Kommentar Terror von rechts: Die Braune Armee Fraktion
Eine Nazi-Zelle hat offenbar 13 Jahre lang gemordet und geraubt. Sollten staatliche Stellen in ihr Untertauchen verwickelt sein, stürzt die Demokratie in eine tiefe Krise.
K ann das sein? Kann das wirklich wahr sein? Allem Anschein nach ja. Der Verdacht erhärtet sich mehr und mehr: Unerkannt konnte eine rechtsextreme Terrorgruppe 13 Jahre lang in ganz Deutschland Migranten ermorden, einen Anschlag auf Polizisten verüben und sich das Leben im Untergrund mit Banküberfällen finanzieren.
Stündlich kommen neue Details ans Licht, die es möglich erscheinen lassen, dass auch andere, jahrelang unaufgeklärte Taten wie der Nagelbombenanschlag in Köln 2004 oder der Anschlag auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000 mit dem Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Z. in Verbindung stehen.
Spätestens seit am Wochenende ein Bekennervideo bekannt wurde, ist klar: Das 1998 untergetauchte Trio hat offenbar eine Art "Braune Armee Fraktion" gebildet. "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) lautet der Name, den sich die Gruppe in ihrem Propagandavideo selbst gegeben hat. Ob noch weitere Neonazis Teil dieser rechtsextremen Terrorzelle waren, ist noch unklar. Aber Helfer müssen sie gehabt haben.
ist Redakteur im Inlandsressort der taz.
Die oberste Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger zu schützen. Mindestens das haben die Sicherheitsbehörden nicht geschafft. 13 Jahre lang konnten sie eine Serie schwerster Straftaten in Deutschland nicht aufklären. Das wäre schon schlimm genug. Aber vielleicht ist alles noch viel schlimmer.
Der Verdacht: Staatliche Stellen – vor allem der Thüringer Verfassungsschutz – haben beim Untertauchen der Gruppe nicht nur geschlampt, sondern die Flucht erst ermöglicht. Das klingt nach Verschwörungstheorie. Aber die Sache stinkt dermaßen zum Himmel, dass selbst die heute in Thüringen Verantwortlichen nicht mehr ausschließen wollen, dass Mundlos, Böhnhardt und Beate Z. vom Verfassungsschutz gedeckt wurden oder selbst V-Leute des Nachrichtendienstes waren – genauso wie es der Kopf der militanten Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz" war, dem das Trio vor dem Untertauchen angehörte. Sogar der Law-und-Order-Mann Hans-Peter Uhl von der CSU spricht inzwischen von einer möglichen Verfassungsschutzaffäre.
Man will sich das gar nicht ausmalen: Von staatlichen Stellen ermöglichter Nazi-Terror, in Deutschland, sechs Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Diktatur. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann blicken wir in einen Abgrund von Verrat – nur, dass die Verräter in diesem Fall angebliche "Staatsdiener" wären. Der Schaden für die Demokratie könnte größer nicht sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“