Super-Pippo macht‘s klar

„Wir waren die klar bessere Mannschaft“: Nach der 0:1-Niederlage gegen den AC Milan spiegelt sich Borussia Dortmund im Panoptikum des Eigenlobs und ist lediglich mit dem Resultat unzufrieden

aus Dortmund ULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Gerhard Schröder kann in diesen Wochen tun, was er will, er fällt immer unangenehm auf. So auch am Mittwochabend, als er sich das unschuldige Vergnügen gönnte, seinen Lieblingsklub Borussia Dortmund in der Champions League gegen den AC Mailand anzusehen.

Eine Stunde vor Anpfiff landete der Hubschrauber des Kanzlers auf dem Rasen der Anlage „Rote Erde“, gleich neben dem Westfalenstadion. Dabei verbreitete das Fluggerät einen solch üblen Kerosingeruch, dass einige Fans an einen Giftgasangriff glaubten. Andere vertrauten der Weisheit „Wo’s zum Himmel stinkt, ist Silvio Berlusconi nicht weit“ und eilten zum Absperrgitter, um einen Blick auf den italienischen Staatslenker und Präsidenten des AC zu werfen. Der aber war längst in der Kabine seiner kickenden Angestellten und machte ihnen wohl klar, dass er nicht zum ersten Mal seit sieben Jahren zu einem Auswärtsspiel mitgekommen war, um ein ähnliches Debakel zu erleben wie vor acht Monaten, als Milan in Dortmund mit 0:4 unterging.

Ganz im Gegensatz zu Schröder widersetzt man sich Berlusconi nur selten, und so fuhr der AC einen wichtigen, souveränen und verdienten 1:0-Sieg gegen den BVB ein. Den Unterschied auf der Anzeigentafel zwischen beiden Klubs machte wieder einmal Filippo Inzaghi aus. Der als „Super-Pippo“ bekannte Stürmer stahl sich vier Minuten nach der Pause in eine eigentlich nicht vorhandene Lücke zwischen den Dortmunder Innenverteidigern, nahm ein Zuspiel von Clarence Seedorf auf und vollendete, dem Wetter angemessen, eiskalt zum Siegtreffer. Da es sich bei dieser Aktion um die einzige klare Torchance der Gäste im gesamten Spiel handelte, haderten viele Borussen anschließend mit dem Ausgang der Partie.

Trainer Matthias Sammer meinte, er habe „Milan heute nicht so stark gesehen, dass wir sie nicht hätten besiegen können“. Christoph Metzelder sprach von einer „sehr engagierten Leistung“ des BVB und zeigte sich „unzufrieden mit dem Ergebnis“, während Sebastian Kehl gar der Meinung war, die Borussia sei „die klar bessere Mannschaft“ gewesen. Über so viel Realitätsferne konnte der Sieger nur milde lächeln. Mailands Trainer Carlo Ancelotti lobte seine Elf, weil sie „gut verteidigte, kompakt stand und in der zweiten Halbzeit streckenweise sehr gut gespielt“ habe, und genoss sichtlich die Tabellenführung in der Zwischenrundengruppe C, die er als „komfortable Situation“ bezeichnete.

Vor acht Monaten hatten ihn die italienischen Journalisten noch mit „Signore Ancelotti“ angesprochen, diesmal hauchten sie ihm ein so warmes „Carlo“ entgegen, dass der Gebauchpinselte gut gelaunt gleich noch die Fähigkeiten seines „Super-Pippo“ Inzaghi pries. Dieser Spitzname ist übrigens nicht ohne Nebenbedeutung. „Super-Pippo“ ist der italienische Name für Disneys „Super Goof“ – und so wie der trottelige Goofy nur eine Erdnuss schlucken muss, um zum Superhelden zu werden, so mutiert auch Inzaghi in Notfällen innerhalb von Sekunden vom flügellahmen Schwalbenkönig zum Beute machenden Adler. Ähnliches lässt sich allerdings über fast alle anderen Spieler des AC sagen, weshalb Metzelders und Kehls Spielanalysen eher trotzig denn treffend waren.

Schon im Laufe der ausgeglichenen ersten Halbzeit beschlich den Betrachter das Gefühl, dass sich Mailands überlegene Spielkultur irgendwann durchsetzen werde. Während Dortmunds Torwart Jens Lehmann den Ball öfter auf den Fuß gelegt bekam als „The Artist Formerly Known As Amoroso“, mussten die Italiener ihre Spieleröffnung nicht ein einziges Mal durch einen Rückpass zum Schlussmann unterbrechen. Und weil jeder zweite Spielzug der Gastgeber mit einem spekulativen Pass ins Halbfeld endete oder mit, wie Ancelotti abschätzig sagte, „einem langen Ball auf Koller“, ließen die Italiner ruhig die Kugel laufen. Da konnten sie es sogar verschmerzen, dass ihr eigentlicher Spielmacher Rui Costa ebenso indisponiert war wie Dortmunds Star Tomas Rosicky. So entschied eben Seedorf mit einem ansatzlosen Pass die Partie.

Dass der BVB in der Schlussphase alles nach vorne warf und durch Rosicky gar noch die Latte traf (90.), bestätigte Sammer in seiner Meinung, man habe nur deshalb „eine große Möglichkeit verpasst, wenigstens einen Punkt zu holen“, weil „bei einigen Spielern die Überzeugung gefehlt hat“. Eine solch allgemeine Kritik an der Moral des Fußvolkes findet sicherlich die Zustimmung des Kanzlers, ändert aber nichts daran, dass das Können manchmal wichtiger ist als der Wille.