piwik no script img

Krise in der UkraineDie Mär von einem „sauberen“ Krieg

In Lemberg glauben viele, dass im Osten nur prorussische Separatisten auf Häuser und Zivilisten schießen. Ansonsten sind die Kämpfe ziemlich weit weg.

„Putler kaputt“ steht auf dem Putin-Graffiti in der Stadt. Bild: dpa

LEMBERG taz | Lemberg hat sich für den Sommer schön gemacht. Frauen schlendern im Schatten der Bäume, vor allem auf der Promenade des Prospekt Svobody oder auch in den Straßen, die zum Markt in der Altstadt führen. Die Häuser der Altstadt sind restauriert, alle Fassaden der ehemals polnischen Bürgerhäuser aus der Renaissance leuchten in frischen Farben und sind mit neu gezeichneten oder restaurierten Motiven geschmückt.

Überall Cafés und Restaurants mit Terrassen, auf denen die Lemberger und die Touristen ihre Zeit verbringen und die flanierenden Mädchen betrachten. Keine Spur vom Krieg. Nur auf dem Prospekt Svobody, unweit des Denkmals des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko, dort, wo im letzten Winter der örtliche „Maidan“ war, wird jetzt für die ukrainische Armee Geld gesammelt. Dahinter stehen Kerzen für die Gefallenen der „Eisernen Brigade“.

Die Menschen scheinen auf den ersten Blick unbeschwert zu sein. In den Gesprächen geht es jedoch meistens um den Krieg und die in der Ostukraine kämpfenden Soldaten. Man hört, dass die sogenannten „Terroristen“ (das offiziell verwendete Wort für die Aufständischen bzw. die Separatisten des Donbass) nur Instrumente des russischen Präsidenten Wladimir Putin seien, dass sie schwer bewaffnet seien und viele Russen und Tschetschenen in ihren Reihen kämpfen. Demgegenüber hätten die ukrainischen Soldaten kaum Waffen. Womit bombardieren sie dann die Städte des Donbass?

Die offizielle ukrainische Propaganda, die der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, Andrei Lyssenko, den Zuschauern jeden Tag einhämmert, wirkt. Katja Petrowna, Schauspielerin am Sankowietzka-Theater, ist überzeugt, dass die ukrainische Armee keine Artillerie besitzt und nicht auf die Zivilbevölkerung schießt, während die Separatisten mit ihren „Grad“-Raketen Häuser, Schulen und Krankenhäuser zerbomben.

Die Propaganda verfängt nicht immer

Diese Vorstellung von diesen keineswegs so „sauberen“ Krieg wird in der Stadt an Verkaufsständen dokumentiert. Dort gibt es Aufkleber zu kaufen mit einem ukrainischen Soldaten. Er steht vor einem Kinderwagen und schießt, um diesen zu schützen, auf einen Separatisten. Der befindet sich hinter dem Kinderwagen und schießt auf den ukrainischen Soldaten, wobei er den Kinderwagen als menschliches Schutzschild benutzt.

Doch nicht alle Menschen lassen sich von der Propaganda beeinflussen. Der Donbass sei immer eine besondere Region mit eigenen Gesetzen gewesen. Mit Korruption, organisierter Kriminalität, mit nichtoffiziellen Bergwerken, die von einer Mafia betrieben werden, ist zu hören. Diese halbkriminellen Leute hätten sich den Aufständischen und Separatisten angeschlossen, weil sie die Regierung in Kiew ablehnten, durch den Aufstand zu Macht gekommen seien und Profite machten. An dieser Situation werde sich nichts ändern, auch dann nicht, wenn die ukrainische Armee siegen werde.

„Vielleicht hätte man den Donbass selbstständig werden lassen sollen“, sagt Juri, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. „Aber keine politische Partei in Kiew kann es sich derzeit leisten, einen derartigen Gedanken offen auszusprechen. Denn das würde als Unterstützung von Putins Expansionismus interpretiert werden.“

Vor einigen Tagen wurde berichtet, dass es in Uschgorod (wo viele ethnische Ungarn leben), in Sniatyn, in Nowosielitza, in Czernowitz (dort gibt es viele Dörfer mit rumänischsprachigen Einwohnern), Frauen mit Straßensperrungen gegen die Einberufung ihrer Söhne und Männer protestieren. Auch in einigen ukrainischen Städten Galiziens gehen Demonstranten gegen die Korruption der Behörden und der Armee auf die Straße und verbrennen Einberufungsdokumente. Alle haben von jungen Menschen gehört, die schwer verwundet worden oder gar nicht zurückgekommen sind.

Auf dem Bürgersteig des Prospekt Svobody liegt ein Kriegsinvalide auf einer Art rollendem Bett und bittet um Almosen. Nicht viele bleiben stehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Da gab es doch mal so ein schönes Filmzitat, ich glaub es ist aus "Apokalypse Now", das geht ungefähr so (ohne Anspruch auf absolute Korrektheit):

     

    "Während eines Krieges einen Kriegsverbrecherprozess anzustrengen ist ungefähr so sinnvoll wie bei einem Autorennen Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit auszuteilen!"

     

    Das Töten und Morden ist das Wesen des Kriegs und somit das Überschreiten von Moral und Normen der Menschlichkeit. Alle danach aufgestellten Grenzen und Regeln sind nach dem ersten Tabubruch noch schneller überschritten. Wie kann man da nu daran glauben, dass da auch nur eine Seite der Konfliktparteien besser wäre als die andere?

  • So, So „ethnische Ukrainer“ - selten so einen Blödsinn gehört. Während der Sowjetzeit verheiratete man sich ohne über solchen Blödsinn nachzudenken. Ausnahme möglicherweise die ehemaligen Galizien Gebiete. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde dieses Langzeitgift vom Westen in die Gebiete getragen -und regelmäßig der „Erfolg“ geprüft -und welch Wunder, immer mehr ethnische Russen und bestenfalls "Mischbürger" fanden sie sind richtig "Ukrainer"! Ob sie ihre meisten Verwandten in Russland haben, russisch sprechen geschenkt. Um diese Menschen zu trennen ihnen Hass anzuerziehen wurde die Geschichte gefälscht unter anderem die Golodomor Lüge erfunden (mit Hilfe von "Historikern" aus den USA). Selbst auf Schulen und insbesondere wer studieren will muss nachweisen das er das Phantom der "ukrainischen Geschichte "richtig" verstanden hat, Staatsbürger, -Wehrkunde sind dagegen ein ...dreck. Die Saat ist nun Aufgegangen und der Westen erntet fleißig, selbstverständlich mit (Krokodils) Träne im Knopfloch und mit den Fingern auf andere zeigend...

    • @EEK:

      Der Holomomor in großen Teilen unumstritten. Umstritten ist nur ob es eine gezielte Vernichtung der Ukrainischen Nationionalisten war. Fakt ist das man den Hungertod von Millionen in kauf genommen hat um die Kollektivierungspläne und die Zerstörung der Kulaken durchzusetzen. Das dies nun von den Nationalisten als Kampfthema gegen Russland eingesetzt wird ist ein anderes Thema und meiner Meinung nach fragwürdig. Aber eine Lüge ist es nicht dieser Vergangenheit müssen sich beide stellen.

