Immer auf Tour für die Gerechtigkeit

68er, Gärtner, Pfleger, Betriebsrat, Kommunist und treibende Kraft des „Cafée mit Herz“ im ehemaligen Hafenkrankenhaus: Holger Hanisch blickt auf eine bewegte politische Biographie zurück. Und auf einen Freundeskreis, der an Aids starb

„Wenn ich politisches Bewusstsein entwickeln will, muss ich erst mal mit meinem eigenen Umfeld anfangen“, glaubt Hanisch.

von GERNOT KNÖDLER

Holger Hanisch, treibende Kraft der Obdachlosen-Tagesstätte Cafée mit Herz im ehemaligen Hafenkrankenhaus, hatte sein Damaskus-Erlebnis 1968 beim Roten Kreuz. „Ich musste bei den Studentenunruhen erleben, dass wir den Einsatzbefehl bekommen haben: Wenn Polizisten verletzt werden, sind sie vorrangig zu behandeln“, erzählt er. „Das hat mein Weltbild durcheinander gebracht.“ Dazu kam das Sterben im Vietnam-Krieg und der Kampf der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, bis er sich irgendwann mit der Frage befasste: „Wer sind denn die eigentlichen Übeltäter?“

Wenn der hagere 50-Jährige mit dem grauen Haar und der Ledermütze etwas nicht abkann, ist es Ungerechtigkeit. Als Ältester von fünf Geschwistern habe er oft die Streiche der jüngeren ausbaden müssen, erzählt Hanisch. Vater, Mutter und die Kinder hausten in einer 60-Quadratmeter-Wohnung im Karolinenviertel. Die Famile sei arm gewesen, der kriegsversehrte Vater habe die Wochenmärkte abgegrast, um Obst und Gemüse aufzusammeln, das andere weggeworfen hatten. Der Junge schleppte mit zwölf Jahren Bananenkisten bei Schümann in der Turnerstraße, und im Milchladen in der Marktstraße scheuerte er den Fußboden, um die Haushaltskasse aufzubessern.

Trotzdem hielt der häusliche Frieden nicht bis zu seiner Volljährigkeit. Mit 17 zog Hanisch in ein Jugendwohnheim. Eine Gärtnerlehre brach er ab, um sich ein Jahr bei der Diakonie zum Pflegehelfer schulen zu lassen. Doch auch die Kirche enttäuschte ihn. „Wie die Alten behandelt wurden; dass man keine Zeit hatte, sich um sie zu kümmern“, offenbarte Hanisch einen Widerspruch zwischen Wort und Tat. Der Spardruck sei schon damals so groß gewesen, dass die Pfleger putzen mussten, und die Ausbildung war nicht einmal staatlich anerkannt. Hanisch fühlte sich ausgenutzt und ging.

Als Telegrammbote der Post habe er anschließend den Kiez wie seine Westentasche kennen gelernt. Schließlich wechselte er zu Philips. „Dann fing auch meine gewerkschaftlich-politische Arbeit an“, erinnert er sich. Er trat der IG Metall bei, wurde in die Jugendvertretung und schließlich in den Betriebsrat gewählt, dem er mehr als 20 Jahre lang angehörte. Die Gewerkschaft sei damals ein rotes Tuch für die Unternehmensleitung gewesen. Durch eine „sehr gezielte, verdeckte Gewerkschaftsarbeit“ sei es ihm gelungen, 70 der 120 Mitarbeiter seiner Abteilung in der IG Metall zu organisieren, berichtet er stolz.

Irgendwann zu Anfang dieser Zeit sollte das Eimsbütteler Mietshaus abgerissen werden, in dem Hanisch wohnte. Er gründete eine Mieterinitiative, der sich 90 Parteien anschlossen. Die Häuser stehen heute noch. „Da ist mir bewusst geworden: Es reicht nicht aus, in einer Gewerkschaft zu sein, man muss sich auch in einer Partei organisieren“, sagt Hanisch.

Eigentlich habe er der SPD beitreten wollen, erzählt er. Aber die schurigelte ihre Jusos, weil sie an dem Protest gegen eine Fahrpreiserhöhung beim HVV teilnahmen. Also engagierte er sich bei der DKP. Mit Thälmann-Mütze und langen Haaren stellte er Propaganda-Schilder auf, organisierte Versammlungen und verkaufte das Parteiblatt Unsere Zeit. „Ich gehörte mit zu denen, die am meisten Zeitungen verkauften“, erzählt er.

Die Thälmann-Mütze trägt er in abgewandelter Form aus Leder heute noch. Mit der DKP habe er jedoch 1989 nach einer Reise in die untergehende DDR gebrochen. „Ich hab‘ den Funkis gesagt: Der Deckel des Kessels springt euch bald ins Gesicht, wenn ihr nicht auf die Bedürfnisse der Menschen aufpasst.“ Die Theorielastigkeit der Partei habe sich gerächt. „Wenn‘s ums Handeln ging, haben nur wenige den Arsch hochgekriegt“, erinnert er sich. Der fehlende Kontakt zur gesellschaftlichen Basis habe schließlich zur heutigen Bedeutungslosigkeit der Partei geführt.

„Wenn ich politisches Bewusstsein entwickeln will, muss ich erst mal mit meinem eigenen Umfeld anfangen“, glaubt Hanisch. Durch konkrete Arbeit habe er Kollegen zum Eintritt in die Gewerkschaft bewegen können, die so konservativ waren, dass er sich zunächst null Chancen ausgerechnet habe.

Ein Bereich, in dem sich die DKP Anfang der 80er Jahre von der Lebenswirklichkeit entfernt hatte, war die Homosexualität. Weil es immer mehr schwulenfeindliche Äußerungen in der Partei gegeben habe, gründete Hanisch die „Demokratische Schwulen-Initiative“ (Desi). Mit ihr sei es gelungen, die DKP von außen zu einer Revision ihres Programms zu bewegen.

1981 starben die ersten Schwulen an einer merkwürdigen Krankheit, die keiner kannte, geschweige denn heilen konnte. Hanisch verlor seinen Freund, ja: einen ganzen Freundeskreis. Mehr als 20 seien gestorben. Die Erinnerung an die „Schattenseite meines Daseins“ treibt ihm noch heute Tränen in die Augen. Hanisch entschied sich gegen ein Engagement in der Schwulenbewegung, weil ihm das große Sterben zu nah ging. Eine kleine, regebogenfarbene Solidaritätsschleife zeigt, dass trotzdem sein Herz für sie schlägt.

Sein Mandat als Betriebsrat und seinen Job bei Philips hängte er 1996 zusammen mit sechs von neun Kollegen an den Nagel. „Das, was wir vorher erreicht hatten an Zugeständnissen, sollte alles zunichte gemacht werden“, erinnert sich Hanisch. „Wir hätten uns nicht mehr im Spiegel ansehen können.“ Mit seiner Abfindung wollte er ein Café für Bedürftige in einem der ehemals besetzten Hafenstraßen-Häuser eröffnen. „Weil die Lage sehr schön ist“, sagt er. „Warum sollten Bedürftige nicht auch was davon haben?“

Die Beratungen des Hafenstraßen-Plenums zogen sich hin, während sich abzuzeichnen begann, dass das Hafenkrankenhaus endgültig geschlossen werden sollte. Hanisch half, die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ zu gründen, die sich gegen die Schließung des Krankenhauses richtete, und schließlich ein Sozial- und Gesundheitszentrum auf dem Gelände durchgesetzt hat. Sein Café für Bedürftige richtete er zunächst in der besetzten Stadtion D des damaligen Krankenhauses ein, als Reaktion auf den ersten Kältetoten im Herbst 1998.

„Neben der Heilsarmee waren wir die einzige Obdachlosen-Initiative“, erinnert sich Hanisch. In kürzester Zeit sei die Zahl der Gäste auf 200 am Tag angewachsen. Aus seinem jetzigen Gebäude muss das Cafée mit Herz in absehbarer Zeit ausziehen. Pläne für einen Neubau liegen vor, doch die Bezirksversammlung Mitte würde die Begegnungsstätte am liebsten nach Blankenese verbannen, weil es inzwischen zu viele Obdachlosen-Einrichtungen in St. Pauli gebe.

Während sich die Politiker verweigern, übt der Kiez Solidarität. Die 100 Mitglieder des Fördervereins für das Cafée – von Willi Bartels bis zum Golden Pudel Club – bringen die Hälfte des Budgets von mindestens 2000 Euro auf. Für den Rest zieht Hanisch mit der Sammelbüchse durch die Stadt. Sich für seine Ziele die Hacken abzulaufen, ist er ja gewohnt. Ein Anruf des Betriebsrates der Bergedorfer Hauni-Werke, der zu Weihnachten eine Spende von 800 Euro ankündigt, ist da höchst willkommen.