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Kundgebung gegen die AfD und Rechtsextremismus in Frankfurt am Main im Januar 2024 Foto: Müller-Stauffenberg/imago

Analyse der Demos gegen RechtsextremeTausendmal Tausende für Vielfalt

Bis Ende Februar haben fast vier Millionen Menschen gegen Rechts demonstriert. Daten der taz zeichnen das Bild einer vielfältigen Bewegung.

J etzt machen wir Lärm gegen Rechts“, ruft Daniela Schöne-Fechtner ins Megafon. Sie ist die Veranstalterin einer Demo und Lehrerin von Schü­le­r*in­nen in Frankfurt am Main. Etwa 200 junge Menschen trommeln dort am 16. Februar, sie pfeifen und halten Schilder hoch. Zwei Kinder haben ein Bild mit Regenbogen gemalt. Am oberen Rand des Bildes steht: „Wir sind anders“.

Die Schü­le­r*in­nen hätten im Politikunterricht von ihren Ängsten gesprochen, sagte Schöne-Fechtner dem Hessischen Rundfunk. „Das lasse ich nicht so stehen.“ Auf der Demo können die Schü­le­r*in­nen nun Lärm machen und ihre Stimme gegen Rechtsextremismus erheben. Der Neuntklässler Miguel Mendes sagte: „Ich habe Angst, dass meine Familie abgeschoben wird und dass wir kein Zuhause mehr hier haben“.

Die Demonstrierenden in Frankfurt sind ein kleiner Teil einer großen Bewegung. In den vergangenen Wochen hat es in Deutschland weit über 1000 Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für ein vielfältiges Zusammenleben gegeben. Dabei gingen je nach Quelle zwischen 3,7 und 4,9 Millionen Menschen auf die Straße – für die taz haben wir die Zahlen für mehr als 1250 Demos zwischen dem 12. Januar und dem 25. Februar zusammengetragen. Unterstützt wurden wir von hunderten Leser*innen, die uns Hinweise auf Veranstaltungen zusandten.

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Auslöser für die Protestwelle waren Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv am 10. Januar über ein Treffen von Neonazis, an dem Politiker der in bedeutenden Teilen rechtsextremen AfD sowie einzelne Mitglieder der CDU und der rechtsradikalen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Dabei ging es auch um Pläne, nichtweiße Menschen und Menschen mit ausländischen Wurzeln auszubürgern und zu vertreiben. Einzelne Teil­neh­me­r gingen zwar gegen die Recherche vor Gericht, doch bisher bleiben diese zentralen Ergebnisse unangefochten.

Ihren bisherigen Höhepunkt erlebte die Bewegung am Wochenende vom 19. Januar, als nach Polizeizählung mindestens eine Million Menschen bundesweit auf die Straße gingen. In den Wochenenden danach ist die Zahl der Demonstrierenden sechsstellig geblieben, aber nach und nach gesunken. Am vergangenen Wochenende gingen immerhin noch 200.000 Menschen bei mehr als 100 Veranstaltungen auf die Straße. Auch an diesem Wochenende sind uns mehr als 70 geplante Proteste bekannt.

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In vielen Orten sorgte diese Protestwelle für Superlative: Aus Freiburg im Breisgau wurde am 03. Februar die größte Demo seit dem Zweiten Weltkrieg gemeldet. Zwischen 30.000 und 35.000 Menschen demonstrierten auf dem Platz der Alten Synagoge. Im oberbayerischen Hallbergmoos fand am 4. Februar die erste Demo überhaupt statt. Der Versammlungsleiter Robert Wäger, ein Grünen-Politiker, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Wir sind die größte Demonstration in Hallbergmoos, weil es hier noch nie eine gab.“

„Nie Wieder“ – aus eigener Erfahrung

Auch Blitzenreute in Baden-Württemberg erlebte seine erste Demo. Am 16. Februar trafen sich dort 500 Menschen, um „für Demokratie und gegen Rechtsaußen“ einzustehen. In Melle, Niedersachsen, demonstrierte dagegen die 95-jährige Annemarie Buchholz zum ersten Mal in ihrem Leben. Das Foto der Neuen Osnabrücker Zeitung zeigt sie lachend mit einem einfachen „Nie Wieder“-Schild – sie erlebte selbst die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und verlor damals beide Eltern.

