Kommentar deutsche Griechenlandpolitik: Man wünscht sich Helmut Kohl zurück
Die Bundesregierung macht griechische Innenpolitik und zeigt, was sie von demokratischen Wahlen hält: ausgesprochen wenig.
M an stelle sich vor, Barack Obama hätte vor der letzten Bundestagswahl öffentlich dazu aufgerufen, auf keinen Fall die SPD zu wählen – ein politisches Erdbeben wäre die Folge gewesen. Zu den wenigen verbliebenen guten Sitten in der internationalen Politik zählt es nämlich, sich vor Wahlen nicht direkt in die Innenpolitik eines befreundeten Staates einzumischen.
Diese Tradition gilt ganz offensichtlich nicht für das deutsch-griechische Verhältnis. Die via Spiegel gestreute Nachricht, Deutschland halte einen Austritt Griechenlands aus dem Euro im Falle der Wahl des Syriza-Bündnisses für nahezu unausweichlich, ist nichts anderes als eine Drohung an die griechischen Wähler: Wählst du die Linken, dann verlierst du dein Geld. Sie macht zudem deutlich, was die Berliner Koalition von einer demokratischen Wahl hält – nämlich ausgesprochen wenig.
Zugleich entwickelt Deutschland ein Bedrohungsszenario. Dabei ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass eine Syriza-Regierung alle Kreditverträge kündigen und zugleich das Volk mit ungedeckten Milliarden-Wohltaten beglücken wird. Syriza-Chef Alexis Tsipras ist kein Idiot, der mit dem Kopf durch die Wand will. Allerdings verlangt er Neuverhandlungen über die Kreditlinien, das Sparprogramm und einen Schuldenschnitt. Wahrscheinlich bleibt, dass sich Athen, Berlin und Brüssel irgendwo auf halbem Wege einig werden. Sollte Tsipras aber an der Haltung der Eurostaaten scheitern, hat er keinen Plan B in der Tasche.
Das könnte tatsächlich für eine linke Regierung zum Problem werden, denn das Drohpotenzial Athens hat sich deutlich verringert. Die Bundesregierung hat recht: Ein „Grexit“ würde weniger Schaden anrichten als noch vor einigen Jahren. Kaum eine europäische Bank hält noch griechische Staatsanleihen, und die meisten Euro-Krisenstaaten haben sich stabilisiert. Ein Verzicht auf die Zinszahlungen Athens an die öffentlichen Kassen wäre verschmerzbar. Für die Griechen allerdings wäre eine Rückkehr zur Drachme ein Desaster. Das Land wäre entweder in alle Ewigkeiten hoch verschuldet oder ihm bliebe die Pleite. Aber das scheint in Berlin weder Christdemokraten noch SPD zu interessieren.
Es gab einmal den Begriff der europäischen Solidarität. Gerade die Deutschen haben davon lange Zeit profitiert. Heute gibt es Tage, da wünscht man sich Helmut Kohl in die Europapolitik zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste