: Nachhilfe für Ulla Schmidt
In einem Thesenpapier formulieren Strategen aus dem Kanzleramt Leitlinien für die künftige Gesundheitspolitik. Sie fordern die Einführung von Wahltarifen und Eigenleistungen. Die Ministerin sieht das anders – und spricht von „Sandkastenspielen“
von STEPHANIE VON OPPEN
Ein internes Strategiepapier aus dem Bundeskanzleramt hat gestern in Berlin für Irritationen gesorgt. In dem Konzept werden unabhängig von Sozialministerin Ulla Schmidt und der Rürup-Kommission Vorschläge für Sozialreformen unterbreitet. Für die CDU Anlass genug, von einer „Demontage“ Ulla Schmidts zu sprechen.
Inhalte des Papiers, das sich eigentlich an Teilnehmer einer für Januar angesetzten Planungsklausur richtete, waren am Freitag durch den Tagesspiegel bekannt geworden. Unter dem Titel „Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Gerechtigkeit“ haben die Politstrategen im Kanzleramt auf 23 Seiten die wirtschaftliche und soziale Situation in Deutschland zusammengefasst und ihre Ideen dazu vorgestellt.
Neben der hohen Staatsverschuldung seien die hohen Lohnnebenkosten das Grundübel der momentanen Situation in Deutschland. Mit den Hartz-Reformen seien die ersten Schritte hin zu einer positiven Entwicklung schon gemacht, loben sich die Autoren des Papiers selbst. Nun müsse noch eine „konsequente Strukturreform der sozialen Sicherungssysteme“ her.
So wollen die Schröder-Strategen das Rentensystem sanieren, indem die Eigenvorsorge ausgebaut wird – eine Fortführung der auch von Sozialministerin Ulla Schmidt favorisierten Riesterrente. Für das Gesundheitswesen wird vorgeschlagen, direkte Verträge zwischen Ärzten und Krankenversicherungen möglich zu machen, eine Positivliste für Arzneimittel einzuführen und den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu fördern. Brisanter ist der Vorschlag, für Krankenversicherte Wahltarife und Eigenleistungen einzuführen – ein Konzept, das Ulla Schmidt bislang kategorisch ablehnt.
Doch im Sozialministerium gab man sich gestern gelassen. Ein Sprecher sagte in Berlin, die Vorschläge aus dem Kanzleramt seien „Sandkastenspiele“, bei denen „alle gedanklichen Alternativen durchgespielt“ würden. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgit Bender, wollte die Bedeutung des Papiers „nicht zu hoch hängen“. Es handele sich nur um eine „Ideensammlung“, sagte sie der taz.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Andreas Storm warf dem Kanzleramt vor, Ulla Schmidt zu „demontieren“ und die Rürup-Kommission zu „brüskieren“. Deren Arbeit würde durch die Aktivitäten im Kanzleramt abgewertet. Die FDP hingegen sprang sofort auf die Vorschläge an und sah sich in ihrer alten Forderung bestätigt, in der gesetzlichen Krankenversicherung Grund- und Wahlleistungen zu trennen. SPD-Reformer Sigmar Gabriel lobte das Konzept als „langfristiges Konzept“, das den „Flickenteppich“ der bisherigen Reformen überwinden helfe.
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