Es sind diese kleinen, oft dörflichen Gemeinden, die diese Protestwelle so beachtenswert machen. Privatleute, Initiativen, demokratische Parteien organisieren in ganz Deutschland tausend- und manchmal hunderttausend-fachen Protest. Nur wenige der Demonstrationen im Zeitraum vom 12. Januar bis 25. Februar waren Großdemonstrationen. Stattdessen fanden die meisten Veranstaltungen in kleinen Städten und Gemeinden statt und hatten oft nur wenige hundert oder tausend Teilnehmende.

Nur 5 Demonstrationen – nämlich in Hamburg, Düsseldorf, zwei Mal in Berlin und München – hatten laut der konservativen Zählung der Polizei mehr als 100.000 Teilnehmende. Bei 58 weiteren gingen zwischen 10.000 und 100.000 Menschen auf die Straße. Demgegenüber stehen 1.180 Veranstaltungen mit drei- oder vierstelliger Teilnehmendenzahl. In 26 Orten gingen weniger als 100 Menschen auf die Straße. Bei der kleinsten uns bekannten Kundgebung versammelten sich am 2. Februar 30 Menschen im oberschwäbischen Aulendorf.

Parken gegen rechts

Immer wieder wandten sich die Demos konkret gegen die AfD. In Ossenheim, Hessen, wurde am 16. Februar mit einer Menschenkette gegen einen AfD-Neujahrsempfang protestiert. Vor Beginn der Veranstaltung im Bürgerhaus, berichtet die Frankfurter Neue Presse, meinten einige demokratischen Ossenheimer, sie müssten unbedingt mal wieder die Gasse kehren. Daher parkten sie ihre Wagen direkt am Veranstaltungsort. Die AfD-Gäste waren also zunächst auf Parkplatzsuche. Wer es doch zum Empfang schaffte, wurde mit lauten Buh- und Nazis-Raus-Rufen begrüßt.

Neujahrsempfänge und Bürgerdialoge der AfD wie auch ihr politischer Aschermittwoch waren auch an vielen anderen Orten Anlass für Protest. In Ettlingen, Baden-Württemberg, gab es am 26. Januar gleich zwei Demos gegen eine AfD-Veranstaltung. Etwa 1.000 Menschen folgten den Aufrufen. Sie demonstrierten mit einer Menschenkette und einem Demonstrationszug gegen „Populismus und Fremdenfeindlichkeit“.

Im hessischen Friedewald fiel ein Neujahrsempfang der AfD aus, woraufhin die Partei eine Demonstration auf dem Roten Platz anmeldete. Eine Gegenkundgebung war schnell organisiert. So standen am 2. Februar rund 200 Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen einer AfD-Demo mit etwa 70 Teilnehmenden gegenüber. Laut Hessischer/Niedersächsischer Allgemeinen schmückten viele Läden und Privatleute ihre Eingänge mit Regenbogenfahnen und Plakaten gegen die AfD.

Zum politischen Aschermittwoch versuchte die hessische Stadt Rödermark erfolglos zu verhindern, dass die AfD eine Veranstaltung in der Kulturhalle abhält. Die Klage der Stadt scheiterte vor Gericht. Ein darauf angemeldeter Protest mobilisierte 1200 Menschen. In Nordhausen, Thüringen, hielt der rechtsextreme AfDler Björn Höcke am 20. Februar eine flüchtlingsfeindliche Rede. Mit einer stillen Demo protestierten etwa 300 Menschen gegen diese Veranstaltung.

Weniger Protest in rechten Hochburgen

Immer wieder begegnete uns in der Berichterstattung die Frage, wie die Demo-Zahlen zu den Verhältnissen vor Ort in Beziehung stehen. Wird nur dort demonstriert, wo die AfD ohnehin schwach ist? Oder formiert sich jetzt gerade dort Widerstand, wo die AfD stark ist?

Die Vielzahl der Orte, in denen demonstriert wird, hat uns eine solche Analyse ermöglicht. Dafür setzten wir die jeweils größte Demonstration in einem Ort ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl in der Gemeinde, sowie zum AfD-Zweitstimmenergebnis bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021.

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Insgesamt ist der Trend: Wo es ein hohes AfD-Wahlergebnis gibt, ist die Demo kleiner. Gerade in Ostdeutschland – wo die AfD ihre besten Ergebnisse einfährt – waren selbst in Großstädten selten mehr als 5 Prozent der Bevölkerung auf der Straße. In Simmern im Hunsrück und Hachenburg – beide in Rheinland-Pfalz – demonstrierte dagegen jeweils fast die Hälfte der Bevölkerung.

De­mons­tran­t*in­nen von Neonazis angegriffen

Eine Mobilisierung in rechten Hochburgen scheint also – recht erwartbar – schwieriger auszufallen. Einerseits weil die Zahl der Menschen kleiner ist, die auf eine solche Demo gehen würde. Andererseits aber auch, weil diejenigen, die sich öffentlich zur Demokratie bekennen, oft angefeindet werden.

Am 5. Februar griff eine Gruppe Neonazis die Demonstrierenden in Pasewalk, Mecklenburg-Vorpommern, mehrfach an. Laut Polizei versuchte ein Unbekannter erfolglos, an das Mikrofon auf der Bühne zu gelangen. Eine weitere Person rief eine volksverhetzende Parole. Nach Abschluss der Versammlung wurde einem Demonstrationsteilnehmer eine Fahne entrissen und der Mann zu Boden gestoßen. In der Stadt hatten 2021 rund 21 Prozent der Wäh­le­r*in­nen für die AfD gestimmt.

In Augsburg mischten sich Neonazis von Reconquista 21 unter die Versammlung und sorgten noch vor offiziellem Beginn der Demo für Irritation. Sie stellten sich neben eine unscheinbare Holzvorrichtung, auf der zu lesen war: „Kasperle gegen rechts“. Als ihnen die Blicke einiger Demonstranten sicher waren – die noch nicht ahnten, dass die Holzvorrichtung von Rechtsextremen gehalten wurde – enthüllten sie eine flüchtlingsfeindliche Zeichnung. 2021 erhielt die AfD in Augsburg 9 Prozent der Stimmen.

Auch die Menschen in Bautzen brauchen jede Menge Mut, wenn sie gegen Rechtsextremismus demonstrieren. Zur ersten Demo am 27. Januar kamen etwa 1.500 Leute – in den umliegenden Straßen versammelten sich dabei etwa 50 Neonazis, meldete die Sächsische Zeitung. Noch während der Veranstaltung sei ein Kind getreten und ein Jugendlicher geschlagen worden. Einem Autofahrer sei der Spiegel abgetreten worden. Nach der Demo wurden drei Menschen auf dem Heimweg erst beleidigt und dann angegriffen.

In Bautzen hatten 29 Prozent der Wäh­le­r*in­nen bei der Bundestagswahl im Jahr 2021 für die AfD gestimmt. Immerhin ließen sich die Baut­zene­r*in­nen nicht entmutigen: Am vergangenen Sonntag demonstrierten dort erneut mindestens 1.500 Menschen.

Um der schwierigeren Mobilisierung in rechten Hochburgen Rechnung zu tragen, rechneten wir den Anteil der AfD-Wähler*innen aus der Bevölkerung heraus. Diese Bevölkerungsgruppe der Nicht-AfD-Wähler*innen, so unsere Annahme, ist jene, die zu einer Demonstration gegen Rechtsextremismus mobilisiert werden könnte. Bezieht man die Demonstrationsgrößen auf diese Gruppe, gleicht sich der Ost-West-Unterschied ein wenig aus.

