Pro und Contra #Gauchogate: Dürfen Deutsche so feiern?
„So gehen die Gauchos“ – geht gar nicht? Oder gar nicht schlimm? Zwei Positionen zum Weltmeister-Siegestanz der deutschen Mannschaft.
Harmlos
Am schönsten gefeiert haben die Kolumbianer. Ihre Tortänze hatten Groove und Charme, und man kann sich gut vorstellen, was in Bogotá los gewesen wäre, hätte es für den Titel gereicht. Schon so wurde ausschweifend gefeiert. Nach dem Sieg über Uruguay etwa, als in Bogotá acht Menschen starben.
Bei der Feier in Berlin gab es weder Groove noch Tote. Aber einen Skandal. #GauchoGate, ausgelöst vom Spott-Tanz der Nationalspieler Götze, Klose, Kroos, Schürrle, Mustafi und Weidenfeller. „Soll man den Kindern beibringen, dass es zum wahren Glück dazugehört, nicht nur andere zu besiegen, sondern diese hinterher auch auszulachen?“, fragt Malte Lehming im Tagesspiegel. Die armen kleinen Kinder, das Lieblingsargument des spätgebärenden Bürgertums.
Verständnisvoller zeigt sich Frank Lübberding auf faz.net: Der Spott sei „nachvollziehbar“, hätte aber „nicht vor einem Millionenpublikum ausgebreitet werden müssen“. Der Autor scheint zu wissen, welches Liedgut vor ein paar Jahren bei FAZ-Redaktionsfeiern angestimmt wurde. So klingt sein Rat, als spräche ein Alter Herr zu jungen Burschenschaftlern: Jungs, so was nur unter euch.
Quatsch! Wer sich über die Spieler aufregt, war noch nie im Stadion. Und wer ihnen vorwirft, dem nationalen Ansehen geschadet zu haben, ist selber in nationaler Mission unterwegs. Der Gaucho-Tanz war harmlos. Rassistische, antisemitische oder homophobe Schmähgesänge muss man nicht hinnehmen – die Verhöhnung des Gegners aber gehört zum Sport: „Der größte Scheißverein / ist und bleibt der FC Bayern“, reimen die einen; „Arbeitslos und eine Flasche Bier, / das ist S04, / die Scheiße vom Revier“, die anderen.
Aus diesem Repertoire haben sich die Spieler bedient – erstaunlich genug, dass diese Jungunternehmer so viel Fankultur kennen. Mit ihren Choreografien haben sie etwas Stadionatmosphäre in eine Sponsorenshow gebracht. Sie können nichts dafür, dass die Fankurven hierzulande selten Esprit und Groove bieten. Sie sangen, was sie kannten: den Gaucho-Tanz oder, wie Lahm, Hummels & Co., „Humba-Humba-Humba-Täterä“. Da ist man Weltmeister und klingt immer noch nach Kegelklub.
Fair geht auch
Immerhin spielte die Zahl Sieben keine Rolle. Verspottet wurden vielmehr die ebenbürtigen Argentinier. Bei deren Sieg wären in Buenos Aires Hitler-Witze fällig gewesen. Denn egal, ob sich diese deutsche Mannschaft für Weltkriegsmetaphern eignet oder nicht – du bist Deutscher, aus der Nummer kommst du in tausend Jahren nicht raus.
Dass viele solchen Spott ebenfalls für geschmacklos gehalten hätten – geschenkt. Ideologiekritik ist zu einem Knigge-Katalog verkommen. Humorbefreit und denkfaul, ranzig und kirchentagsbeseelt. Dass jene, die sich über die Aufregung aufregen, mindestens ebenso humorlos und oft aggressiv daherkommen, macht die Sache nicht besser. Die Lockerheit der Schland-Deppen ist eben die Lockerheit des Bierzelts. Humba-Humba.
Doch es gibt ein paar coole Repliken. Ein Youtube-Video etwa mit Aufnahmen von Wehrmachtssoldaten im Stechschritt am Brandenburger Tor, untermalt vom Gesang von Klose & Co. Auch das ist okay. Respektlos ist, den Gegner keiner Schmähung für würdig zu befinden. So geht der Fußball, der Fußball, der geht so. Deniz Yücel
Hirnlos
Mit ihrem „Gaucho-Tanz“ haben die deutschen Nationalspieler ein altes Vorurteil bestätigt: dass Deutsche sich nicht über einen Erfolg freuen können, ohne sich dabei zwanghaft über andere zu erheben.
Zur Entschuldigung kann man anführen, dass die Spieler ein anstrengendes Turnier und einen zwölfstündigen Flug hinter sich hatten, dass sie fürs Toreschießen und nicht fürs Witzeerzählen bezahlt werden und dass Fußballer eben oft Kindsköpfe sind.
Auch geht es auf vielen Sportplätzen, in den Stadien und Kabinen der Republik sicher deutlich derber zu als am Dienstag auf der Fanmeile. Nur macht es halt schon einen Unterschied, ob man sich in seiner Kabine oder vor 200.000 Menschen und den Augen der Welt, auf der zentralen Weltmeister-Feier vor dem Brandenburger Tor, über andere lustig macht. Um es im DFB-Funktionärsdeutsch zu sagen: Die Nationalspieler sind hier an exponierter Stelle ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht geworden.
In Brasilien hat sich die Mannschaft durchweg fair, respektvoll und bar jenes Triumphalismus gezeigt, für den Deutsche in aller Welt so berüchtigt sind. Der Gaucho-Tanz“ wirkte da wie ein unnötiges, nachträgliches Foul. Allen Eltern, Lehrern und Trainern hat sie damit einen schlechten Dienst erwiesen. Wozu predigen die immerzu, dass man Gegnern mit Respekt begegnen muss, dass man die unterlegene Mannschaft nicht verhöhnt und auslacht, wenn ausgerechnet die Nationalmannschaft bei bester Gelegenheit das genaue Gegenteil macht?
Klar: Wer auch sonst gern von „Negern“ spricht, bei Spielen des deutschen Teams automatisch Blitzkrieg-Assoziationen bekommt und auch sonst keine gute Kinderstube genossen hat, der wird am Verhalten der deutschen Nationalmannschaft nichts Anstößiges finden. Der wird andere, die das enger sehen, als „Spaßbremse“ beschimpfen – wobei man sich fragt, welches Verständnis von „Spaß“ da dahintersteht. Ein sehr deutsches.
Auch beim DFB, dessen Marketingbetreuer offenbar noch alle in Rio weilten, um ihren Rausch auszuschlafen, ist man mit dem Auftritt nicht recht glücklich. Der Verband hat sich dafür jetzt entschuldigt, zu Recht. Doch der eigentliche Skandal ist: Musste man es wirklich ganz allein der übermüdeten und überdrehten Nationalmannschaft überlassen, vor dem Brandenburger Tor für Stimmung zu sorgen? Konnte man zum Beispiel keine besseren Moderatoren finden, um die Show zu schmeißen? Und hätte man statt der Schlagersängerin Helene Fischer nicht ein musikalisch anspruchsvolleres Programm aufbieten können, etwa eine Band wie Seeed? So blieb am Ende ein eher peinliches Bild von deutscher Musik, deutscher Feierkultur und deutschem Humor.
Die Amerikaner wissen, wie man wirklich unvergessliche Siegesfeiern inszeniert, und das nicht nur im Sport: mit Showstars, Konfettiregen und viel Pyrotechnik, aber ohne den Gegner nachträglich zu verhöhnen. Vielleicht kann Jürgen Klinsmann dem DFB da mal ein paar Tipps geben? Daniel Bax
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei