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Aliens zu Besuch

Mein schlimmstes Weihnachts- erlebnis hatte ich im Alter von zehn Jahren. Meine Mutter hatte beschlossen, dass wir beide mit ihrem Lebensgefährten und seinem Sohn feiern sollten. Was für eine tolle Idee! Ihr Freund war mir schon immer unsympathisch, und sein Sohn hatte bei mir nicht umsonst den Namen Monsterbaby. Als ich dann die Geschenke sah, die meine Mutter für Monsterbaby vorbereitet hatte, war Weihnachten für mich entgültig gelaufen: Alles ausgerechnet die Dinge, die ich mir schon IMMER gewünscht hatte.

Meine Mutter stand seit Stunden in der Küche, um das Festmahl vorzubereiten. Ich sollte mein Kleid anziehen. Ich weigerte mich, sollten die doch ohne mich feiern. Mit viel Geschrei und Blitzen der Wut in den Augen überzeugte meine Mutter mich dann doch noch. Kurze Zeit später betraten die beiden Festverderber das geschmückte Wohnzimmer.

Monsterbaby begann sofort, alle Süßigkeiten zu essen, die ich am liebsten mochte. In mir wuchs der Hass. Um 18 Uhr machten wir wie üblich die Bescherung. In geselliger Runde packten wir unsere Geschenke aus. Dieser blöde Typ meiner Mutter überreichte ihr natürlich ein riesiges Paket: Einen Videorecorder. Vielleicht war Monster- babys Vater ja doch ganz nett.

Meine Mutter servierte das Essen: Ente, Rotkohl und Knödel. Da die beiden Kerle unromantisch veranlagt waren, aßen wir nicht wie üblich bei Kerzenschein, sondern bei flutlichtartiger Beleuchtung. Um das tolle Geschenk für meine Mutter gleich auszuprobieren, hatte ihr nun doch so sympathischer Freund eine Videokasette ausgeliehen: „Ein super neuer Film, voll realitätsnah und ganz tolle Effekte“, fachsimpelte er. Name des beschaulichen Familienstreifens: „Alien“. Meiner Mutter blieb der Knödel im Hals stecken.

Nun bepöbelten sich die Erwachsenen. Wir Kinder saßen schön voneinander getrennt auf dem Boden und spielten mit unseren Geschenken. Monsterbaby und sein Vater verließen uns früher als ich es erwartet hatte.

Wiebke Teichert

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