: Spardame Politik – es geht noch kürzer
Der Senat spart an allem, was nicht ins eigene politische Konzept passt, hauptsächlich an Frauen und Mädchen, MigrantInnen und Homosexuellen. Die Rechtfertigung ist immer dieselbe: Jahrhundertealte Probleme werden per Senatsdrucksache für gelöst erklärt. Die Betroffenen stehen im Regen
von SANDRA WILSDORF
Immer wieder hat die taz hamburg im zurückliegenden Jahr über soziale Projekte berichtet, die sparen müssen oder ganz eingespart werden. Für den Senat sind das die ganz normalen Folgen einer veränderten politischen Schwerpunktsetzung. Für die Betroffenen ist es jedoch ein Paradigmenwechsel mit dramatischen Folgen auf zwei Seiten: Die, die Hilfe brauchen, bekommen sie jetzt in vielen Bereichen gar nicht mehr oder nur nach langer Wartezeit. Und viele von denen, die bislang geholfen haben, brauchen jetzt selber Hilfe: SozialpädagogInnen, PsychologInnen, ErzieherInnen und viele andere haben ihre Jobs verloren.
Hinter den vielen einzelnen Streich-Meldungen geraten die Dimension und die dahinter stehende Logik leicht aus dem Blick. Eine Zusammenstellung der Kürzungen im sozialen Bereich (siehe Kasten) soll beides erfassen – und kann doch nur ein Ausschnitt sein. Denn während sich viele Projekte Hilfe suchend an die Öffentlichkeit gewandt haben, sind andere weitgehend unbemerkt untergangen oder sparen schweigend. Nach eineinhalb Jahren Schwarz-Schill ist es Zeit für eine Stichprobe: Wie arbeiten die Projekte unter dem Spardruck? Was geht noch? Und was geht nicht mehr?
Besonders dramatisch sind die Kürzungen bei den Frauen- und Mädchenprojekten. Der Senat, inklusive Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) vertritt das Frauenbild der berufstätigen Mutter. Dieser müsse zwar mit Kindertagesstätten geholfen werden – was allerdings auch nicht geschieht – ansonsten aber sei Diskriminierung von Frauen ein Thema von gestern. Mit dem gleichen Argument – „in jeder Vorabendserie kommen Homosexuelle vor, das ist nichts mehr, was diskriminiert wird“ – wurden auch den entsprechenden Beratungsstellen, dem JungLesben-Zentrum und der AIDS-Hilfe Geld gestrichen. Und auch bei Migranten sieht der Senat keinen Integrationsbedarf mehr. Jahrzehnte- und jahrhundertealte Probleme werden per Senatsdrucksache in Hamburg für gelöst erklärt.
Viele Mitarbeiterinnen von Trägern aus dem Bereich der plötzlich ungeliebten Frauen- und Mädchenarbeit klagen über ein komplett verändertes Klima im Umgang mit den Behörden: für ihre Arbeit bekommen sie kaum noch Wertschätzung, das Wort „feministisch“ haben sie tunlichst aus ihren Projektbeschreibungen zu streichen, und eine inhaltliche Diskussion findet nicht mehr statt. Die fünf autonomen Hamburger Frauenhäuser beispielsweise sind ständig überfüllt und müssen Frauen in andere Bundesländer vermitteln. Trotzdem wurden ihnen über sieben Prozent des Etats gestrichen. Auf alle Häuser verteilt entspricht das einer Summe, mit der ein 30-Plätze-Haus ein ganzes Jahr betrieben werden kann. Die Häuser sind jetzt auf Sachspenden angewiesen.
Die Folge des Sparens ist weniger Betreuung. Früher war eine Mitarbeiterin rechnerisch für 5,5 Frauen zuständig, jetzt für acht. Außerdem müssen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen ihren ganzheitlichen Ansatz verabschieden und sich darauf beschränken, ein Haus zur Verfügung zu stellen, in dem Frauen und ihre Kinder Schutz finden. Wie eine Frau aus der Schuldenfalle oder einer gewaltvollen Beziehung findet, wie sie sich ein neues und selbständiges Leben aufbauen kann, solche Fragen soll sie künftig nicht mehr mit Frauenhaus-Mitarbeiterinnen besprechen dürfen. Diese müssen sie stattdessen an externe Beratungsstellen vermitteln.
