Netzkonferenz „re:publica“, 3. Tag: Die Katzen der ASCII-Ära
Hackerromantik, Vorschläge zur Weltverbesserung und Mönche von gestern: Der dritte Tag der Internetkonferenz Re:Publica vom Geek-Rand aus betrachtet.
Am letzten Tag der re:publica ist die ganze Luft ist voll mit diesen weißen flauschigen Flocken, die sich immer im Mai aus irgendwelchen Bäumen über Berlin ergießen. Und auch die Konferenz ist wie in Watte gepackt. Alle haben sich schon etwas runtergefahren, die Räume sind leerer, viel mehr Leute trinken am Nachmittag bereits Bier, ein paar Drohnen sirren durch die Luft, und ständig laufen Menschen mit Rollkoffern vom Gelände, nicht viele, aber regelmäßig, wie dicke Tropfen aus einem undichten Wasserhahn.
Um die nominellen Headliner in Saal 1 – Cory Doctorow erklärt die Notwendigkeit von Digital Rights Management, Anne Wiezorek dekliniert durch, was #aufschrei gebracht hat oder nicht, und es gibt eine Live-Schalte zu Ai Weiwei – sollen sich Andere kümmern. Wie bereits am Montag und Dienstag bewege ich mich lieber an den Geek-Rändern der re:publica. Und das habe ich heute dabei gelernt.
1. Das iPhone gab es im Film schon 1995. In Johnny Mnemomic zählt Keanu Reeves auf: „Sogo 7 Data Gloves, a GPL stealth module, one Burdine intelligent translator … Thompson iPhone.“ Das ist eines der zahlreichen Filmbeispiele, die Keren Elazari in ihrem Vortrag „Take a ride on the Cyberpunk Express train“ zeigt. So viel Enthusiasmus und Verve wie Elazari haben nicht viele Redner gezeigt. Mitreißend stellt sie dar, welchen Einfluss das Cyberpunk-Genre auf die Entwicklung des Hackers hatte, erzählt vom Werdegang der Hacker-Subkultur, von der DefCon und der Electronier Frontier Foundation, von V for Vendetta, Captain Crunch, Hacktivism und Cryptopartys.
Spätestens mit dem Stuxnet-Vorfall 2010, bei dem iranische Atomanlagen virtuell attackiert wurden, seien wir nun in die „Cyberwarfare Area“ eingetreten, sagt Elazari, die fünfte Art des Krieges neben dem Land-, See-, Luft- und Weltraumkrieg. Und auch die fiktiven weiblichen Hackercharaktere, die Elazari als Vorbild dienten, stellt sie vor: Trinity aus der „Matrix“-Reihe und Angelina Jolie als Acid Burn in „Hackers“.
2. „Die Schriftart Century Gothic verbraucht 30 Prozent weniger Tinte als Arial.“ Diese wichtige Information steht in dem Buch „500 junge Ideen, täglich die Welt zu verbessern“, dessen Webseite der erste Treffer bei der Googlesuche von „Die Welt verbessern“ ist. Der zweite Treffer ist Attac Halle, und danach bricht Felix Schwenzel seinen Vortrag „10 Vorschläge um die Welt zu verbessern“ ab und fängt von vorn an.
arbeitet als freier Journalist, Lektor und Redakteur, unter anderem für die taz und zeit.de.
Es ist ein unterhaltsamer, manchmal lustiger, manchmal auch kluger Vortrag über alles Mögliche, aber je länger er dauert, desto zerfranster wird er, und die achte Sascha-Lobo-Anspielung ist auch nicht besser als der dritte. Weltverbesserungsideen beruhen fast immer auf Angst und Schuldgefühlen, lernen wir; dass der gute Wille auch eine schlechte Seite hat, und dass es in den meisten deutschen Städten unsinnig ist, Wasser zu sparen, weil die Wasserwerke inzwischen selbst Wasser durch die Rohre jagen, um sie sauberzuhalten.
„Es gab mal einen brasilianischen Lehrfilm, der die Leute erziehen wollte, in die Dusche zu pinkeln, um Wasser zu sparen. Das können wir hier auch. Aber nicht, um Wasser zu sparen“, sagt Schwenzel. Er sagt auch: „Also ich mag Sascha Lobo ja wirklich gerne, aber das mit dem Pathos ist Quatsch, glaube ich.“ Und was laut Schwenzel definitiv nicht verkehrt sein kann beim Weltverbessern: ein Apfelbäumchen pflanzen.
Empfohlener externer Inhalt
3. Digits macht wunderbaren Synthpop. Den Auftritt des Kanadiers bei der Party am Ende kriegt bloß fast niemand mit, weil er drinnen versteckt wird.
4. Die Katzen der ASCII-Art-Ära waren Kühe. Denn lange vor LOLCats und all den lustigen Memen der letzten Jahre, ja sogar schon vor dem Internet an sich, gab es ASCII-Cows. Sie sind genau so vergessen wie das „Mr. T Ate My Balls“-Meme der 90er. Zwei frühe Beispiele vom Panel „Internet-Meme: Geschichte, Forschungsstand, Kontroversen“.
