piwik no script img

Steuerparadies liegt im Baltikum

Estland, Lettland, Litauen locken mit niedrigen Steuern und werden zum baltischen Tiger

KOPENHAGEN taz ■ Estland, Lettland und Litauen: So werden mit der Osterweiterung 2004 die neuen EU-Steuerparadiese heißen. Um Investitionen anzulocken, haben sich alle drei baltischen Staaten Irland zum Beispiel genommen, wo man einst erfolgreich den gleichen Weg gegangen war. Und jetzt kräftige Konkurrenz bekommen wird.

Unschlagbar ist beispielsweise Estlands Körperschaftsteuergesetz: Gewinne werden nicht besteuert, soweit sie im Unternehmen bleiben. Der Fiskus schlägt erst zu, wenn die Gewinne formal ins Ausland abwandern. 35 Prozent beträgt für diesen Fall der offizielle Steuersatz, verschiedene legale Steuertricks können ihn aber auf runde zehn Prozent absenken.

Damit liegt man deutlich unter dem Steuersatz Irlands von 12,5 Prozent. Einem Niveau, dem sich auch Lettland und Litauen mit 15 Prozent angenähert haben. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was die meisten anderen EU-Staaten kassieren. Hinzu kommt, dass es nur einen einzigen Einkommensteuersatz ohne jegliche Progression gibt.

Auch Großverdiener müssen nicht mehr als 26 Prozent – in Lettland 25 Prozent – an den Fiskus abdrücken. Die Steuerrechnung ist vor allem in Estland – schon vor dem EU-Beitritt – aufgegangen. Zweistellige Zuwachsraten weisen die Auslandsinvestitionen auf. Mit 2.650 Euro pro Jahr und Einwohner liegt man hier in der Spitzengruppe der zehn neuen Beitrittsländer.

Ohne solche Anreize hätte die neue Nordostecke der EU dieses Kapital kaum anziehen können. In den Erweiterungsverhandlungen hat Brüssel das niedrige Steuerniveau vergeblich kritisiert. Estlands Exministerpräsident Mart Laar: „Die EU soll sich selbst mit ihren Steuern nach unten bewegen, anstelle uns zu Erhöhungen zwingen zu wollen.“

In den Beitrittsverträgen haben sich die baltischen Staaten zwar verpflichtet, spätestens 2009 das Niedrigniveau im Körperschaftsteuerrecht „anzupassen“. Doch schon jetzt schließen die Regierungen mehr als allenfalls minimale Erhöhungen aus.

Der Arbeitslosenrate, die in Estland in zwei Jahren von 16 auf 10 Prozent gesunken ist, hat der Schub des Auslandskapitals gut getan. Zudem ist das Bruttonationalprodukt im 2. und 3. Quartal dieses Jahres mit rekordhohen 7 Prozent gewachsen. An den tiefen Einkommensklüften in diesen Ländern konnte die Kapitalflut bislang nicht viel ändern.

Die Kehrseite der Medaille lernten tausende von Angestellten in Schweden und Finnland kennen: Sie verloren ihren Arbeitsplatz, weil viele Firmen erst Teile ihrer Produktion ins Niedriglohnparadies verlegten und dann ganz umzogen.

Von der Textilindustrie bis zur Telekombranche können die baltischen Staaten neben ihrer Steuergesetzgebung mit einem weiteren unschlagbaren Argument locken: Lohnkosten, die nur 10 bis 15 Prozent des Niveaus in Schweden oder Deutschland betragen. REINHARD WOLFF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen