Der Geist in der Maschine

Wo der Hund Punkt vierzehn Uhr fünf spielt: Das Haus der Kunst in München zeigt eine große Werkschau mit den Kunstautomaten des deutsch-amerikanischen Künstlers Stephan von Huene

Die Skulptur tastet ihre Lochstreifen ab, beginnt, ihre kleinen Blasebälge zu blähen

von HEIKE ENDTER

„Vierzehn Uhr fünf beginnt der Hund zu spielen“, ruft ein Aufsicht habender Herr im Haus der Kunst. Er ist sehr darum bekümmert, die BesucherInnen pünktlich zu den klingenden Skulpturen Stephan von Huenes zu bringen. Zu ihnen gehört der Hund. Man erkennt ihn als solchen wegen der speziellen Kopfform. Anstelle eines Hundehinterteils ragen allerdings sechs geschwungene Tonpfeifen heraus. Der Hund spielt, wie die anderen Skulpturen auch, nur einmal in zwei Stunden. Die Skulptur tastet nach Zeitplan ihre Lochstreifen ab, beginnt, ihre kleinen Blasebälge zu blähen, worauf sie pfeifend pustet und auch wieder damit aufhört. Sie xylofoniert, pocht blechern, pocht hölzern, tutet Musik.

Als der Hund derartig hörbar wird, verdrückt sich ein anderer Kunstbewacher nach draußen. Die Kunstinteressierten aber lassen entschlossen die akustischen Wellen an sich heranschwappen. Entschlossenheit ist eine feine und nützliche Sache: Wenn man sich überlegt, dass es ein Zeichen geistiger Aufgeschlossenheit ist, sich nicht nur den klassischen Harmonien europäisch geprägter Musik hinzugeben. Wenn man sich fragt, ob es vernünftig sei, Geräusche und Musik voneinander zu unterscheiden und danach bestimmte Vorlieben zu pflegen. Und wenn man unbedingt sehen möchte, wie der Hund den Kopf schwenkt, das Maul klappt und mit steifen Beinen in der Luft wedelt. Das macht er nur, wenn seine Geräuschinstrumente aktiv sind.

Auch bei den anderen Skulpturen, die die noch gemeinsam mit dem Künstler angedachte, durch seinen überraschenden Tod vor zwei Jahren jedoch nicht mehr mit ihm ausgeführte große Werkschau in München zeigt, verändert sich mit deren akustischem das sichtbare Verhalten. Während politische Reden ertönen, beginnen menschenartige Unterkörper attraktiv mit den Beinen zu zappeln. Kleine weiße Stoffkissen werden bei Orgelklängen aufgeblasen und sinken wieder ein. Sie ergeben ein Muster, das einer Rosenknospe ähnelt, und deshalb gehören sie zu einem Gegenstand, der den Namen „Rosenknospenverkünder“ trägt. Woanders zucken pneumatische Vorrichtungen und demonstrieren gemeinsam mit Pfeifentönen, wie das Wort „Zauberflöte“ aufzufassen sei.

Stephan von Huene begann seine künstlerische Arbeit nicht mit Klängen, sondern mit Zeichnungen. Dazu kamen Assemblagen, später Figuren aus Leder, Holz und sonderbare Namen. Sie bewegen sich nicht. Aber sie gehören nicht mehr zur Zweidimensionalität des Bildes, sondern zum dreidimensionalen Raum. Den füllte Stephan von Huene weiter aus, dadurch, dass er seine Skulpturen Klänge aussenden und sich bewegen ließ. Also benutzte er auch die Dimension der Zeit, in der sich die Figuren bewegen und die Klänge ausbreiten. Notwendigerweise beschäftigte sich Stephan von Huene mit technischen Fragen zur Steuerung und Mechanik und mit Fragen zum Klang. Gleichzeitig ging er den Ideen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) nach. Weil er die Tonentstehung als akustisches und optisches Faszinosum behandelt und wegen der Problemstellung überhaupt, kann man leicht an John Cage denken. Stephan von Huene hatte Kontakt zu John Cage und auch zu Arnold Schönbergs Assistenten Leonhard Stein. Der lehrte am California Institute of the Arts, was Huene Anfang der 70er auch tat. Sie alle praktizierten künstlerisch eine Zeit lang in Kalifornien.

Das ist unter anderem eine Gegend, in der man einen Hippie treffen konnte, der sagte, er sei zum Buddhismus übergetreten, weil Hunde in der christlichen Religion keine Seele hätten und nicht in den Himmel kommen könnten. Dieses Hundeproblem hat auch Paul Auster bearbeitet. Er schrieb über einen Hund, der in den Himmel namens „Timbuktu“ aufgenommen wurde. Bei von Huenes „Kaleidophonischem Hund“ ist das eine andere Sache: Er sieht nur aus wie ein Hund. Außerdem ist er ein Musikinstrument und eine Maschine. Denn die Instrumente bewegen und spielen von selbst, zumindest wenn sie Strom haben. Damit wird nicht nur den verschiedenen Sinnen der Betrachtenden etwas dargeboten. Stephan von Huene hat, umgekehrt betrachtet, seinen Skulpturen zunehmend Reizemissionen mitgegeben, die Lebewesen auszeichnen: die sich selbstständig bewegen und Geräusche machen. Die durch Nasen und Münder hauchen und atmen anstatt durch Orgelpfeifen, die Stephan von Huene so gern in seine Werke einbaute. Aber diese Ähnlichkeiten können den Eindruck bescheren, Maschinen, und speziell von Huenes Maschinen, seien belebt und womöglich beseelt.

Vierzehn Uhr zehn kommt vom Hund ein letztes Zucken und Tuten. Sein hörgequälter Bewacher kehrt durch Zeit und Raum zurück, seufzt laut und setzt sich.

Bis 6. Januar, Katalog (Hatje Cantz)