: Bürger bitten Bürgermeister
Eltern aus Wilhelmsburg, Kirchdorf und Veddel überreichen Bürgermeister Ole von Beust eine Petition gegen Kita-Gutscheinsystem. Neue Kriterien führten zur „Selektion“
Zusammen mit ihren Kindern haben vier Mütter aus der Wilhelmsburger Kita Eckermannstraße Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gestern im Namen der Eltern von Kindergärten in Wilhelmsburg, Kirchdorf und Veddel eine „Petition“ überreicht, in der sie ihre Befürchtungen über das geplante Kita-Gutscheinsystem artikulieren. Im Kern geht es dabei um den schon von der Opposition beanstandeten Kita-Abbau in den sozialen Brennpunkten.
„Zur Zeit repräsentieren die Kinder in unseren Kindergärten den Anteil an der Bevölkerungsstruktur dieser Stadtteile mitsamt der großen ethnischen Vielfalt“, heißt es in dem Brief, den der Bürgermeister am Rande der 130-Jahres-Feier der Arbeiterwohltfahrt (AWO) im Bürgerhaus Wilhelmsburg überreicht wurde. Künftig werde aber aufgrund strengerer Bewilligungskriterien eine „Selektion“ stattfinden mit der primären Platzvergabe an Berufstätige. „Es ist zu befürchten, das auch die Qualität der Schulen darunter leiden wird“, heißt es weiter.
Da ein großer Teil der Eltern in Wilhelmsburg nicht aktuell berufstätig ist und Sprachförderung künftig nur noch für Kinder ohne Kita-Platz im Vorschuljahr als Platzkriterium gelten soll, fürchten die Eltern, dass „vor allem Schulkinder“ im Sommer ihren Platz verlieren und sich dann auf der Straße treffen, „ohne den betreuten Rahmen einer Kita“. Für diese Kinder müsste es mindestens eine alternative Hausaufgabenbetreuung in Häusern der Jugend geben. Doch auch dort wird gespart.
Das Problem trifft nicht nur Wilhelmsburg, sondern alle Stadtteile mit hohem MigrantInnenanteil. In Altona-Altstadt gehen Erzieher einer Schulkindergruppe davon aus, dass 30 von 42 Kindern nach den Sommerferien den Hort verlassen müssen. In einer Schnelsener Kita müssen zwei von drei Kindern ihren Sechs-Stunden-Platz räumen.
Die Wilhelmsburger Mütter kritisieren auch die schlechte Stellung von Arbeitssuchenden und Erziehungsurlauberinnen im neuen System. Da Müttern mit Baby für ihr älteres Kind nur noch vier Stunden bewilligt werde, würden diese „auf den Platz ganz verzichten, weil es nur Stress bedeutet, mit Kleinkind und Säugling in kurzer Zeit zwischen Kita und Heim hin und her zu pendeln“. Auch auffällige Kinder würden benachteiligt, da sie künftig mit nur noch vier Stunden „weniger Zeit für Spiel, Bewegung und individuelle Förderung“ erhielten.
Auf diese Kritikpunkte ging von Beust gestern nicht näher ein: „Ich werde mir alles in Ruhe angucken und melde mich dann ausführlich bei Ihnen.“ Bis dahin hoffen die Eltern, dass auch „alle Ihre Wünsche für das nächste Jahr in Erfüllung gehen“, wie der Bürgermeister vor Erhalt der Petition den Gästen auf der AWO-Feier wünschte.
julia heydorn / kaija kutter
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