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Wohlplatzierte Bilder

Zwischen Johan Grimonprez‘ Flugzeugentführungs-Collage „Dial H-I-S-T-O-R-Y“ und Cady Nolans Aluminium-Pranger positioniert: Die Kunsthalle wagt mit „Callot, Goya, Dix: Krieg“ einen vorausschauenden Gegenwartsbezug

Wer wird denn gleich von Krieg sprechen, wenn die Galerie der Gegenwart mit Blick auf einen angekündigten Krieg zwei ihrer Räume kurzfristig für eine thematisch aktuelle Ausstellung räumt? Die drei ausgewählten graphischen Zyklen von Jacques Callot, Francisco de Goya und Otto Dix überspannen drei Jahrhunderte und zeigen Fratzen kriegerischer Auseinandersetzungen aus einer Zeit, als „Krieg“ für die westliche Welt noch Heerschlachten von Angesicht zu Angesicht bedeutete.

In der „Großen Kriegsfolge“ von 1633 stellt Callot die plündernden Soldatenbanden des Dreißigjährigen Krieges dar. Im Mittelpunkt stehen die Leid tragende Zivilbevölkerung und eine entindividualisierte Soldateska. Goyas „Los desastres de la guerra“ dagegen rückt individuelle Schicksale in den Vordergrund. Zugleich verschwimmen in seiner Radierungsserie die Positionen von Opfern und Tätern und gleiten zuletzt ins Allegorische. Otto Dix schließlich entblößt die Opfer-Verherrlichung und den Mythos vom „im Felde unbesiegten Heer“ aus dem Ersten Weltkrieg als wurmstichige, zerfetzte Maske und schreiendes Leichenfeld, für die die Umschreibung „Fratze des Krieges“ gängig ist.

Die jeweils in hoher Auflage verbreiteten Graphiken, die damals eine große Öffentlichkeit erreichten, verbinden Aktualität und Authentizität des Dargestellten und betonen das Bild als subversives und unverfälschtes Medium. Denn genau solche Bilder würden Kriegsherren gerne unter Verschluss halten. Doch was heute den grünstichigen, zensierten TV-Bildern einer „Sauberen Kriegsführung“ anhaftet, die Macht, die über die Wahrheitsproduktion wacht, bleibt unsichtbar: Callots Auftraggeber ist nicht bekannt, Goyas Radierungen konnten wegen der Zensur zu Lebzeiten überhaupt nicht veröffentlich werden, Dix‘ Serie erschien anlässlich des Antikriegsjahres 1924.

In einen historischen oder gegenwärtigen Kontext ordnet die Ausstellung ihre Exponate nicht ein. Aber dass ein staatliches Museum einen derart vorausschauenden Zeitbezug wagt, ist in jedem Fall eine Überraschung. Zwischen Johan Grimonprez‘ Flugzeugentführungs-Collage „Dial H-I-S-T-O-R-Y“ und Cady Nolans Aluminium-Pranger positioniert, erlauben Callot, Goya und Dix den Besuchern in den kommenden Monaten jedoch zumindest die eigenständige Herstellung von Gegenwartsbezügen. Christian T. Schön

Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall; bis 16. Februar

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