      • @Nominoe:

        Das ist eben der Quatsch, die Folgen betrafen sowohl Russen, Ukrainer, Weißrussen und darüber hinaus. Das hat nicht woran man Ukrainischen Nationalismus festmachen könnte. Und Schuld waren die Bolschewiken die sich wiederum auch aus verschiedenen Ethnien und Nationalitäten zb. auch Polen, Georgier zusammensetzten. Dieser Vorgang sollte geschichtlich/ verbal in die Nähe des Holocaust gebracht werden – und die Russen als Verursacher darstellen, das ist die Geschichtsfälschung

  • Wie will man eigentlich in einem Land wieder zusammen leben, wenn man sich zuvor mit Belagerung und Raketen bekämpfte? Die Antwort auf diese Frage dürfte eine düstere sein. Wenn es der Regierung in Kiew gelingt, diesen Krieg militärisch zu gewinnen, wird vermutlich eine Art ethnische Säuberung der Ostukraine resultieren. Bereits jetzt sind fast 200000 Menschen nach Russland geflogen. Ihre Zahl dürfte sich vergrößern. Vermutlich ist dies auch erwünscht, weil diejenigen, die sich für diese Kriegseskalation von vornherein entschieden haben, so viel Hass gesät haben, dass man nicht mehr gemeinsam miteinander wird leben wollen. HRW spricht von Kriegsverbrechen beider Seiten. Der Regierung in Kiew wird vorgeworfen, mit unpräzisen Raketen auf Gebiete zu zielen, wo Zivilisten leben. AI hat einen Bericht zu Folterungen und Entführungen veröffentlicht, wo ebenfalls beide Seiten verantwortlich gemacht werden. Zwar sei die Zahl der gemeldeten Fälle größer mit Opfern auf Regierungsseite, aber es fehlten AI nach eigener Angaben genauere Zahlen zu den Opfern auf Aufständischenseite. Dennoch liegen auch hier eindeutige Belege vor, obwohl AI vorwiegend nur auf regierungsamtliche oder regierungsnahe Quellen zurück greifen konnte. Die Mär der einen guten Seite und der anderen bösen Seite wurde wieder und wieder auch durch unsere Medien - auch durch die taz - verbreitet. Von allen Seiten wird mit dem Finger immer nur auf den anderen gezeigt, Selbstkritik fehlt, eigene Anteile am Konflikt oder dessen propagandistischer Verzerrung scheint es nicht zu geben. Dabei haben von vornherein warnende Stimmen schon zu Beginn des Maidan-Konflikts darauf hingewiesen, dass dies eine tiefgreifende Spaltung der Ukraine ist und zum Bürgerkrieg führen kann. Aber diese Stimmen wurden überhört und mit ihrer Einseitigkeit habe alle daran Beteiligten zur Explosion von Gewalt, Tötungen, Folter, Grausamkeit, Flucht und Vertreibung beigetragen.

    • @PolitDiscussion:

      Wie kommen Sie auf die Zahl der Flüchtlinge? Können Sie auch die Quellen dafür angeben?

       

      Ich kam letzte Woche aus Donbas zurück und konnte ehrlich nicht feststellen, dass die Ukrainer aus den Regionen flüchten. Für mich sah es eher so aus, dass viele von den Separatisten gefangen und weggeschickt werden (Eltern vermissen Kinder, Kinder vermissen Eltern. Für mich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Jugendlichen aus der Ukraine flüchten, ohne den Eltern bescheid zu geben und andersrum).

       

      In den russischen Medien werden riesige Zahlen für die Flüchtlinge genannt, doch kann ich diesen nicht wirklich glauben.

      • @Andre Wolf:

        Die Zahl der Flüchtlinge sind offizielle Zahlen der UNO und des IRK. letzte Woche ca. 190000 nach Russland und 160000 in den Westen, Tendenz steigend.

        Wir haben also eine reale ethnische Säuberung und wenn man das ukrainische Fernsehen schaut, ist genau das auch erwünscht. Man kann gerne Putin scheisse finden aber welche Bande von halbkriminellen Oligarchen, Nationalisten und Faschisten sich der Westen da ans Bein bindet findet nicht meine Zustimmung. Ich will mit dem Jazeniuk-Gesindel in Europa nichts zu tun haben. Und seine minderwertige Schokolade kann der Poroschenko auch behalten. Wer ernsthaft mit diesem korrupten Haufen ins Bett steigen will, dem ist wirklich nicht zu helfen. Die Bürger Europas sollten sich gegen eine derartige Unterwanderung demokratischer Ideale zur Wehr setzen.

