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Marta Savinas „Primadonna“Wider die Wiedergutmachungsehe

„Primadonna – Das Mädchen von morgen“ ist klassisches Erzählkino. Darin widersetzt sich eine Frau dem sexistischen Strafrecht im Italien der 1960er.

Will beim Plan der Männer nicht mitmachen: Lia (Claudia Gusmano) in „Primadonna“ Foto: Kairos Filmverleih

Auch zu Weihnachten 1966 wurde Lia Crimi wieder nicht vom Priester auserwählt, die heilige Maria in der Kirche zu spielen. Also steht sie kurz darauf wieder mit der Hacke neben ihrem Vater auf dem Feld und zieht Saatfurchen. Bei einer Messe sieht sie, dass Lorenzo Musicò, Sohn des örtlichen Mafioso, aus Deutschland in das Dorf im Osten Siziliens im Hinterland von Trapani zurückgekehrt ist.

Einige Tage später folgt sie Lorenzo auf eines der Felder – ihre ehemalige Flamme erweist sich schnell als besitzergreifender übergriffiger Mann, der ihrer beider Hochzeit für gesetzt hält. Doch Lia kommen Zweifel, und ihr Vater will mit den örtlichen Honoratioren und Mafiosi nichts zu tun haben. Derart fädelt die in Florenz geborene Regisseurin Marta ­Savina in ihr Langfilmdebüt „Primadonna“ eine Geschichte ein, deren weiterer Verlauf in Italien bis heute nachhallt.

Der Film

„Primadonna – Das Mädchen von morgen“. Regie: Marta Savina. Mit Claudia Gusmano, Fabrizio Ferracane u. a. Italien 2023, 102 Min.

Weil sich nämlich Lorenzo weder den Widerstand von Lias Vater noch deren Zögern bieten lassen will, beschließt er, sie zu entführen, zu vergewaltigen und beides anschließend, wie im italienischen Strafrecht der Zeit vorgesehen, durch den matrimonio riparatore (Wiedergutmachungsehe) nachträglich zu legalisieren. Doch Lia weigert sich, bei dem Plan mitzuspielen. Trotz des Drucks, den das organisierte Verbrechen und das organisierte Patriarchat (der Priester und die Carabinieri des Ortes) auf sie ausüben. Stattdessen bringt sie Lorenzo und seine Helfer vor Gericht.

Savinas Film beruht auf der wahren Geschichte der Franca Viola. Die erlangte Mitte der 1960er Jahre in Italien Berühmtheit, als sie sich weigerte, die sexistische Regelung des Strafrechts zu akzeptieren und ihren Vergewaltiger Filippo Melodia vor Gericht anklagte. Das Konzept der „Wiedergutmachungsehe“ gehört zur europäischen Rechtstradition und stammt aus der Constitutio Criminalis Carolina im 16. Jahrhundert. In Italien wurde diese Regelung besonders lang noch angewandt.

Öffentlich zu einem tabuisierten Thema wie sexuelle Gewalt auszusagen, schlug damals Wellen

„Primadonna“ ist klassisches Erzählkino, linear erzählt, scheinbar naturalistisch inszeniert, aber mit zwei wichtigen filmischen Entscheidungen. So verzichtet Savina darauf, Sizilien, wie auch im italienischen Film üblich, als sonnendurchflutetes Klischee zu zeigen. Dafür ist der Film auf Sizilianisch gedreht, was nicht zuletzt möglich war, weil die meisten Darsteller_innen von der Insel stammen. Claudia Gusmano (Lia) und Fabrizio Ferracane (der Lias Vater spielt) stammen beide aus der Provinz Trapani, Dario Aita (Lorenzo Musicò) aus Palermo, nur Francesco Colella, der Lias Anwalt spielt, stammt aus Catanzaro in Kalabrien.

Historisches Vorbild: Das Gerichtsverfahren der Franca Viola

Für etwa das letzte Drittel wird „Primadonna“ zum Gerichtsdrama. Wie wichtig das Gerichtsverfahren und vor allem Franca Violas Auftritt als Zeugin für das Italien der 1960er Jahre war, wird in einem zeitgenössischen Artikel aus Noi donne (Wir Frauen) erkennbar: „Nicht nur hat sie sich der Wiedergutmachungsehe widersetzt, sondern sie hat auch gesprochen.“ Violas Aussage vor einem öffentlich tagenden Gericht zu einem tabuisierten Thema wie sexuelle Gewalt schlug Wellen. Nicht zuletzt, weil ihr Verteidiger, anders als im Film, kein Unbekannter war, sondern der damalige Abgeordnete Westsiziliens im italienischen Parlament und spätere Senator Ludovico Corrao.

Für einen kurzen Moment schien auch die offizielle italienische Politik zu reagieren. Als Viola zwei Jahre später einen Jugendfreund heiratete, schickte der italienische Staatspräsident Giuseppe Saragat, erster Sozialist im Amt, ein Hochzeitsgeschenk. Wichtiger noch: Kurz nach dem Gerichtsverfahren, in dem Franca Viola über Filippo Melodia und seine Handlanger obsiegt hatte, schlug der damalige Justizminister Oronzo Reale vor, die beiden Paragrafen des Strafrechts, die den matrimonio riparatore und die Strafmilderung von Tötungsdelikten an Ehefrau, Tochter oder Schwester „im Zustand des Zorns“ vorsahen, abzuschaffen.

Ein Vorschlag der erst 1981, anderthalb Jahrzehnte später, umgesetzt wurde. Es dauerte weitere 15 Jahre, bevor 1996 Vergewaltigung im italienischen Strafrecht nicht länger als Verbrechen gegen die Moral, sondern als Verbrechen an einer Person eingestuft wurde (in der Bundesrepublik war das auch erst 1973 geschehen) – eine Narbe, die bis heute im Text des italienischen Strafrecht unübersehbar ist. Diese Neuklassifikation führte nämlich dazu, dass die Artikel, die Sexualstraftaten behandeln, als Nummern 2 bis 11 an Artikel 609 angehängt sind, der Amtsmissbrauch öffentlicher Ämter regelt.

Savinas Film feierte 2022 auf dem Filmfestival in Rom Premiere und lief im Jahr darauf am Feministischen Kampftag, am 8. März 2023, in den italienischen Kinos an. Der Erfolg war – anders als bei Paola Cortellesis „C’è ancora domani“, der im Herbst des Jahres startete – überschaubar. Sehenswert ist „Primadonna“ dennoch, wovon man sich nun auch in deutschen Kinos überzeugen kann.

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1 Kommentar

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  • Danke für den Tipp! "Sie hat auch gesprochen..." Das ist herzzerreißend.