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wilde frische, zarte versuchung

Was hängt an der Wand und ist 356 x 252 Zentimeter groß? Das Großflächenplakat, das auf knapp 9 Quadratmetern Botschaften von Glück, Liebe und Zufriedenheit verbreitet. Für Konsumenten, versteht sich. Wie flüchtig dieses papierne Medium ist, wusste der Gebrauchsgrafiker Leo Uth. Von 1959 bis 1995 streifte er daher mit seiner Kamera durch die Straßen der Republik und dokumentierte in über 100.000 Aufnahmen die Außenwerbung als Spiegel der Wünsche und Träume einer Gesellschaft. Heute befindet sich seine Dia-Sammlung im Museum für Angewandte Kunst in Köln, wo sie von Gabriele Huster gesichtet und erschlossen wurde. Für ihr Buch hat sie Plakatmotive mit Männer- und Frauenbildern ausgewählt, anhand derer sie die Entwicklung der Geschlechterrollen in der Bundesrepublik nachzeichnen will. Die zahlreichen, oft farbigen Abbildungen schicken viele Betrachter auf eine Zeitreise in die eigene Geschichte – sofern sie die Motive zu ihrer Biografie in Be-ziehung setzen können. Wer diese Erfahrung allerdings nicht hat, dem wird auch der ausführliche erläuternde Text für die „Nachgeborenen“ kaum helfen. Zu oberflächlich sind die Bildbeschreibungen, zu allgemein die Verweise auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse und soziologische Forschungsergebnisse. Bild und Text ergänzen einander leider nicht im Geringsten. So ist der Band weder ein Katalog noch ein fundierter wissenschaftlicher Beitrag. Mit einer eindeutigen Parteinahme zugunsten der Plakatmotive, gut gegliedert und knapp erläutert durch prägnante Bildunterschriften, hätte ein Bildband entstehen können, der vor Augen führt, wie eng Werbebranche und Zeitgeist aufeinander bezogen sind.  SABINE VOGEL

Gabriele Huster: „Wilde Frische, Zarte Versuchung. Männer- und Frauenbild auf Werbeplakaten der fünfziger bis neunziger Jahre“, 142 Seiten Jonas Verlag, 20 €

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