Aus Amazoniens Urwald ins Kabinett

Die ehemalige Kautschuksammlerin und Ökologin Marina Silva wird neue brasilianische Umweltministerin

Wie keine andere verkörpert sie die Hoffnung auf eine neue Politik für das Amazonasgebiet: Marina Silva, eine ehemalige Gummizapferin aus dem brasilianischen Urwaldstaat Acre, wird die neue Umweltministerin im Kabinett Lula. Ähnlich wie der neue Präsident wird sie innerhalb der Linken verehrt und über alle Parteigrenzen hinweg geachtet. Und auch ihre Biografie weist verblüffende Parallelen zum Werdegang Lulas auf.

Die 44-jährige Politikerin der Arbeiterpartei PT stammt aus ärmsten Verhältnissen. In einer abgelegenen Amazonasregion an der Grenze zu Bolivien kam ihre Familie als Kautschuksammler mehr schlecht als recht über die Runden. Drei ihrer sieben Geschwister starben noch im Kindesalter. Marina selbst lernte erst mit 14 Jahren Lesen und Schreiben. Wenig später überlebte sie ihre erste schwere Lebererkrankung. In der Provinzhauptstadt Rio Branco arbeitete sie als Hausangestellte, holte den Schulabschluss nach und engagierte sich in christlichen Basisgemeinden. Anschließend studierte sie Geschichte und schloss sich der PT an. Jahrelang arbeitete sie eng mit dem legendären Gummizapfer und Umweltaktivisten Chico Mendes zusammen. Mendes wurde 1988 im Auftrag von Großgrundbesitzern erschossen, die durch ihn ihre Interessen bedroht sahen. Doch Marina Silva setzte ihr Engagement in Gewerkschaften und Parlamenten fort. 1994 wurde sie mit 36 Jahren zur jüngsten Senatorin Brasiliens gewählt.

Im Bundesparlament erwarb sich die zierliche Frau schnell Respekt wegen ihrer Kompetenz und Ausdauer. Aus ihrer Feder stammen die wichtigsten Gesetzesentwürfe zum Erhalt der Artenvielfalt, zur Kontrolle der Gentechnik und gegen die Abholzung des Regenwalds, die bisher allesamt an den fehlenden Mehrheiten scheiterten. Für Urwaldbewohner und Umweltschützer wurde sie zur wichtigsten Verbündeten in der Hauptstadt.

Seitdem die Arbeiterpartei 1998 die Landesregierung von Acre übernommen hat, gilt die Heimat von Marina Silva als Labor für die umweltschonende Nutzung des Regenwaldes. In Sammlerreservaten finden immer mehr Gummizapfer und indigene Völker ein gesichertes Auskommen. Zusammen mit den Betroffenen sorgen die Behörden dafür, dass nicht mehr unkontrolliert entwaldet und der Fischfang geregelt wird.

Begeistert äußerten sich jetzt viele langjährige WeggefährtInnen Silvas. Doch zugleich fordern sie eine bessere Ausstattung des Ministeriums, das bisher das Stiefkind der Regierung war. Die neue Ministerin will sich dafür einsetzen, dass Umweltbelange künftig in sämtlichen Ressorts berücksichtigt werden. Neben einem anderen Entwicklungsmodell für Amazonien hält sie den Erhalt der Flüsse und Maßnahmen gegen die Landflucht für besonders dringlich.

Dass Präsident Lula ihre Nominierung ausgerechnet während einer USA-Reise bekannt gab, wertet Marina Silva als Signal an die Industrieländer. „Da wir ein Land mit einer großen Artenvielfalt sind, ist die Umweltpolitik für uns von strategischer Bedeutung“, sagt sie. „Wir wollen eine ethische Beziehung zwischen jenen, die Technologie und Geld haben, und jenen, die über traditionelles Wissen und natürliche Ressourcen verfügen.“ GERHARD DILGER