Hier wird auch von einer Evolution des Internets als Verbreitungsraum von Memen (macht euch keine Hoffnung, dass ich hier noch erkläre, was Meme sind, es gibt Google) gesprochen. In den frühen 90ern musste man immer noch selbst Webseiten aus selbstgestricktem HTML aufsetzen, wenn man Inhalte verbreiten wollte, inzwischen gibt es zahlreiche Memräume mit eingebauten viralen Mechanismen, wie etwa das Retweeten bei Twitter.
Danach geht es noch um Imageboards – auch „Facebook, so ein Fotosharingforum“ wird erwähnt – und um Meme-Erklärseiten, aber es bleibt doch alles ein wenig unbefriedigend deskriptiv und lexikalisch. Letztlich war die Veranstaltung nur eine Art Teaser für das vermutlich Ende Juni erscheinende Memforschungsbuch der Referenten. Bis dahin bleibt erstmal hängen, dass Meme auf finnisch Meemi heißen.
5. Als der Buchdruck noch ganz neu war, haben eifrige Mönche alle Exemplare einer Buchauflage nochmal einzeln auf Fehler durchgesehen. Sie konnten das Konzept, dass diese Bücher automatisch alle gleich aussehen müssen, einfach nicht nachvollziehen. Ob das wirklich stimmt, weiß Michael Seemann zwar nicht, aber seine Geschichte ist so schön, dass sie bitte einfach wahr sein soll.
Kathrin Passig hatte es schon etwas früher am Tag ausgesprochen: Die Entscheidung der re:publica-Macher, den Platz für eigene Gespräche zwischen den Konferenzsälen weitaus größer zu machen als die Räume selbst, ist richtig. Die besten Dinge hört man eben hier. In der Luft ist jetzt noch mehr von dem Baumflauschzeug, das … ach, ich google das jetzt einfach mal: Pappelflaum ist das also. Danke, Internet.
6. Adenosin gibt dem Körper das Signal: Du wirst gerade müde. Koffein unterdrückt Adenosin für eine begrenzte Zeit. In Besser Leben für Geeks ging es um Ernährungs- und Lebenstipps im Fahrwasser der Quantified-Self-Bewegung. Die Informationsdichte von Matthias Bauer ist enorm hoch: Zucker ist historisch gesehen keine wichtige Energiequelle, die Pflanzenzucht dafür ist erst in der Neuzeit aufgekommen. Fructose wird insulinunabhängig verstoffwechselt – in der Leber. Die Ernähungswissenschaft lag nach dem Zweiten Weltkrieg am Boden, weil die meisten der führenden Köpfe Deutsche und Österreicher waren – das hat Folgen bis heute.
Der so gesunde Saft „glücklicher Äpfel von sonnenbeschienen Hängen“ hat anteilig mehr Fructose als Cola, und fast so viel Zucker. Die Süße von Club Mate stammt wiederum vom Glucose-Fructose-Sirup – der wird hergestellt aus Mais- oder Weizenstärke, die wiederum meist aus Monokulturen stammt, von „gleichgeschalteten einreihigen Zwergmaispflanzen“. „Echtes Getreide“ – nicht Reis, Mais, Hirse – „hat kein Interesse vom Menschen gegessen zu werden“ und wehrt sich mit seinen Klebereiweißen, die bei den meisten Menschen den Darm angreifen.
Die Kurzfassung: Zucker und Koffein sind nicht gut, Getreide essen ist Quatsch, Fleisch und Fett sind viel gesünder als ihr Ruf, Massentierhaltung ist natürlich trotzdem schlecht, und die Menschheit hat durch Monokulturen und die Abhängigkeit von Kunstdünger mittelfristig ein Riesenproblem.
7. Im re:publica-WLAN wurden 1,7 Terabyte Daten bewegt. Und es war wirklich bis zum Ende stabil, was den Technikern den größten Applaus bei der Abschlussveranstaltung einbrachte. Weitere verlesene Fun Facts beim Finale: 6.800 verschiedene Geräte waren online auf der re:publica, davon 66,9 Prozent von Apple. Der Live-Stream-Router der re:publica heißt Regina. Und 2,5 Kilometer Kabel wurden verlegt, was mir extrem wenig vorkommt. (Edit: Tage später wurde ich darauf hingewiesen, dass 2,5 Kilometer nur die Länge der extra verlegten Netzwerkkabel ist. So kommt es hin)
So halssteif die Eröffnung war, so beschwingt ist die Verabschiedung. Johnny Haeusler kann vermutlich wenig besser als so etwas sonnig wegmoderieren – vielleicht gerade noch Internetkonferenzen organisieren. Das haben er und der Rest des Teams dieses Mal jedenfalls wieder unter Beweis gestellt – egal, wieviel politische Impulse nun konkret von der re:publica ausgegangen sind.
Was man hier, ein gewisses Interesse an gewissen Themen vorausgesetzt, in drei Tagen gebündelt an Impulsen bekommt, auch und gerade zu Dingen, von denen man vorher noch gar nichts wusste, ist großartig. Am Ende singen dann viele Hundert Menschen gemeinsam „Bohemian Rhapsody“.
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