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Sichtbarer werden dann Orte wie Borkheide in Brandenburg, einem Ort mit 2.200 Einwohner*innen, wo mehr als 17 Prozent der Wäh­le­r*in­nen sich für die AfD entschieden. Etwa 450 Menschen demonstrierten dort am 27. Januar der Märkischen Allgemeinen Zeitung zufolge „bunt, ausgelassen und fröhlich“ gegen rechts. In Pfeffelbach, Rheinland Pfalz, wählten 2021 ebenfalls etwa 17 Prozent der Bevölkerung die AfD. In dem 900-Menschen-Ort demonstrierten am 28. Januar 200 Menschen gegen den AfD-Neujahrsempfang.

Proteste gehen weiter

In der taz haben wir die sehr aufwendige Demo-Zählung zum Beginn dieser Woche beendet. Die Protestwelle geht aber weiter – und die taz wird auch weiter berichten. Für das achte Protestwochenende sind uns mehr als 70 Demonstrationen bekannt. Sie kämpfen gegen den Hass in Haßloch, für die Demokratie und Vielfalt in Witzenhausen und lassen sich in Augsburg nicht von Neonazis einschüchtern.

Vielen Dank an die zahlreichen Hinweisgebenden – in unserem Hinweis-Postfach erreichten uns bis zum Ende unserer Zählung fast 700 Zuschriften. Die von der taz gesammelten Daten für den Zeitraum 12.01.-25.02.2024 können aus der ersten Deutschlandkarte oben im Artikel heruntergeladen und frei verwendet werden. Sie sind mehrfach menschlich und maschinell überprüft worden, können aber dennoch Fehler beinhalten. Zu Demos vor dem 26.02. nehmen wir weiterhin Korrekturen und Hinweise per Mail an.

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6 Kommentare

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  • Die ersten konkreten Resultate werden im Juni sehen. Da können wir als Demokrat:innen durch unsere Wahlbeteiligung und Wahlverhalten unsere Stärke zeigen. Lassen wir uns überraschen, ob der Strategiewechsel von "gegen Rechtextremismus" hin zu "Gegen rechts" dazu führen wird, dass sich das Wahlverhalten von den Umfragewerten unterscheidet.

  • Hat sich eigentlich mal jemand die Mühe gemacht, zu ermitteln, wieviele verschiedene Personen tatsächlich demonstriert haben ?



    Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß jeder Demonstrant auf nur einer Demo war. Das würde natürlich die tatsächliche Anzahl der Beteiligten etwas relativieren.

  • "Auch die Menschen in Bautzen brauchen jede Menge Mut, wenn sie gegen Rechtsextremismus demonstrieren. "

    Das Problem ist, dass man nicht mal sicher sein kann, von der Polizei geschützt zu werden. Im Osten nicht, und eigentlich würde ich mich auch im Westen nicht 100%ig auf die Polizei verlassen. Der NSU 2.0 Skandal, der immer noch von der hessischen Landesregierung verschleppt wird, und die Vorkommnisse in Hanau zeigen, dass die Polizei bis zu einem gewissen Grade "natürlich" ebenfalls unterwandert ist.

  • Links grenzt rechts aus, rechts grenzt links aus. Nichts wirklich neues in Deutschland. Wir wäre es mit endlich mal gemeinsam die Gesellschaft verbessern? Einen Mittelweg finden? Bei Migration zum Beispiel statt „alle rein“ oder „alle raus“, „Asylberechzigte rein, Kriminelle raus“ oder was auch immer.

    Hier in Taiwan scheint die Gesellschaft viel weniger gespalten.

  • Meinen Dank der taz-Redaktion für diese akribische Recherche- und Analysearbeit zu den bundesweiten Protesten gegen Rechts.



    Das musste jetzt auch mal gesagt sein.

    • @Abdurchdiemitte:

      Da wundert es mich, dass nicht mehr Menschen gegen Rechts demonstrieren. Zumal nur konsequente linke Politik den Menschen Wohlstand und Freiheit bescheren.