Punkte sammeln für Mallorca: Wer bekommt überhaupt Rente?
von HEIDE OESTREICH
78 Prozent der Deutschen zwischen 15 und 65 sind in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der „Versicherungspflicht“ unterliegen vor allem ArbeiterInnen und Angestellte. Selbstständige sind nicht pflichtversichert. Auch Beamte haben ein eigenes System. Es gibt Ausnahmen unter den Selbstständigen, die doch der Versicherungspflicht unterliegen: HandwerkerInnen etwa können sich erst nach 18 Jahren befreien lassen (außer – aus unerfindlichen Gründen – SchornsteinfegerInnen). Auch selbstständige LehrerInnen, ErzieherInnen und Pflegekräfte wie auch KünstlerInnen und PublizistInnen sind pflichtversichert. Ebenso gehört dazu, wer selbstständig ist, aber überwiegend für nur einen Arbeitgeber arbeitet („Scheinselbstständige“). Vorgeschlagen wird ab und zu, zuletzt von Ulla Schmidt, die Gruppe der BeitragszahlerInnen auszuweiten: auch Beamte und Selbstständige sollten in das staatliche System einzahlen, damit mehr Geld in den Rententopf fließt. Eine kurzfristige Finanzspritze – denn wenn diese Leute in Rente gehen, muss auch mehr ausgezahlt werden.
Ab wann kommt meine Rente?
Anspruch auf eine Altersrente haben alle, die 65 Jahre alt sind und die „allgemeine Wartezeit“ von fünf Jahren erfüllt haben. Die Wartezeit umfasst alle von der Rentenversicherung gezählten Zeiten, also auch die Jahre, in denen etwa wegen Kindererziehung nicht selbst eingezahlt wurde. Wer 35 Jahre Wartezeit mitbringt, darf sogar schon mit 63 in Rente gehen.
Für Frauen gelten teilweise andere Regeln. Sie brauchen nur 15 Jahre Wartezeit und können (noch) mit 60 in Rente gehen. Die verschiedenen Altersgrenzen werden aber gerade schrittweise auf 65 Jahre angehoben – je nach Jahrgang muss man also schon länger arbeiten.
Um zu sparen wird vorgeschlagen, dass man generell erst später in Rente gehen darf. Das würde dem Rententopf helfen, der Arbeitsmarktlage im Moment aber nicht. Der DGB möchte, dass wer schon lange eingezahlt hat, früher Rente bekommen soll, wer dagegen etwa akademischer Späteinsteiger ist, später. Charmanter Vorschlag.
Wie wird die Rente berechnet?
Auf einem Punktekonto sammelt man im Laufe des Arbeitslebens so genannte Entgeltpunkte an. Für jedes Durchschnittsjahreseinkommen gibt es einen Punkt. Wer über dem jeweiligen Durchschnitt verdient, sammelt mehr, wer unterduchschnittlich verdient, weniger Entgeltpunkte an. Entgeltpunkte sammelt man nicht nur in Zeiten, in denen man aktiv in das System einzahlt, sondern auch in „beitragsfreien Zeiten“ (s. u.). Verschiedene Faktoren berücksichtigen Art der Rente und den Zeitpunkt der Verrentung. Die um diese Faktoren bereinigte Entgeltpunktzahl wird mit dem „aktuellen Rentenwert“ multipliziert. Der aktuelle Rentenwert ist die Rente, die man pro Punkt ausgezahlt bekommt. Er wird jedes Jahr im Januar errechnet und richtet sich nach dem aktuellen Durchschnittseinkommen. Im Jahr 2002 etwa betrug er im Westen 25,31 Euro und im Osten 22,06 Euro.
Was wird angerechnet?
Das ist das große Plus der staatlichen gegenüber der privaten Versicherung: Zeiten, in denen man nicht einzahlt, werden grundsätzlich für die Berechnung der Rente berücksichtigt. Das macht keine private Versicherung. Es gibt verschiedene Anrechnungszeiten: Manche verlängern nur die Wartezeit, die man braucht, um überhaupt Rente zu bekommen, andere werden vom Staat finanziell aufgefüllt und ergeben echte Entgeltpunkte. Für die Zeit der Ausbildung etwa wird wie auch für Wehr- oder Ersatzdienst eine bestimmte Zahl von Jahren mit bis zu 0,75 Entgeltpunkten angerechnet. Auch in Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit werden Entgeltpunkte gutgeschrieben. Zeiten, in denen wegen Kindererziehung nicht eingezahlt wurde, werden ebenfalls mit Entgeltpunkten bedacht. Für jedes Kind gibt es einen Entgeltpunkt. Seit 1992 bekommt man pro Kind sogar drei Jahre gutgeschrieben, also drei Punkte. Auch wer andere ehrenamtlich pflegt, bekommt Beiträge gutgeschrieben. Dazu gibt es hunderte von Sonderregeln für Behinderte, Vertriebene, Kriegsgefangene, Menschen, die im Ausland waren oder von 1956 bis 1963 im Alter von 19 bis 24 war und als BezirksschornsteinfegerInnen in Südbaden in die Innungskasse zu wenig eingezahlt haben, dafür aber Zuschüsse der Stadt Bodensee-Baar erhielten – nein, Letztere sind erfunden, aber so ähnlich lesen sich die Ausnahmeregeln.
Warum sind nicht alle so versichert?
Bismarck hatte die Sozialversicherungen als Revolutionsprävention angelegt. Deshalb galt sein Interesse denjenigen, die so arm waren, dass sie potenzielle Revolutionäre sein könnten: den ArbeiterInnen und kleinen Angestellten. Allen anderen traute man eine eigenständige Daseinsvorsorge zu. Diese Tradition wurde bis heute nicht geändert. Deshalb sind ArbeiterInnen und Angestellte „pflichtversichert“, alle Selbstständigen und andere angeblich Reicheren aber nicht. Die rein praktische Frage wäre: Wer trüge den Arbeitgeberanteil von Selbstständigen? Wenn sie ihn selbst zahlen sollten, hätten sie eine denkbar schlechte Rendite: Das deutsche Institut für Altersvorsorge rechnete einmal aus, dass ein allein stehender Mann des Geburtsjahrgangs 1960 für eine Beitragsmark (Arbeitgeber plus Arbeitnehmer) nur noch 0,97 Mark Rente herausbekommt.
Und was ist Betriebsrente?
Das ist das, was Bismarck eigentlich wollte: Der Betrieb kümmert sich um die Vorsorge für seine ArbeiterInnen. Im Idealfall zahlt der Unternehmer in einen Pensionsfonds oder in eine Versicherung für seine Mitarbeiter ein. Das gibt es nur noch in den seltensten Fällen. Stattdessen können bestimmte Einkommensbestandteile „umgewandelt“ werden, also in Versicherungen oder auf dem Kapitalmarkt investiert werden. Der Charme ist, dass man die Gehaltsanteile unversteuert umwandeln kann. Versteuert wird erst die Rente, was günstiger ist. Deshalb nennt sich das Modell „Eichel-Förderung“.
Wie funktioniert private Vorsorge?
Die Privatvorsorge ist schlicht eine Anlage am Kapitalmarkt. Die meisten Menschen, die sich privat absichern wollen, schließen entweder eine Lebensversicherung oder eine Rentenversicherung bei einem Versicherungskonzern ab. Für die Lebensversicherung zahlt man monatlich ein und bekommt zu einem festgelegten Zeitpunkt einen garantierten Betrag ausgezahlt, der nach oben offen ist, falls die Versicherung am Kapitalmarkt, wo sie das Geld hinträgt, erfolgreich ist. Damit lässt sich auch die Familie absichern, wenn man stirbt. Oder aber man lässt sich eine bestimmte Rente pro Monat bis ans Lebensende auszahlen. In diesem Fall ist die Familie nur abgesichert, wenn man eine Garantiezeit verabredet, in der die Rente auch im Todesfall weitergezahlt wird. Vorteil: Eventuell rentabler als die staatliche Rente. Nachteil: Man muss alles selber einzahlen, und: Wer weiß schon, wie sich der Kapitalmarkt entwickelt? Bei einer starken Inflation etwa ist die vereinbarte Summe plötzlich kaum noch etwas wert, während die Staatsrente angepasst wird.
Warum ist die Rente unsicher?
Die staatliche Rente wird immer teurer und immer schmaler. Denn der Topf, aus dem die Leistungen für immer mehr Rentner kommen, muss von immer weniger jungen Beitragszahlern gespeist werden. (Die demografische Pyramide ist eine Wettertanne geworden, sagt Herr Rürup immer so schön.) Das macht die Rentenbeiträge (Lohnnebenkosten!) zu teuer und die Rente zu klein.
Was kann der Staat nun tun?
Die staatliche Rente allein kann aus demografischen Gründen nicht ausreichen. Da kann man noch so viele Einzahler hinzuziehen – am Demografieproblem ändert das nichts. Wenn die Beiträge nicht weiter steigen und die Renten nicht immer kleiner werden sollen, muss also zusätzlich etwas geschehen. Immer länger arbeiten und einzahlen? Ist biologisch begrenzt. Auf die reine Privatvorsorge umsteigen? Ist riskant. Je mehr anlagesuchendes Kapital auf dem Markt ist, desto unsicherer wird dieser. Vorbild für viele RentenexpertInnen ist das Mischsystem der Schweiz. Hier werden die Risiken auf alle drei Systeme verteilt. Alle, die über 20 sind, müssen 10 Prozent ihres Gesamteinkommens ins staatliche System einzahlen. Dafür bekommen sie eine Basisrente, und zwar nur bis zu einer bestimmten Höhe. Wer viel eingezahlt hat, hat Pech, wer wenig einzahlte, Glück. Dazu kommt ein hoher Anteil an obligatorischen Betriebsrenten, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanziert werden, und schließlich die Privatvorsorge. So ein System kostet den Einzelnen etwas mehr, gilt aber als zukunftsfest.
Wenn man das Rentensystem ändern will, ist vor allem die Umbauzeit ein Problem. Die in dieser Zeit arbeitende Generation muss sowohl die staatliche Rente am Leben halten als auch privat vorsorgen und ist damit doppelt belastet. Deshalb machen sich Regierungen ungern an diese Reform. Exminister Riester wagte mit seiner privaten „Riester-Rente“, die staatlich gefördert wird, einen Einstieg – dieses Angebot ist allerdings freiwillig.
Soll ich Riester abschließen?
Als Faustregel gilt: Wer Kredite abzuzahlen hat, sollte sein Geld lieber zu deren Abzahlung einsetzen, statt einen neuen privaten Vorsorgevertrag abzuschließen. Ansonsten gilt: Immer erst beim Arbeitgeber nachfragen, was der für eine betriebliche Altersvorsorge anbietet, und zwar entweder nach dem Riester- oder nach dem Eichel-Modell. Sich vorrechnen lassen, was sich lohnt. Der Arbeitgeber muss zumindest eine Förderung nach dem Eichel-Modell anbieten. Falls man selbst Kinder und ein eher niedriges Einkommen hat und auch nicht die nächsten Jahrzehnte beim Arbeitgeber bleiben will, lohnt sich ein Riester-Vertrag, den man über jede Bank abschließen kann. Wer jünger ist, wählt vielleicht einen Riester-Vertrag über einen Investmentfonds, weniger risikobehaftet ist der Abschluss einer Riester-Privatrente oder ein Riester-Sparplan. Im Übrigen: Wer erst im nächsten Jahr abschließt, verliert zwar die Zuschüsse für dieses Jahr, mehr aber auch nicht.
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