Kommentar Landtagswahl Sachsen: Demokratie ohne Sauerstoff
Politik als diskursfreie Zone: Eine machtsatte CDU hat in Sachsen den Wahlkampf entpolitisiert. Diese Nicht-Haltung half der AfD und der NPD.
N och nie klangen die routinierten Klagen über das Desinteresse der Wähler und den Zuspruch für Rechtsextreme so hohl wie nach dieser Wahl. Die NPD hatte in Dresden nichts ausgelassen, um sich zu ruinieren. Die Fraktion zerfiel, es hagelte Skandale. Der Fraktionschef floh als Kneipenwirt nach Mallorca. Jeder Anschein des bürgerlich Soliden verflog.
Trotzdem sind die Neonazis wieder recht stark geworden – dank tatkräftiger Unterstützung der CDU. Denn ohne niedrige Wahlbeteiligung, ohne die Agonie dieses Wahlkampfs wäre die NPD kaum in die Nähe von 5 Prozent gekommen.
Die Wahlabstinenz geht nicht auf die Kappe des unwilligen, müden Souveräns. Es lag auch nicht am Regenwetter oder am hartnäckigen, posttotalitären Harmoniebedürfnis. Die machtsatte CDU in Dresden hat die Entpolitisierung der Politik aus purer Machtarroganz angestrebt. Der Wahlkampf wurde, um unbequeme Fragen des Publikums möglichst zu vermeiden, komplett in die Sommerferien platziert, das TV-Duell abgesagt.
Der Opposition, von Linkspartei über die SPD bis zu den Grünen, fiel zu dieser inszenierten Wohlfühldemokratie auch nichts mehr ein. Zumal SPD und Grüne schon davon träumten, Regierungspartei werden zu dürfen. Die Zeichensprache der Politik in Dresden war klar: Bei dieser Wahl geht es um wenig bis nichts.
In Sachsen kann man eine Demokratie ohne Diskurs besichtigen. Der Streit über Alternativen, der Sauerstoff der Demokratie, verschwindet, an dessen Stelle rücken Machtinszenierungen. Und das nutzt den Parteien am rechten Rand. Die AfD hat mit rüdem, manchmal vagem Populismus die FDP beerbt.
Diese Wahl zeigt, dass im deutschen Parteiensystem eine verspätete Europäisierung stattfindet. Die Liberalen werden, wie in Österreich oder den Niederlanden, von Rechtspopulisten verdrängt. Die Politik in der Mitte dreht leer. Das Wahlvolk bleibt zu Hause oder wählt rechts.
Wie geht es weiter? Die CDU wird nicht so töricht sein, mit der AfD zu regieren. Progammatisch passen die neuen Rechtsausleger durchaus zu der traditionell kulturkonservativen sächsischen Union. Aber die SPD ist für Stanislaw Tillich der verlässlichere, ruhigere Koalitionspartner. Die Union kann es sich leisten abzuwarten, ob sich die AfD im Parlament zu einem brauchbaren populistischen FDP-Ersatz entwickelt. Die Absage der Union an die AfD ist keine Grundsatzentscheidung. Sie ist Machttaktik. Darauf versteht sich die CDU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel