Kommentar Wahlen Italien: Gegen die Wand

Die Italiener haben sich gegen Merkels Europa entschieden. Perspektiven für Italien zu entwickeln war den Parteien zu anstrengend. Und den Wählern auch.

Die Wahlen in Italien brachten nicht das erwünschte Ergebnis. Bild: dpa

In drei Worten lässt sich das Votum der italienischen Wähler zusammenfassen: Verzweiflung, Wut, Ausweglosigkeit. Genauso wie Fatih Akins Filmheld sahen sie keine andere Lösung als den Crash.

Die Protestliste Beppe Grillos, die „5-Sterne-Bewegung“, ist mit 25,5 Prozent die stärkste Partei im Land, und etwa 55 Prozent wählen, in einem der pro-europäischsten Länder der EU, gegen Europa. Gegen dieses Europa wenigstens, gegen das Europa der Austerität, gegen das Europa der Brüsseler Diktate, kurz: gegen das Europa der Kanzlerin Merkel.

Dabei schien seit Monaten in den Umfragen alles klar. Nicht berauschend, aber mit einem eindeutigen Vorsprung vor der Berlusconi-Rechten, so alle Umfragen, sollte Pierluigi Bersani, Chef der Partito Democratico, die Wahlen gewinnen.

Im schlimmsten Fall, so die Erwartungen, wäre er im zweiten Haus des Parlaments, im Senat, auf die Unterstützung des scheidenden Premiers, Mario Monti angewiesen. Europa, Merkels Europa? Am Ende auf der sicheren Seite, so die Erwartungen. Und die Protestwähler? Grillo wurden 15 Prozent zugetraut, mehr nicht.

Am Ende aber kam es völlig anders. Gegen die Wand – zuerst und vor allem hat Pierluigi Bersanis Mite-Links-Allianz die Wahlen gegen die Wand gefahren. Bersani darf für sich ein historisches Resultat beanspruchen. Im Abgeordnetenhaus heimst er dank eines absurden Wahlrechts am Ende 340 der 630 Sitze ein, hat damit die klare absolute Mehrheit – und ist doch der absolute Verlierer dieser Wahl.

Nicht einmal 30 Prozent der Wähler optierten für sein Bündnis, gerade 25,4 Prozent für seine Partito Democratico (PD). Vor fünf Jahren, als Mitte-Links gegen Berlusconi krachend verlor, bekam die Allianz 38 Prozent, die PD allein 33 Prozent.

Im Senat, dem zweiten und völlig gleichberechtigten Haus des Parlaments, führt dieses mehr als bescheidene Resultat zum Patt: Gerade einmal 119 der 315 Sitze kann die PD verbuchen, und auch mit Mario Montis trüber Truppe von 19 Senatoren ist die absolute Mehrheit von 158 Sitzen weit entfernt, die Bildung einer stabilen Regierung damit ausgeschlossen.

Bersani beherrscht sein Handwerk nicht

Die Ursachen für diese spektakuläre Pleite wird die PD vor allem bei sich selbst suchen müssen. Noch vor zwei Monaten lag die Mitte-Links-Allianz bei 40 Prozent, die PD allein bei 35 Prozent, getragen von der Welle der Euphorie der Vorwahlen, bei denen Ende November 2012 über drei Millionen Wähler für Bersani als Spitzenkandidaten optiert hatten.

Doch der PD reichten wenige Wochen, um dieses Kapital zu verspielen und stolze zehn Prozentpunkte einzubüßen. Sie zeigte sich als Partei, die technisch das Handwerk einfach nicht beherrscht: Nach den Primaries verfügte sie zum Beispiel über eine enorme Database von sympathisierenden Wählern – und machte nichts daraus. Die ersten Mails zur Wahl trudelten erst vor zehn Tagen bei den Sympathisanten ein.

Auch politisch schien die Partei bloß von einem Gedanken geleitet zu sein: Die Wahlen sind sowieso gewonnen, wieso also sich anstrengen? Genauso wie Bersani seine Botschaften im Fernsehen wegnuschelte, genauso krisengrau gab sich die PD: Sie sorgte sich vor allem, in Europa als italienischer Stabilitätsanker wahrgenommen zu werden – die Wähler hätte es wohl eher gefreut, wenn sie in Italien als beherzte Kämpferin für eine Wende weg von der europäischen „Stabilitätspolitik“ aufgetreten wäre.

Und nicht ein einziger konkreter Vorschlag der Partei, wie das Los ihrer Wähler zu bessern wäre, ist bei den Wählern hängengeblieben.

Berlusconis Wahlversprechen

Hängen blieb dagegen beim schmerzfreien Kern der rechten Wählerschaft Berlusconis Vorschlag, er werde die Grundsteuer nicht bloß abschaffen, sondern auch die schon für 2012 geleisteten Zahlungen zurückerstatten und es ansonsten „der Merkel“ zeigen.

Gegen die Wand: Diesem Teil der Wählerschaft sind weitergehende Perspektiven für das Land einigermaßen fremd, moralische Erwägungen über ihren Spitzenkandidaten, über ihr politisches Personal ziemlich gleichgültig, kleine finanzielle Vorteile in der großen Krise dagegen ausschlaggebend: Am Ende lag Berlusconis Bündnis beim Votum zum Abgeordnetenhaus lächerliche 0,37 Prozent hinter der Mitte-Links-Allianz.

Gegen die Wand: Dieses Motto gilt aber auch, in ganz anderem Sinne, für die Wähler der stärksten Partei Italiens, für die aus dem Nichts auf über 25 Prozent heraufgeschnellte Movimento5Stelle (M5S – „Fünf-Sterne-Bewegung“).

Kein Boden unter den Füßen

Wutwähler, denen oft genug das Wasser bis zum Hals steht, die mit Arbeitsplatzverlust, mit der Pleite des kleinen Geschäfts, mit drückender Steuerlast zu kämpfen haben. Solchen Wählern sind „europäische Stabilitätskriterien“ völlig egal, mit gutem Grund: Ihrer eigenen Stabilität hat die Krise, hat die von Merkel-Europa sowieso schon den Boden unter den Füßen weggezogen.

Gegen die Wand: Diese Schicksal droht nun nicht nur Italien, sondern auch der Euro-Zone. Italien steht vor einem politischen Patt, die Summe der europaskeptischen Wähler reicht von Grillo zum Berlusconi-Block 55 Prozent, eine stabile Regierung ist nicht in Sicht.

Wenigstens diese Lektion sollte auch in Berlin beherzigt werden: Demokratische Mehrheiten für eine in tiefe Rezession führende Sparpolitik sind kaum zu haben. Entweder Europa steuert um – oder es fährt gegen die Wand.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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