piwik no script img

Italienische Verhältnisse in Berlin

Die Schattenwirtschaft boomt wie kaum ein anderer Wirtschaftssektor in Berlin. In der Baubranche der Hauptstadt werden inzwischen sogar 72 Prozent im informellen Sektor erwirtschaftet. Damit existieren mittlerweile zwei Parallelökonomien

von UWE RADA

Erst kam das Geständnis, dann der Appell: „Ich habe auch schon schwarzgearbeitet“, sagte der CDU-Bundestagsabeordnete Rainer Eppelmann bei der gestrigen Vorstellung der Statistik zur Schattenwirtschaft in Berlin und Brandenburg. Und dann: „Wir müssen alle mitwirken, den Schaden durch die Schwarzarbeit zu reduzieren.“

Das Problem ist nur, dass Eppelmanns Geständnis immer mehr Berliner und Brandenburger zustimmen können, Eppelmanns Aufforderung dagegen immer weniger. Mit rund 21,7 Prozent Anteil der Schattenwirtschaft am Berliner Inlandsprodukt in den Jahren 2001/2002 ist die Hauptstadt nach wie vor unangefochten der deutsche Spitzenreiter. Brandenburg dagegen liegt mit 15,4 Prozent immer noch unter dem Bundesschnitt von 16,5 Prozent. Zum Vergleich: In den USA, wo zum Teil sehr niedrige Löhne gezahlt werden, liegt der Anteil des so genannten informellen Sektors bei 8,7 Prozent, in Italien bei rund 27 Prozent. Dies ergab die jüngste Berechnung des Linzer Ökonomen Friedrich Schneider im Auftrag der Fachgemeinschaft Bau.

Schneider, einer der wenigen seiner Zunft, die sich an die Berechnung des informellen Sektors wagen, hat auch die Zahlen für den Bausektor ermittelt. Und die sind nachgerade dramatisch. Wurde 1997 noch über die Hälfte (57 Prozent) der Arbeiten in der Bauwirtschaft noch legal und damit steuer- und sozialversicherungspflichtig erwirtschaftet, war es 2002 nur noch ein knappes Drittel. Im Gegenzug stieg der Anteil des Schattensektors auf 72 Prozent. In Brandenburg stieg der schwarz erwirtschaftete Anteil im gleichen Zeitraum von rund 22 auf rund 40 Prozent.

Als Gründe nannte Kaspar-Dietrich Freymuth vom Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände die jüngsten Tarifabschlüsse sowie das Vergabegesetz, nach dem öffentliche Aufträge nur Unternehmen bekommen, die nach Tarif zahlen.

Als Maßnahmen gegen diese Entwicklung schlug Rainer Eppelmann vor, dass Handwerkerrechnungen auch im Privatbereich künftig von der Steuer abgesetzt werden können. Außerdem forderte er die Senkung der Lohnnebenkosten und die Einführung von computerlesbaren Sozialversicherungsausweisen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen