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Das Ende der Welt ist nah!

Humanistenherzen schlagen höher: Der Film nach Harry Mulischs Roman „Die Entdeckung des Himmels“ verwandelt Bildung in Bilder. Nur die Liebe funktioniert im Kino besser als der Glaube. Trotz Stephen Fry, der selbst das Mystische erträglich macht

von PHILIPP BÜHLER

Eine schöne Abwechslung wäre es, würden die weihnachtlichen Predigten in diesem Jahr ein wenig anders ausfallen. Von einem Kindlein wäre dann die Rede, das der Herrgott auf die Welt sandte, nicht um den Menschen sein Wort zu bringen – nein, um es ihnen wieder zu nehmen. Denn Böses haben sie getan an den Zehn Geboten in ihrem Unglauben, sie haben Weltenbrände entfacht und sich zum Schöpfer aufgeschwungen. Also wird das Kind die Gesetzestafeln zurückbringen und die Erde dem Luzifer anvertraut. Wenn dann aber am Weihnachtsabend allerorten der Strom ausfällt, wird einer kommen und sagen: „Es ist nicht der Toaster. Das Ende der Welt ist nah!“

So genau kann das eigentlich keiner wissen in Harry Mulischs 1993 erschienenem Roman „Die Entdeckung des Himmels“. Doch Onno Quist (Stephen Fry) ist nicht nur ein großer Ironiker, sondern auch der leibhaftige Beweis dafür, dass die Klage über den verlorenen Glauben immer noch eine Sache der Atheisten ist. Im Übrigen hat er im göttlichen Plan die etwas undankbare Josefsrolle. Kindsvater wird sein Freund Max (Greg Wise), ebenfalls kein Heiliger Geist und nach Mulischs Aussage fast ein Ebenbild des Autors: der Sohn einer niederländischen Jüdin und eines österreichischen Nazis, der seinen inneren Zwiespalt als Frauenbeglücker auslebt. Aber er kann nichts für seine Affairen. Das himmlische Schicksal hat es so gewollt.

Ob der Himmel auch diese Verfilmung gewollt hat? 600.000 Niederländer können nicht irren. Das nationale Filmprojekt, das mit 9,1 Millionen Euro Produktionskosten auch teurer war als jedes zuvor, hat dem Land einen Hit beschert. Dabei ist Mulischs Jahrhundertroman zwar populär, aber nicht einfach. Auf 800 Seiten werden anhand einer intellektuellen, bisweilen zur Geschwätzigkeit neigenden Männerfreundschaft sämtliche Religionen und Ideologien verhandelt. Dazu kommen die europäische Kulturgeschichte und wohl jede obskure Wissenschaft, die Himmel und Erde irgendwie ins Verhältnis setzt: Max ist Astronom, Onno Philologe mit Spezialgebiet Kryptologie. Ganz zu schweigen von den biblischen Ausmaßen des Unternehmens. Die sorgen wenigstens für das richtige Ambiente. Am Schluss einer ziemlich holländischen Angelegenheit – mit Abstechern nach Kuba und Auschwitz – stehen Rom und eine Reise nach Jerusalem.

Wer nun an „Der Name der Rose“ denkt, liegt weder falsch noch richtig. Das Problem bestand für den Regisseur Jeroen Krabbé nämlich darin, aus einem Akademikerspaß trotzdem einen Film mit Schauwerten für das große Publikum zu machen. Es ist dem 58-Jährigen, den man eigentlich als Schauspieler kennt, im Großen und Ganzen gelungen.

Für ein Epos, schon per se eine Sache des Glaubens, ist das allerdings zu wenig. Glauben kann man hier an den Himmel, der nach den Kupferstichen des Architekten Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) gestaltet wurde. Ein unfassbar hohes, verliesartiges „Gebäude ohne Außenseite“ voller Treppen und Brücken, über die sich die Angestellten des „Chefs“ wie Ameisen den Weg bahnen. Besser als Hollywood. Rundum glaubwürdig auch Stephen Fry als Onno, übergebildeter Snob und Sohn des niederländischen Premierministers. Sollte nach diesem Film so was wie eine Kirche des skeptischen Mystizismus gegründet werden mit dem Wilde-Darsteller als Hohepriester – kein Problem.

Nur ausgerechnet im abenteuerlichen Finale gehen dem Film die Ideen aus. Die antiken Schauplätze – Pantheon, Lateran, Felsendom – lassen zwar jedes Humanistenherz höher schlagen. Aber sie sollen vornehmlich darüber hinwegtäuschen, dass das goldene Kind Quinten (Neil Newbon) und der schlaue Onno ziemlich wenig zu tun haben – wenn man die schweren Philologenrätsel um den Verbleib der Gebotstafeln lieber weglässt.

Dagegen gehört der erste Teil, der in einem verschlafenen Holland spielt, zu den gelungensten Momenten des neueren europäischen Films. Denn die Dreiecksgeschichte um Max, Onno und die schüchterne Cellistin Ada (Flora Montgomery) folgt Mulischs spezieller Mischung aus tödlichem Ernst, Gefühl und Ironie, die sich am Schluss nur noch durch heftiges Nachdenken erschließen. Es flirrt und funkt, und keiner merkt, dass das Schicksal sein böses Spiel mit ihnen treibt. Was die Ironie dabei ist? Nun, Gott mag seltsame Dinge tun, weil wir ihn nicht mehr beachten. Aber dieser besinnliche Weihnachtsfilm legt den Finger auf die Wunde: Er ist der einzige, den wir haben. Man muss das nicht unbedingt glauben. Man sollte es wissen.

„Die Entdeckung des Himmels“ („The Discovery Of Heaven“). Niederlande 2001, Regie: Jeroen Krabbé. Mit Stephen Fry, Greg Wise, Flora Montgomery, Neil Newbon, Emma Fielding u. a., 132 Minuten, Farbe

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