piwik no script img

Wintermonde in den Fjorden Norwegens

Mit dem Schiff unterwegs im hohen Norden: Beschauliche Tage zwischen angenehmer Dunkelheit und den warmen Lichtern der Seezeichen

von WOLFGANG GAST

Es gibt Momente, da fragt man sich ernsthaft: Warum tue ich mir das an, warum mache ich nur mit? So zum Beispiel, wenn man auf dem vereisten Gummiwulst eines Zodiac-Bootes sitzt, einem der Schnee waagrecht ins Gesicht schlägt und das Schnellboot mit 70 Stundenkilometern über den Porsangen-Fjord fährt. „Deep Sea Rafting“ nennt sich das – eines der eiskalten Abenteuer, die der 30-jährige Hugo Salamonsen von „North Cape Adventures“ im Angebot hat.

Der Himmel ist schwarz, und als es aufhört zu schneien, erleuchten die Sterne, schimmern rechts und links die schneebedeckten Berge im Lichtschein des Mondes. Zwei Tage noch und es ist Vollmond. Langsam kriecht die Kälte auch durch den Spezialanzug, der einen warm halten und bei einem Fall ins kalte Wasser schützen soll. Mehr als eine halbe Stunde dauert schon die Rückfahrt von der Besichtigung der Lachsaufzuchtstation. Wieder im hellerleuchteten Hafenbecken von Honningsvåg angekommen – 32 Kilometer südlich von Europas nördlichstem Punkt, dem Nordkap –, ist die Erleichterung denn auch groß.

Was sich wie ein nächtlicher Bootsausflug liest, ist unter den geografischen Bedingungen weit über dem Polarkreis ein simpler Nachmittagsausflug. Gegen 16 Uhr entschwindet das letzte Licht in orangefarbenen Pastelltönen. Und morgen, wenn die Reise nach überstandenem Deep Sea Rafting mit dem Kreuzfahrtschiff der „Hurtigruten“ gemächlich weitergeht, wird die Sonne am Nordkap um 11 Uhr 37 den Horizont ein letztes Mal berühren. 67 Tage lang wird sie anschließend nicht mehr aufgehen. Es beginnt die arktische Nacht. Für viele die Zeit der Dunkelheit und der Depressionen, für immer mehr Reisende aber auch eine Gelegenheit, die winterliche Ruhe zu genießen, Sterne zu beobachten und auf die Aurea Borealis, das Polarlicht, zu hoffen.

Ein Ausflug zum Nordkap von Honningsvåg aus ist ein Abstecher von der arktischen Kreuzfahrt, von der „schönsten Seereise der Welt“, wie die norwegische Schiffahrtsagentur die Seereise entlang der Küsten Skandinaviens nennt. Ob Hundeschlittentouren, ein Trip zur norwegisch-russischen Grenze bei Kirkenes oder der Besuch eines Samen-Dorfes in der Finnmark – das alles ist nur Beiwerk. Die eigentliche Attraktion ist und bleibt die Schiffsreise selbst: Die grandiose Fjordlandschaft, die schneebedeckten Berge, einsame Inseln und kleine Ortschaften, die sich an die Berghänge zu klammern scheinen. Über weite Strecken scheint hier menschliches Leben nur schwer vorstellbar. Umso mehr überrascht die hohe Zahl der kleinen Orte, die sich bis weit in den hohen Norden hinziehen und durch die „Hurtigruten“ verbunden sind.

Seit am 2. Juli 1893 das erste Postschiff von Bergen in Richtung Hammerfest in See stach, hat sich in puncto Komfort zwar einiges geändert, vieles von der ursprünglichen Atmosphäre ist jedoch lebendig geblieben. Stand lange Zeit der Transport von Post und anderen Waren in den auf dem Landweg nur schwer zugänglichen Norden im Vordergrund, so sind die Hurtigruten heute eine Mischung aus erholsamer Seereise und alltäglichem Transportmittel für die Küstenbewohner.

Fragt man diejenigen, die schon einmal mit den Postschiffen unterwegs waren, was sie für die Hauptattraktion halten, dann ist es die Natur – das gilt im Sommer wie im Winter. Aber es ist auch die gelassene Atmosphäre an Bord, die fernab von jeglicher Hektik für einen angenehmen Aufenthalt sorgt. Nicht zu vergessen die vierunddreißig Häfen, die innerhalb der zwölftägigen, 2.500 Seemeilen langen Reise von Bergen im europäischen Nordmeer bis nach Kirkenes in der Barentssee und zurück angelaufen werden.

Entlang der gesamten Strecke reihen sich die landschaftlichen Schönheiten wie Perlen an einer Kette. Ob die „Syv Søestre“, die Bergformation der „Sieben Schwestern“ oder der Torghatten, der Berg mit einem großen Loch in der Nähe von Brønnøysund – um die Inseln und Berggipfel an der zerklüfteten Fjordküste ranken sich etliche Sagen. Besonders eindrucksvoll ist die Fahrt zu den Lofoten, wenn die dramatische, 100 Kilometer breite Lofotenwand in Sicht kommt. Diese Fahrt durch den Raftsund zwischen den Lofoten und den Vesterålen ist ein mehr als eindrucksvolles Schauspiel.

In den Wintermonaten wird es an Bord der Hurtigruten-Schiffe beschaulich. Die Auslastung der Schiffe ist gering, man befindet sich unter Gleichgesinnten. Dank des Golfstroms wird es nicht so kalt, wie man vermuten würde, und die trockene, frische Luft wird von vielen als angenehm empfunden.

Die Dunkelheit darf man sich dabei nicht als schwarze Wand vorstellen: ein warmer Lichterreigen blinkender Seezeichen, der wohnliche Schein der am Ufer liegenden Häuser und Ortschaften, und das flirrend-funkelnde Nordlicht lassen das Licht auf eine ganz besondere Weise erscheinen.

Wenn die Landwege unpassierbar werden, wird den Passagieren die Bedeutung der Hurtigruten für die Küstenbevölkerung deutlich. Ihre Funktion als Postschiffe haben die Boote der Hurtigruten zwar in den vergangenen 15 Jahren weitgehend verloren. Die Post erreicht den Norden weitaus schneller per Flugzeug – nur im Winter, wenn die Straßen zugeschneit und die Flugzeuge wegen schlechten Wetters Startverbot haben, werden die schwimmenden Luxus-Hotels wieder zum Postdampfer. Der Transport entlang der Küste rechtfertigt heute aber nicht mehr die Subventionen, die der norwegische Staat in den Unterhalt der Linie bis dato steckt. In den Neunzigerjahren wurde daher im Reichstag beschlossen, die Mittel für die Hurtigruten so zu reduzieren, dass die Linie ab 2002 wenigstens im Sommer sich selbst finanzieren muss. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Honningsvåg, 11.45 Uhr: Die „MS Nordkap“ legt ab. Nördlicher führt die Reise nicht mehr. Der Ausflug zum Nordkap geht per Bus über die Insel Magerøya. Dass das Nordkap streng genommen gar nicht der nördlichste Punkt Europas ist, sondern das benachbarte Kap Knivskellodden, das stört die meisten wenig. Auch den italienischen Forschungsreisenden Pietro Negri nicht. „Hier stehe ich am Nordkap, an der äußersten Spitze Finnmarks, am Ende der Welt. Hier, wo die Welt endet, endet auch meine Neugierde, und ich wende mich zufrieden nach Hause“. Das schrieb Negri im Jahr 1664. Sein Satz gilt heute noch.

Literatur: „abenteuer und reisen“, Sonderheft: „Kreuzfahrten, Abenteuer Weltmeere“. November 2002, 8 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen