13 Jahre nach der Wende von 1989 ist der Wandel dieser Struktur vor allem in GUS-Ländern noch im Gange. Erschwert wird er dadurch, dass viele Firmen in früheren sozialistischen Ländern in einem Labyrinth aus Schulden stecken. Wer beispielsweise aus Deutschland nach Russland liefert, muss damit rechnen, dass er für Ware nur Ware im Tausch bekommt. Selten aber stellt der Empfänger selbst die Tauschware. Meistens kennt er nur jemanden, der Tauschware liefern könnte.
Oder auch nicht. Oder der Lieferant kann mit der Tauschware nichts anfangen. Oder Finanzierungen von Dritt- und weiteren Beteiligten im Ursprungsgeschäft scheitern.
Dafür, dass der Handel im RGW und zwischen Ost und West lief, gab es Leute wie László Somogyi und Katalin Fischer. Nicht einfach Vermittler an einer diplomatischen Handelsvertretung, sondern Knobler und Konstrukteure. Leute, die Angebot und Nachfrage bis ins letzte Detail kannten. Die über Jahre Kontakte aufgebaut hatten und die Sprachen ihrer Partner beherrschten. Die Wechselkurse, Zölle, Im- und Exportbestimmungen dutzender Länder, Bankrichtlinien, Qualitätsstandards und Transportkosten im Schlaf herbeten konnten.
Katalin Fischer hat es immer gereizt, sagt sie, große Finanzierungspläne zu erarbeiten und langfristige Handelsbeziehungen aufzubauen. Sie erinnert sich an die „schönsten Geschäfte meines Lebens“: „Ich habe zum Beispiel 1988 ein großes Handelsprogramm entworfen. Russland schuldete Ungarn Computertechnik. Das waren noch Computer so groß wie ein ganzes Zimmer. Aber Ungarn brauchte eine andere, neue Technik. Es traf sich, dass die Tschechoslowaken diese Computer noch benötigten, sie aber nicht von Russland kaufen konnten, weil die Außenhandelsbilanz für sie negativ stand. Ich habe dann folgendes Programm aufgebaut: Wir haben von den Russen für eine sehr große Summe diese Computer gekauft, sie dann in die Tschechoslowakei verkauft, dafür haben wir dort Spezialtraktoren gekauft, die in Bulgarien benötigt wurden, die die Bulgaren aber nicht von den Tschechoslowaken kaufen konnten, weil wiederum auch sie eine negative Außenhandelsbilanz mit ihnen hatten, und über Bulgarien haben wir dann schließlich in Fernost die Computertechnik gekauft, die wir in Ungarn brauchten.“
László Somogyi ist eher Tüftler für kleine, einzelne Geschäfte. „Ich habe es sehr gerne, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, egal, ob es um 10.000 Dollar oder um eine Million geht. Mir kommt eine Idee, und die will ich verwirklichen. Ganz am Ende, wenn die Ware geliefert und bezahlt ist und alle zufrieden sind, dann fühle ich mich sehr gut. Das ist ein wenig wie Monopoly. Nur möchte ich, dass alle gewinnen. Wie viel, das ist nicht so wichtig. Wichtig ist das Vergnügen, das ich habe, wenn alle gewinnen.“
Auch wenn die beiden Geschwister eigene Familien, eigene Kinder haben – ihre Arbeit, ihre Firma, die Art, wie sie sich ergänzen, sind ihr gemeinsames Leben. Die Mutter der beiden starb früh, als László Somogy noch ein kleiner Junge war, und er sagt, dass die Schwester wie eine Mutter für ihn war. „Wir können zwar sehr böse aufeinander sein, aber einer unser größten Vorteile im Geschäft ist, dass wir nie ohne einen Kuss auseinander gehen.“
Viele Kollegen und Freunde beneiden sie um ihr Verhältnis, um ihre gemeinsame Arbeit. Sie freuen sich über solche Bemerkungen und sagen höchstens: Ach, wir streiten auch. Ihr Bruder, meint Katalin Fischer, hänge zu sehr an kleinen Direktgeschäften: ungarischen Mais und Dauerkonserven in den Westural, russisches Holz über die Ukraine nach Österreich, holländisches Schweinefleisch nach Litauen, tschechischen Zucker in die Slowakei.
„Diese Geschäfte liefen bis vor ein paar Jahren sehr gut, werden aber in Zukunft immer schwerer“, sagt Katalin Fischer. „Immer mehr Firmen machen allein Geschäfte, verkürzen die Wege, leisten sich eigene Außenhandelsexperten, finden Partner über das Internet oder investieren vor Ort. Zwischenhändler wie wir werden weniger gebraucht. Das ist die Globalisierung, von der wir heute sprechen.“ Manchmal schaut sie ihren Bruder skeptisch-vorwurfsvoll an, wenn er begeistert vom Geschäftmachen schwärmt.
Die beiden Geschwister haben in den letzten Jahren viele Angebote für lukrative Posten bekommen. Sie hätten Manager in ungarischen Niederlassungen multinationaler Konzerne werden können. Aber sie wollen lieber unabhängig bleiben, unter sich, in der Familie.
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