      • @Andre Wolf:

        Was will man deutschen Medien noch glauben? Nur noch lächerlich. Leider traurig. Fatzgenmedien. Fratzenmedien.

        Widerlich. Zu einem Konflikt gehören 2. Wer nur deutschen Medien glaubt ist beschissen informiert. Soll nur auf Kurs gebracht werden. Aber wählt leider eure Merkel. Die sitzt direkt im Arsch vom Obama. Früher vom Bush. Und ihr sollt auch drinsitzen. Der österreichische Politiker Ewald Stadler spricht von Drecksarbeit für den Westen. Feebruar. Im Arsch eben. https://www.youtube.com/watch?v=Y4tkHrGP0PY

      • @Andre Wolf:

        Die UN hat Anfang letzte Woche Zahlen von 230.000 genannt. 130.000 sollen sich nach Russland und 100.000 in die von Kiew kontrollierten Regionen bewegt haben.

      • @Andre Wolf:

        Sie waren und den umkämpften Städten? Der Donbas ist groß...

    • @PolitDiscussion:

      Vielen Dank für diesen guten Kommentar.

    • @PolitDiscussion:

      So traurig es klingt hat die Geschichte bewiesen, das dies oft die beste Lösung ist. Der ewige/elendige Streit um den ehemaligen Osten Deutschlands ist auch nur durch die Umsiedlung/Vertreibung der Bevölkerung gelöst worden. Und heutzutage können wir mit unseren Nachbarn in Frieden leben. Lasst di Krim den Russen und die Ostukraine muss jeder verlassen der sich nicht als Ukrainer betrachtet. Russland ist groß genug diese Menschen aufzunehmen.

      • @Nominoe:

        Das heißt also Menschen die schon seit Generationen in dieser Region Leben sollen alles stehen und liegen lassen und ihre Heimat verlassen? Das ist doch genau die Idee der "Maidaner" bzw. der Grund wieso sich die Leute im Osten der Ukraine wehren. Wieso nicht besser eine Volksbefragung unter internationaler Aufsicht?

        • @Rainer Tölz:

          Das habe ich nicht gesagt. Jedoch wer sich als Russe betrachtet und die Ukraine gänzlich ablehnt, muss das Staatsgebiet verlassen bevor er zu einer Gefahr für die Anderen Einwohner wird. Eine Volksbefragung unter internationaler Aufsicht war zu jeder Zeit möglich jedoch besetzte man lieber Polizei und Kasernen und begann sich militärisch auszubreiten. Eine solche Handhabung kann und darf sich nicht durchsetzen, da sie wie wir nun sehen nur Not und Elend für alle Beteiligten beschwört. Ich habe zu keiner Zeit erkennen können, dass in der Ostukraine eine erdrückende Mehrheit für eine Abspaltung ist, von daher ist eine solche derzeit meienr Meinung nach nicht gerechtfertigt vor allem nicht durch die Art wie man Diese erreichen möchte. Das umsichtige autonomierechte und eine sprachliche Gleichbehandlung für diese Region geschaffen werden müssen ist selbstverständlich. Eine Volksberfragung diesbezüglich wurde 2001 durchgeführt und nur 39% aller Menschen in der Region sahen sich als russisch an.

  • Aha Lemberg heist der Ort Lwiw wieder , ist der auch schon an die BRD angeschlossen also heimgeholt?

  • und bis jetzt hat die ukrainische Armee keine Stadt eingenommen, wo sie Widerstand hätte brechen müssen. Wenn man an den Tschetschenien-Krieg denkt, könnte man sagen, der Krieg hat noch nicht einmal richtig begonnen.