peter unfried über Charts
: Hören Sie „Gebt das Hanf frei!“

Hans-Christian Ströbele und Stefan Raab haben zusammen das Kunstwerk des Jahres geschaffen

Habe nun, ach ja, zu Testzwecken „Gebt das Hanf frei!“ gehört. Manchmal stunden-, ja tagelang am Stück. Ein Reggae-Imitat. Sehr entspannt, sehr groovy. Der Fernsehmoderator, Musiker und gelernte Metzger Stefan Raab hat den Song komponiert. Auf der Grundlage eines gesampleten Satzes, den der Politiker, Bundestagsabgeordnete und gelernte Jurist Hans-Christian Ströbele (Die Grünen) bei einer Veranstaltung namens Hanf-Parade in ein Mikrofon gerufen hat: „Gebt das Hanf frei! Und zwar sofort!“ Sie wissen es, liebe taz-Leser: letzte Woche auf Platz 4 in die Single-Charts eingestiegen.

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Das Urteil der taz-Jury: Werk des Jahres.

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Wie? Was? Wer kotzt hier ab?

Okay, die Menschen hassen Raab. Vor allem die besseren. Definition: Je besser der Mensch, desto mehr hasst er Raab. Die besten Menschen aber sind – Achtung, jetzt kommt der Witz! – natürlich wir Ströbele-Wähler.

Wir müssen leider fürchten, dass Raab kein guter Mensch ist. Nicht mal im Kern.

So wie wir. Ströbele.

Und Harald Schmidt. Dessen leicht überdurchschnittliche Halbbildung (also Vollbildung) wir als Moral werten – und Haltung.

Raab aber? Ein furchtbarer Nihilist, ein Mann ohne deutsche Vergangenheit, offenbar gänzlich unberührt vom Holocaust. 1968. Den Grünen. Der (linken) deutschen Kabarett-Geschichte. Usw.

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Aber bitte hören Sie selbst.

In der linken Box der Moralist Ströbele: die Stimme! Der Ton! Dieser aufrechte Appell („Gebt das Hanf frei!“), das mutige Ultimatum („Und zwar sofort!“) an den – sprechen wir das Wort ruhig mal wieder aus – POLIZEISTAAT. Alles drin, was man an Ströbele lieben kann (und wofür er gebraucht wird): Protest, Anti-Establishment, Basisdemokratie, 68 und so weiter.

In der rechten Box der Nihilist und Materialist Raab: diese lakonische Pragmatik („Jo, geb’ mer halt das Hanf frei“). Da ist doch bestimmt alles drin, was man hassen kann, ja muss: Der fette, großkonzernfreundliche Reiner-Calmund-Sound, der parasitäre, ausschließlich ökonomisch motivierte Missbrauch eines politischen Grundanliegens.

Der eine spendet seinen Teil der Tantiemen.

Der andere wird den Teufel tun.

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Es ist Ströbele, der Raab – und Raab, der Ströbele zum Glänzen bringt. Er ästhetisiert ihn. Er entdeckt bzw. kreiert die umwerfende Komik des Satzes. Dafür beraubt er ihn – wie jeder gute Teufel – des Inhalts. Die Botschaft wird zu Raabs Botschaft: Egal, ob irgendwer den oder das Hanf freigibt. Hauptsache, es klingt gut. Es ist lustig. Es wird meine Platte gespielt. Und gekauft.

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So macht Raab aus Ströbele Pop.

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Es bekommt einen zusätzlichen Kick, wenn man weiß, dass Ströbele bei der Hanf-Parade gar nicht die Cannabis-Freigabe forderte, sondern bloß das Herausgeben einiger beschlagnahmter THC-armer Nutzhanf-Pflanzen durch Berliner Polizisten. Das steigert die scheinbar seltsam anachronistische Ernsthaftigkeit noch, die Ströbele zu einer furchtbar lustigen Figur für Raabs Zielgruppe macht: unsere Heranwachsenden. Das sind ja nun leider – jedenfalls nach elitärem Verständnis der Schmidt-Zielgruppe – Totaldoofe wie der exemplarisch in Raabs Sendung vorgeführte „Lukas Dingsbums“. Und nun kommt aber das wirklich Lustige, das Subversive, Anarchische, Professionelle, ja das Heilsbotschaftliche, das Erlösung Versprechende an diesem wunderbaren Ströbele: Er nämlich hasst die Zöllner, die Ungebildeten, die Geschichtslosen, die Amoralischen, die Doofen nicht. Er verzweifelt nicht. Er freut sich, wenn ihn plötzlich raabisierte Jugendliche in der U-Bahn erkennen. Er sieht die Chance.

Es ist nicht das Ende.

Es kann ein Anfang sein.

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Und so begab es sich, dass Raab und Ströbele ganz wunderbar nebeneinander zu stehen kommen: Wunderbarer fast als dereinst Ochs und Esel.

Beide sind Vollprofis. Beide schmieden Koalitionen nach dem Grundsatz: Einer nutze den anderen (aus). Es ist für die gute Sache. Vielleicht, liebe Gemeinde, sollten auch wir kritischen Konsumenten so verfahren. Die Klärung der Frage, wer hier warum affirmativ ist? Worin das Subversive besteht? Und was es (erst recht nach Pisa) bedeutet, dass nicht einmal unser großer Politiker den richtigen bestimmten Artikel eines Alltagsworts wie „Hanf“ kennt? What the hell. Das soll die Basis entscheiden. Wofür hat man sie? Was zählt: Der Song ist großartig. Die Welt wäre ärmer ohne ihn.

P.S. Liebe Eltern, dieses Lied kann sogar unsere Kinder zum Lachen bringen. Und zum Tanzen. Es ist die Wahrheit. Ich habe das fröhliche Leuchten in ihren Augen gesehen.

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Herr Raab, Sie können kein ganz schlechter Mensch sein.

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Herr Ströbele, Sie aber auch nicht.

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Die schönste Droge ist eine sichere Rente, Herr Bundeskanzler.

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