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III: Ruhig mal dick auftragen

Auch ein schöner Geist braucht etwas Rouge. Und das Gesicht die farbenfrohen Pinselstriche eines van Gogh. Zum Einsteigen hilft in Kreuzberg erst einmal Gisela

Gisela ruft noch mal an. Weiter voll Skepsis: Ein Mann im „Schminkworkshop“ ihres Frisörladens „Narziß“ (Untertitel: „Im Dienste der Schönheit“)? Störe das nicht die Frauen, die kommen? Auf ein Männergesicht gehöre sowieso keine Schminke. Nur ein Transvestit sei mal im Workshop gewesen. Na gut, lässt sie sich doch überzeugen, aber das Metermaß nicht vergessen!

„Vollendung“, steht auf dem Flugblatt von Giselas Frisörladen, „erfährt Ihr Erscheinungsbild durch das passende Make-up.“ Das „Berliner Zimmer“ ihres Ladens ist hell erleuchtet wie eine Bühne. Mehrere große Schminkspiegel hängen an den Wänden. Gisela schlägt generelles Duzen vor. Rose ist gekommen und Marion, beide um die 40 – beide ohne Metermaß. Dass ein Mann, ein Journalist auch noch, zuschaut: kein Problem.

Kein Problem? Es geht um Intimes: Abweichungen vom Schönheitsideal. Ziel sei die „Verschönerung der individuellen Schönheit“, heißt es im Flyer. Ist jeder Mensch schön? Gisela, blond, wohl Mitte 30, ist schön. Liegt das an ihrer Schminke?

Es geht los. Gisela fragt, warum wir hier sind. Rose, dunkelhaarig, große Augen, sagt, sie nehme seit 16 Jahren fast nur einen Kajalstift und Labello, nach dem sie wohl süchtig sei. Sie hätte aber jetzt „gern ein paar Tipps“ – auch wegen ihrer Schlupflider. Gisela schweigt. Marion, blond, rötliche Wangen, hat noch nie Make-up getragen. Darauf reagiere sie „relativ allergisch“. Ihr Anliegen: Schminktipps für besondere Anlässe. Ihre 18-jährige Tochter verbringe, bevor sie ausgehe, drei Stunden vor dem Spiegel: Was mache sie da?

Jetzt erläutert Gisela an einem Klippboard verschiedene Gesichtsformen. Das Frauengesicht unterteile sich im Idealfall in drei Drittel von jeweils 6 Zentimeter Länge: vom Haaransatz bis unter die Augenbraue, dann bis unter die Nase, von dort bis zum Kinn. Gisela gibt Empfehlungen zum Schminken der Augen: Bei tief liegenden Augen, das bleibt hängen, ist das Lid hell zu gestalten. Rose und Marion schreiben fleißig mit.

Gisela schaut sich Marions Augen an – ihre Brille hänge zu niedrig. Marion und Rose vermessen gegenseitig ihre Gesichter. Roses ist oval, Marion hat ein „klassisches rechteckiges Gesicht“, meint Gisela. Ihre Wangen seien ziemlich gut durchblutet. Und: Die Symmetrie eines Gesichts sei auch am Lachen zu erkennen, meint Gisela. Wer symmetrisch lache, sei glücklich. Wie Kinder: „Das ist mein Ansatz.“

Gisela empfiehlt eine Pause: Marion und Rose entdecken beim Schmalltalk, dass sie beide Physiotherapeutinnen sind. Rose erzählt, dass sie als Gesundheitsexpertin im Kosovo gearbeitet habe. Da seien die Frauen sehr schön, ihr Schminkstil aber etwas „nuttig“. Rose erzählt Marion, dass sie keine Kinder habe. Dann ist die Pause schon wieder zu Ende, Schönheit muss leiden. Gisela stellt Make-up-Marken vor: Billige Marken, das ist hart, könnten sich nur junge Frauen problemlos erlauben.

Dann wird es still im Schminkraum, Marion und Rose üben vor ihren Spiegeln mit Make-up, Lidstift und Lippenstift Schminken. „Hast du was an der Schilddrüse?“, fragt Gisela mit Blick auf Roses Augen. Rose hat kräftigere Farben genommen – sie sieht geschminkt aus. „Für ein Tages-Make-up ist es zu viel“, rät Gisela, „aber du kannst es gut tragen, solch dramatische Geschichten.“

Marion zeigt Rose Resultate ihrer Mühe. „Sieht toll aus“, sagt Rose. Sie will noch mal von vorne anfangen: weniger Dramatik. „Rose, du weißt das noch: deine Rouge-Linie?“, fragt Gisela ein wenig streng. Der Schminkkurs hat um 10 Uhr begonnen. Langsam wird es dunkel. Marion muss gehen, packt ihre Sachen und lässt sich von Rose noch ihre Telefonnummer geben. Rose pinselt noch etwas an ihren Augen herum. „Ich glaube, so können wir dich gehen lassen“, sagt Gisela gnädig. Rose und Marion sehen nun anders aus als zuvor: irgendwie schöner. Schönheit kommt nicht nur von innen.

PHILIPP GESSLER

Schminkworkshop im Frisörladen „Narziß“, Schönleinstraße 8 in Kreuzberg. Preise: wochentags 55, sonntags 65 Euro. Tel: 6 91 94 03

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