Ein Ansatz, der ebenso am Schreibtisch entstand wie die Vorgabe, dass die Frauen nicht länger als drei Monate im Frauenhaus bleiben sollen. „Sich ein neues Leben aufzubauen dauert in der Regel mindestens ein halbes Jahr“, sagt eine Frauenhaus-Mitarbeiterin. Und noch etwas macht deutlich, dass der Politikwechsel nicht nur mit Geld zu tun hat: Statt im Bereich „Soziales und Rehabilitation“ sind Frauenhäuser bei der Sozialbehörde jetzt im Referat „Obdachlosigkeit“ angesiedelt.
Dass dem Senat frauenspezifische Sorgen nicht am Herzen liegen, haben auch die psychosozialen Frauenberatungsstellen in Wandsbek, Winterhude, Harburg und Altona erfahren. Es wurde so heftig gespart, dass die Mitarbeiterinnen der BIFF Wandsbek vor die Wahl gestellt wurden, entweder ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder sich in die BIFF Winterhude zu integrieren. Sie entschieden sich für letzteres, die Beratungsstelle in der Kattunbleiche gibt es nicht mehr. In Eimsbüttel wurden drei Mitarbeiterinnen kurzfristig entlassen, es gibt weniger offene Beratungen und als Gruppenangebot nur noch eine Trennungsgruppe. Die Gruppen zu Mobbing, Identitätsfindung und Coming Out sind eingestellt. „Täglich rufen Frauen an, die wir wegschicken müssen“, sagt Heike Peper von der BIFF-Eimsbüttel. Statt einer Selbsthilfegruppe müssten jetzt viele Frauen auf teure Therapieplätze ausweichen, auf die sie meist auch noch warten müssen.
Die BIFF Eimsbüttel ist auf Krisenintervention spezialisiert und bietet Frauen in Not einmal pro Woche ein psychotherapeutisches Beratungsgespräch an. Früher ging das ohne Wartezeit, jetzt nicht mehr. Wer nicht warten kann, muss ins Krankenhaus. Auch für Vernetzung mit anderen Stellen gibt es kein Geld mehr. „Die stellen sich unter Vernetzung wohl vor, dass wir Kaffee trinken und darüber nachdenken, wie wir diesen Senat stürzen können“, sagt eine Mitarbeiterin.
Dass es dem Senat suspekt ist, wenn Frauen unter sich bleiben wollen, zeigt sich auch an der Kürzung bei den Interkulturellen Frauenbegegnungsstätten in Altona und St. Pauli: Ihnen wurde ein Viertel des Etats gestrichen. Der Altonaer Standort schließt in diesen Tagen, die Stelle einer Sozialpädagogin wird nicht nachbesetzt, die anderen haben ihre Stunden reduziert. Und: Die Frauenbegegnungsstätten sollen sich für Männer öffnen. „Vermutlich wird dann die Hälfte unserer Frauen nicht mehr kommen“, schätzt Nebahat Güclü, Mitarbeiterin des Trägervereins „Interkulturelle Begegnungsstätten IKB“. Denn ihre Ehemänner lassen die Frauen nur gehen, wenn sie sicher sind, dass sie draußen keine anderen Männer treffen. Diese Frauen zu integrieren ist die unlösbar gewordene Aufgabe der Begegnungsstätten. Eine schon jetzt doppelt diskriminierte Gruppe wird sich selbst überlassen.
Auch arbeiten sollen Frauen lieber gemischt: Der beruflichen Autonomie für Frauen (BAFF) nahm der Senat ebenfalls ein Viertel des Etats und schickte weniger Teilnehmerinnen. Folgen: Die Metallwerkstatt wurde geschlossen, die Anleiterin entlassen. Für 2003 wird es weitere Kürzungen geben, der Träger muss fusionieren, möglicherweise auch die Frauentischlerei schließen. Das ist deshalb dramatisch, weil dann die einzige Stelle in Hamburg verschwindet, in der Frauen in typischen Männerberufen unter Frauen arbeiten können.
Was bleibt, ist der Glaube des Senats, es gebe keine Diskriminierung mehr – und die Gewissheit aller anderen, dass das ein Irrglaube ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen