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„Die Stadt wird ärmer – und frecher“

Gabriele Hoffmann ist seit 30 Jahren Hellseherin. Sie lebt nicht schlecht davon, obwohl sie sich einen Leierkasten gekauft hat, falls alle Stricke reißen. Als Optimistin sieht sie in jeder Krise eine Chance, gleich ob es die Liebe, Berlin oder die taz betrifft

Interview WALTRAUD SCHWAB

taz: Frau Hoffmann, wie sind Sie Wahrsagerin geworden?

Gabriele Hoffmann: Ich hab schon als Kind vorhersagen können, was passiert. Später hab ich Krankenschwester gelernt. Im Krankenhaus hat meine Fähigkeit mitunter auch geholfen. Das hat sich rumgesprochen. Irgendwann standen die Leute schon vor der Türe, wenn ich nach Hause kam.

Was haben Sie denn als Kind gesehen?

Ich hab im Vorfeld gespürt, wenn was passiert. Je näher ein Ereignis rückte, umso stärker wurde die Unruhe. Als mein Opa starb, hab ich Tage vorher eine Spannung und Ängstlichkeit in mir drin gehabt, die genau im Augenblick seines Todes entwich.

Gibt es das nicht öfters beim Tod eines Angehörigen?

War nur ein Beispiel. Jedenfalls ist es mir als Kind oft so gegangen: Wenn ich mit jemandem gesprochen hab, hab ich plötzlich, ohne dass ich in einer bewussten Trance war, neben der Person ein Bild gehabt. Wenn ich mich auf das Bild konzentriert hab, hat sich das bewegt und war eine Szene. Von den Farben her war es heller und durchsichtiger als die Realität.

So ähnlich wie die Erscheinungen von Fatima und Lourdes?

Das weiß ich nicht.

Beim Hellsehen sehen Sie die betreffende Person agieren?

Ich weiß ja auch nicht, warum es funktioniert, ich weiß nur, dass ich das erlebe. Wenn mir jemand gegenübersitzt und ich in Trance komme, dann ist das, wie wenn ich mit dem Wesenskern des anderen Menschen verschmelze.

Sie werden zu ihm?

Ich bin er und gleichzeitig ich. Ich sehe sein Leben aus seiner Perspektive und bin doch noch ich. Und dann kommen diese Bilder. Ich sehe, was passiert.

Bekommen Sie Ihre Informationen nicht über den ersten Eindruck einer Person?

Natürlich habe ich im Laufe der Jahre eine gute Lebenserfahrung entwickelt. Ich kann Menschen einordnen, aber das hat mit meinen Fähigkeiten nichts zu tun. Als Kind hatte ich ja keine Menschenkenntnis. Man braucht diese Unbedarftheit, um sehen zu können. Wenn man erst mal eine Meinung im Kopf hat, lässt man sich auf die gesehenen Bilder nicht mehr so ein. Ich würde nie im Freundeskreis, in der Familie hellsehen. Weil die Gefahr besteht, durch das Wissen um die Personen Bilder und Szenen zu interpretieren. Da bin ich nicht frei.

Haben Sie andere Berufsprinzipien?

Ich würde nie eine Sitzung machen mit einem Menschen, der in seiner Entwicklung unter 25 Jahre alt ist.

Warum nicht?

Eine Sitzung ist immer eine Form von Beeinflussung. Wenn die Beeinflussung dem Menschen eine Übersicht, eine Klarheit gibt, dann ist es gut. Wenn es aber dazu führt, dass jemand in Ängste gerät oder den Boden unter den Füßen verliert, dann darf man so eine Sitzung nicht machen. Und ich finde es total brutal, zu einem jungen Menschen, der meinetwegen 19 ist, zu sagen, die nächste Liebe ist süß, die übernächste wird dich ins Unglück stürzen, aber die fünfte, die wird’s. Damit versau ich dem Menschen ein Stück Zeitqualität.

Wonach fragen die Leute?

Viel nach dem persönlichen Schicksal. Also wie sich jemand beruflich entwickelt. Ob er aus der Arbeitslosigkeit rauskommt. Ob er sich im Studium anders orientiert. Ob er die Liebe seines Lebens findet. Ob er gesund wird. Ob er operiert wird.

Man erwartet Positives von Ihnen. Was machen Sie, wenn Sie den Tod von einem Klienten vorhersehen?

Wenn der Tod bevorsteht, dann würde ich das niemals sagen. Das zieht jedem den Boden unter den Füßen weg.

Ich hätte keine Lust, mir die Zukunft vorhersagen zu lassen.

Ängstlich sind die, die zufrieden sind.

Haben Sie auch Visionen, die sich auf die Politik beziehen?

Ich kann mich nicht hinsetzen, mich auf Deutschland konzentrieren und sagen: „Ich sehe in Deutschland dies und das.“ Ich wüsste nicht, wo ich mich in dem Bild anklicken sollte. Aber wenn Menschen zu mir kommen, die in ein Geschehen involviert sind, was das Land oder Berlin betrifft, dann kann ich dazu was sagen.

Was?

Ich hab Anfang 70er-Jahre gesehen, dass Ende der 80er-Jahre die Mauer fallen wird. Und ich hab gesehen, dass wir anderes Geld bekommen. Jetzt bin ich überzeugt, dass der Euro gemeint ist. Ich hab auch schon Anfang der 70er-Jahre gesagt, ich zahl keine Rentenbeiträge, weil ich später keine Rente kriege. Deshalb hab ich mir vom Honorar für mein erstes Buch einen Leierkasten gekauft. Wenn alle Stricke reißen, dann zieh ich durch Berlin und verdien so mein Geld. Bei vielen Klienten, die zu mir kommen, hab ich gesehen, dass sie bis 70 arbeiten. Man kann von den Schicksalen der Menschen was ableiten.

Eine gesellschaftliche Entwicklung?

Ja, aber da braucht man Jahre zu. Und was die Situation Berlins betrifft: Auf der einen Seite hab ich Recht gehabt, die Mauer ist gefallen. Auf der anderen Seite hab ich mich geirrt, als ich versucht hab, die Bilder zu deuten. Ich hab gesagt: Wenn die Mauer über Nacht fällt, ohne Blut, ohne Krieg, wenn wir anderes Geld kriegen, dann heißt das: Der Russe krallt uns. Heute vermeide ich es, Bilder und Szenen, die ich in Trance sehe, zu interpretieren.

Das ist doch die Arbeit, die Sie leisten müssen, wenn jemand sie abfragt.

Wenn ich mit Menschen zu tun hab, mach ich das, weil es direkter und klarer ist, aber globale Ereignisse sind ganz anders zu deuten.

Sehen Sie dennoch für Berlin schwarz?

Die nächsten 14 bis 16 Jahre geht das weiter bergab. Ich sehe zum Beispiel, dass alles, was mit Geld in Berlin zu tun hat, noch mehr eingespart und gestrichen wird. Es werden einige Löcher im sozialen und schulischen Bereich gestopft, aber es bleibt Flickwerk.

Muss man für so eine Erkenntnis hellsehen können?

Ich kann nur das sagen, was ich weiß. Ich sehe doch auch was ganz Tolles. Berlin wird noch internationaler. Berlin war vor dem Mauerfall vom Publikum her unheimlich Provinz. Gehen Sie mal jetzt durch die Stadt, Sie hören viel mehr Englisch, Holländisch, Französisch. Und Berlin wird krasser. Die Kontraste werden stärker. Berlin wird frecher, lebendiger, verrückter und viel, viel kreativer.

Kreativität, die aus der Not geboren ist?

Ja.

Solche Bilder sehen Sie in Trance?

Ich zieh das aus den Klienten, die zu mir kommen. Es kommen Hotelbesitzer. Ich sehe, ob die ihr Haus besetzt haben oder nicht. Es kommen Künstler. Da sehe ich, dass die durch die Einsparungen gezwungen sind, sich mit ihrem Ensemble auf eigene Füße zu stellen. Es ist so viel abzuleiten.

Also ist Berlin der richtige Ort für eine schwierige Zeit?

Ich hab letztens Eberhard Diepgen getroffen. Er sagte zu mir: „Na, was meinen Sie denn zu Berlin?“ Er war ohne Hoffnung für die Stadt. Und er meinte, ob das jetzt diese Partei ist oder seine eigene, überall sind nur Knallköppe am Werk. Ich hab gesagt: „Wissen Sie, Berlin hat schon ganz anderes überstanden.“ Gucken sie mal in Zeiten, wo in der Stadt nichts los war, da sind die Berliner in eine Bürgerlichkeit gefallen, die überhaupt nichts mehr mit Berlin zu tun hat. Nichts Freches, nichts Widerständiges. Da ist die Schnauze groß geworden und das Herz ganz klein.

Solange die Menschen zu kämpfen haben, werden die Dienste der Wahrsagerin gebraucht.

Liebeskummer wird es immer geben.

In Ihre Praxis kommen Künstler, Politiker, Wissenschaftler? Herr Wussow ist Ihr Klient?

Hat er ja selbst gesagt. Früher fand ich das ganz schick, wenn Promis sich zu mir bekannt haben.

Wer?

Dunja Rajter, Ivan Rebroff, Thomas Fritsch, Udo Lindenberg, Hildegard Knef, Roy Black, Helga Feddersen.

Die waren alle hier? Sind die so unglücklich?

Es gab Zeiten, wo sie sich um sich selbst gedreht haben. Es gibt auch Politiker, die kommen. Die sagen, ich hab eine Kanzlei. Lohnt es sich für mich, mich für diese oder jene Sache aufstellen zu lassen?

Geht es immer um den persönlichen Vorteil?

So sind die Leute. Unterschätzen Sie nicht, wie frei Geld macht.

Wie arbeiten Sie? Mit Karten, mit Kugeln, mit Handlesen?

Ursprünglich hab ich die Karten benutzt wie meine Oma. Musik und Hellsichtigkeit liegt in der Familie.

In der weiblichen Linie der Familie?

Ja. Es ist eine Gabe. Da braucht man große Intuition dazu. Auch Offenheit und Arglosigkeit. Warum das nur die Frauen in unserer Familie können, weiß ich nicht. Ich hab aber auch festgestellt: Wenn man in Trance geht und mit dem Wesenskern des Menschen verschmilzt, dann ist da ein ganz elementarer Unterschied zwischen Mann und Frau.

Welcher?

Mann und Frau sind in ihrer emotionalen und seelischen Struktur so unterschiedlich wie Vogel und Fisch. Männer sind simpler. Männer haben 1.000 Schubladen und Frauen haben eine Million. Das ist eine eigenartige Sache. In der Psychologie sagt man, der Mensch ist, was er ist durch soziales Umfeld und Erziehung. Natürlich ist da was dran, aber die männliche und die weibliche Prägung in den Gefühlen, im Gehirn, die hat was mit der Entstehung des Mannes und der Frau zu tun.

Ist es leichter, in das Wesen einer Frau einzusteigen?

Leichter nicht, aber spannender, interessanter, schöner. Ich bin kein Männerfeind. Ich finde die nicht schrecklich. Aber ich muss ehrlich sagen, wenn man nach der Evolutionslehre geht, vom Fisch zum Affen zum Menschen, dann war erst der Mann und dann die Frau. Also sind Frauen in der Evolution ein Stücke weiter. Ich mein, es gibt auch doofe Frauen.

Außer Hellseherin sind Sie Astrologin?

Seit 15 Jahren. Hellsehen ist ein Talent. Astrologie dagegen kann jeder normal intelligente Mensch lernen. Ich weiß, dass die Medien gerade zum Jahreswechsel ganz bestimmte Aussagen erwarten, aber ich kann nichts sagen, was ich nicht sehe, nur weil ein Knaller erwartet wird. Die Astrologie ist aber anders als die Hellseherei. Die Astrologie zeigt von der Planeten- und Sternenkonstellation eine Zeitqualität für ein Thema, eine Sache. Das heißt nicht, dass es genauso wird. Beim Wahrsagen ist die Aussage präziser.

Schwierig zu glauben.

Ich weiß das. Das Wahrsagen hat so was Klischeehaftes, so was Unseriöses, so was Hexiges in der öffentlichen Meinung.

Haben Sie sich jemals geirrt?

Ich wäre kein Mensch, wenn dem nicht so wäre.

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