Sexuelle Belästigung auf der Straße: Keine Gleichberechtigung in Sicht
Straßen und Plätze sind für Frauen gefährliche Orte – auch in Deutschland. In einer aktuellen Umfrage sagt jede dritte, dass sie schon verfolgt wurde.
Mit dem Schlüsselbund in der Hand – und dabei jeweils einen Schlüssel spitz hervorschauend zwischen die Finger gesteckt – so geht es nachts nach Hause. Nicht den schönen und kürzeren Weg am Fluss, sondern an der beleuchteten Straße entlang. Die Kapuze auf dem Kopf, um möglichst nicht aufzufallen, doch gleichzeitig mit großen, bestimmten Schritten und erhobenem Kopf, um nicht schwach zu wirken. Am besten in Turnschuhen, damit es sich schneller wegrennen lässt.
Das sind nur einige Strategien, die Frauen anwenden, um sicher zu Hause anzukommen. Übertrieben, denken nun sicher einige.
Eine repräsentative Befragung des Instituts Ifop zeigt, dass diese Strategien leider eine Notwendigkeit haben, denn: Die Straße ist häufig ein gefährlicher Ort für Frauen. Die Umfrage, von der Jean-Jaurès-Stiftung in Paris in Auftrag gegeben, besagt, dass in den USA jede zweite Frau auf der Straße sexuelle Belästigung erfahren hat. In Großbritannien sind es 43 Prozent in Deutschland 36 Prozent. Jede dritte Frau gibt an, dass sie in Deutschland bereits auf der Straße verfolgt wurde, jede zehnte Befragte, dass sie Opfer sexualisierter Gewalt auf der Straße geworden ist.
Trotz der seit über einem Jahr anhaltenden #MeToo-Debatte ist das eine Problematik, die zu wenig thematisiert und skandalisiert wird. Geht es in Politik und Medien um die Frage der Gleichberechtigung, heißt es hingegen häufig, wir wären jetzt ja fast so weit. Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen, seit 13 Jahren haben wir mit Angela Merkel eine Frau als Kanzlerin, jetzt brauchen wir nur noch gleichen Lohn für gleiche Arbeit, weibliche Personen in Führungspositionen und dann haben wir sie schon – die gleichberechtigte Gesellschaft.
Gewalt und die Angst davor
Leider nein. Viel gewonnen wäre nämlich nicht, wenn eine Frau zwar Top-Managerin werden kann und sich dann vor ihrem Weg vom Büro nach Hause fürchten muss. Denn obwohl bessere Löhne und Aufstiegschancen für Frauen zur Gleichberechtigung beitragen, ist es doch vor allem strukturelle Gewalt und die Angst davor, die Frauen einschränkt und benachteiligt.
Die findet nicht nur am Arbeitsplatz und auf der Straße, sondern auch im eigenen Zuhause statt. Das zeigt die Statistik zu Partnerschaftsgewalt des BKA, die Familienministerin Franziska Giffey am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
Dass dem Problem nicht größere Aufmerksamkeit zukommt, hat verschiedene Ursachen. Eine davon ist, dass die Lösung nicht so einfach auf der Hand liegt. Mit Quoten kommt man in diesem Fall nicht weiter. Die Gesellschaft muss sich verändern, damit Frauen ohne Angst eine Beziehung führen und sich zu Hause, am Arbeitsplatz und auf der Straße sicher bewegen können.
Dafür muss politische und gesellschaftliche Verantwortung übernommen werden. Der erste Schritt wäre wie immer, überhaupt anzuerkennen, dass wir ein Problem haben. Zu häufig ist von Einzelfällen die Rede, von eben diesem einen gruseligen Mann.
Die Gesellschaft ist das Problem
Dabei ist es unsere patriarchale Gesellschaft, die problematisch ist. Das Verständnis von Männlichkeit, in dem Gewalt noch immer einen Part einnimmt, ist schädlich. Darauf zu achten, liegt nicht nur im Aufgabenfeld der Politik und Medien, sondern an jeder*m Einzelnen.
Doch allein darüber zu reden, reicht nicht. Auch Gesetze können helfen. So müssen Catcaller – also Menschen, die verbale Belästigung auf der Straße ausüben – bestraft werden, wie es beispielsweise seit diesem Jahr in Frankreich der Fall ist. Zudem muss die Bundesregierung mehr Geld zur Verfügung stellen für Aufklärungsarbeit, Kampagnen und Hilfetelefone.
In Frankreich sind für den kommenden Samstag verschiedene Demos angemeldet. Unter dem Motto „Wir alle“ soll ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt gesetzt werden. Es ist ein erster Schritt, um dem Problem eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Damit Frauen in Zukunft frei wie ein Mann entscheiden können, ob sie ihr letztes Bargeld für ein weiteres Bier in der Bar oder für das Taxi, das sie nach Hause bringt, ausgeben möchten.
In einer gleichberechtigten Welt könnten sie ein letztes Bier trinken und danach gemütlich nach Hause laufen – mit dem Schlüssel in der Tasche.
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