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Kommentar Landtagswahl SachsenDemokratie ohne Sauerstoff

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Politik als diskursfreie Zone: Eine machtsatte CDU hat in Sachsen den Wahlkampf entpolitisiert. Diese Nicht-Haltung half der AfD und der NPD.

Für den Regen kann Stanislaw Tillich nichts. Für die Wahlabstinenz der Sachsen hingegen schon Bild: dpa

N och nie klangen die routinierten Klagen über das Desinteresse der Wähler und den Zuspruch für Rechtsextreme so hohl wie nach dieser Wahl. Die NPD hatte in Dresden nichts ausgelassen, um sich zu ruinieren. Die Fraktion zerfiel, es hagelte Skandale. Der Fraktionschef floh als Kneipenwirt nach Mallorca. Jeder Anschein des bürgerlich Soliden verflog.

Trotzdem sind die Neonazis wieder recht stark geworden – dank tatkräftiger Unterstützung der CDU. Denn ohne niedrige Wahlbeteiligung, ohne die Agonie dieses Wahlkampfs wäre die NPD kaum in die Nähe von 5 Prozent gekommen.

Die Wahlabstinenz geht nicht auf die Kappe des unwilligen, müden Souveräns. Es lag auch nicht am Regenwetter oder am hartnäckigen, posttotalitären Harmoniebedürfnis. Die machtsatte CDU in Dresden hat die Entpolitisierung der Politik aus purer Machtarroganz angestrebt. Der Wahlkampf wurde, um unbequeme Fragen des Publikums möglichst zu vermeiden, komplett in die Sommerferien platziert, das TV-Duell abgesagt.

Der Opposition, von Linkspartei über die SPD bis zu den Grünen, fiel zu dieser inszenierten Wohlfühldemokratie auch nichts mehr ein. Zumal SPD und Grüne schon davon träumten, Regierungspartei werden zu dürfen. Die Zeichensprache der Politik in Dresden war klar: Bei dieser Wahl geht es um wenig bis nichts.

In Sachsen kann man eine Demokratie ohne Diskurs besichtigen. Der Streit über Alternativen, der Sauerstoff der Demokratie, verschwindet, an dessen Stelle rücken Machtinszenierungen. Und das nutzt den Parteien am rechten Rand. Die AfD hat mit rüdem, manchmal vagem Populismus die FDP beerbt.

Grafik: infotext

Diese Wahl zeigt, dass im deutschen Parteiensystem eine verspätete Europäisierung stattfindet. Die Liberalen werden, wie in Österreich oder den Niederlanden, von Rechtspopulisten verdrängt. Die Politik in der Mitte dreht leer. Das Wahlvolk bleibt zu Hause oder wählt rechts.

Wie geht es weiter? Die CDU wird nicht so töricht sein, mit der AfD zu regieren. Progammatisch passen die neuen Rechtsausleger durchaus zu der traditionell kulturkonservativen sächsischen Union. Aber die SPD ist für Stanislaw Tillich der verlässlichere, ruhigere Koalitionspartner. Die Union kann es sich leisten abzuwarten, ob sich die AfD im Parlament zu einem brauchbaren populistischen FDP-Ersatz entwickelt. Die Absage der Union an die AfD ist keine Grundsatzentscheidung. Sie ist Machttaktik. Darauf versteht sich die CDU.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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18 Kommentare

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  • SPD FDP und Grüne machten und machen die AfD stark!

     

    Denn SPD, FDP und Grüne sind für mehr und mehr Bürger die Wahl der falschen Alternative. Und alle drei Parteien bekommen das zu spüren.

     

    Mit der AfD hat die Union jetzt sowohl in den Ländern als auch im Bund einen möglichen konservativen Partner und damit mehr Möglichkeiten als zuvor, da die CSU ja eben nur im Bayern gewählt werden kann.

     

    Denn die Mehrheit der Deutschen wählt seit Jahrzehnten ohnehin konservativ, wie man leicht an den früheren Regierungen sehen kann. Die sozialliberale Koalition unter Brandt war ein Glücks- und leider einmaliger Ausnahmefall in der deutschen Politik.

     

    Die FDP verabschiedete sich jedoch vom Liberalismus bereits seit 1982, als Herr Lambsdorff sein Thesenpapier veröffentlichte, das die sozialliberale Koalition zerstörte.

     

    Die SPD hingegen richtete und richtet sich mehr und mehr als Juniorpartner der Union ein. Denn wer braucht schon wirklich die Hartz-IV-Steinmeier-Seeheimer Partei?

     

    Die Grünen als Deregulierer und Laissez-faire-Wirtschaftsliberale buhlen ebenso um eine Juniorpartnerschaft mit der Union.

     

    Damit gibt es für die Union bessere politische Bedingungen, als es sie jemals zuvor gab: alle stehen bei ihr an.

     

    Thesenpapier Lambsdorff

    http://www.1000dokumente.de/index.html/index.html?c=dokument_de&dokument=0079_lam&object=context&l=de

     

    SPD Politik

    https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/maerz/das-neue-elendzehn-jahre-hartz-reformen-0

     

    Grünen Politik

    http://www.tagesspiegel.de/meinung/politischer-essay-die-welt-ist-aus-den-fugen/4523422.html

    • @RoRa1970:

      Stimm vollkommen!

       

      Und das Zeitfenster für Rot-Rot-Grün ist mit Einzug der AfD geschlossen.

       

      Verbockt haben es rot-grün, die seit 2005 der CDU die Mehrheiten verschaffen, anstatt eine linke Alternative zu reralisieren

  • Natürlich ist an Allem die CDU schuld, sonst wäre das hier ja nicht die taz.

     

    Aber mal ehrlich: Der Job einer Regierung ist zu regieren, nicht Leben in den Wahlkampf zu bringen. Wenn sie schlecht regiert, ist es an der Opposition, das anzuprangern und Alternativen zu präsentieren, die möglichst viele Wähler interessieren. Schafft sie das nicht, ist entweder sie unfähig oder die Regierung auf einem vom Wähler goutierten Kurs. Beides sind keine vernünftigen Gründe für die absehbaren Wahlsieger, den Wahlkampf künstlich spannend zu machen.

     

    Der AfD ist es hingegen offenbar in Sachsen in gewissem Maße gelungen, sich auch außerhalb der unmittelbaren NPD-Zielgruppe als Alternative zu den Etablierten zu präsentieren - und zwar augenscheinlich vor allem durch ihre pure Existenz. Denn wer von sich behauptet, verstanden zu haben, wofür diese Partei steht, der ist ihr selbst schon ein ganzes Stück voraus.

     

    Das ist der eigentliche Punkt. Und wenn man der CDU eine bräsige Machtgewohnheit unterstellt, dann sollte dieser Vorwurf eigentlich alle Parteien gleichermaßen treffen. Die AfD ist die deutsche Tea Party, der selbsterklärte Gegenentwurf zur stromlinienförmig vor sich hinwabernden Funktionärsaristokratie der etablierten Parteien. Ihr Erfolg sollte ALLEN zu denken geben, von der selbstgefällig grinsenden Merkel-Lakaien in Konrad-Adenauer-Haus über die Alles besserwissende Grünen-Elite, den lobbygetränkten Brüsseler Cocktail-Circuit bis zu jenen weintrinkenden Wasserprdigern im geistigen Umfeld des "Palastes der Sozialen Gerechtigkeit".

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Normalo:

      Den letzten Satz sollte man plakatieren. Könnte allerdings für visuell-symbolisch geprägte Wählerschaft zu lang sein.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Den Erfolg der AfD bloß der sächsischen Rechtslastigkeit zuzuschreiben ist nicht ganz richtig. Die AfD reitet vorwärts auf jeder Schlagzeile, die sich mit Zuwanderung und Euro-Krise beschäftigt. Dem nicht unerheblichen Anteil der Personen, die die Meinung vertreten "Wir zahlen eh für alles und alle" wird hier mit dem glatten Lucke eine semiintelektuelle (=wählbare) Alternative geboten. Ihr Wähler findet diese Partei nicht nur unter den national-konservativen, sondern überall, wo die Unzufriedenheit den o.g. Faktoren zugeschrieben wird. Die AfD verhüllt ihr neoliberales Wirtschaftsprofil mit dem Anti-Euro-Image und schafft es anscheinend die Menschen anzuziehen, die mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen eines Lucke oder Henckel nicht viel gemeinsam haben, oder es noch nicht wissen.

    Die Schuldigen kann man unter den politisch Verantwortlichen der letzten 20 Jahre suchen, die durch ihre verfehlte, umverteilungsorientierte (von unten nach oben natürlich) und teils korrupte (Riester, Clement uvm) Politik ein latentes Gefühl des Zukurzkommens in breiten Bevölkerungsschichten ausgelöst haben. Die daraus resultierende Unzufriedenheit richtet sich nicht z.B. gegen die halbierten Körperschaftssteuersätze (wer versteht das schon) sondern gegen die griffigen Themen wie "Euro", "Zuwanderung in Sozialsysteme" etc.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Glauben Sie wirklich, dass es in Sachsen so viel von unten nach oben zu verteilen gab?

      Ich glaube nicht, dass es vielen Sachsen heute schlechter geht als zu DDR-Zeiten. Maximal emotional, weil der autoritäre Staat weg ist, den die wohl zum Leben brauchen. Aber den schaffen die sich ja neu.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @Age Krüger:

        Ich glaube nicht, dass das Wahlergebnis der AfD in Sachsen auf sächsische Zustände/landespolitik zurückzuführen ist. AfD ist gegen den Euro und gegen die Zuwanderung. Und viele Menschen, egal wo, glauben es geht ihnen schlechter (oder nicht besser, oder nicht wesentlich besser) wegen des Euros (inkl. "Durchfüttern" der faulen Südländer) und wegen der Zuwanderung.

        • D
          D.J.
          @10236 (Profil gelöscht):

          Ich selbst kenne keinen Sachsen/keine Sächsin, dem/der es schlechter geht als zu DDR-Zeiten

          Ich denke aber, Arroganz bringt uns hier nicht weiter. Sehr hohe Ergenbisse hatte die AfD in den östlichen Wahlkreisen. Wer aber das hohe Problem mit Eigentumskriminalität in diesen Gebieten einfach als "ängstliche Besitzstandswahrung" abtut (wie es einige tun), darf sich nicht wundern, dass viele auf solch Überheblichkeit reagieren.

  • In den Niederlanden hat die (wirtschafts-)liberale VVD die letzte Wahl mit 26,5 % gewonnen, stellt den Regierungschef Mark Rutte und mit den Democraten '66 gibt es dazu noch eine (links-)liberale mit 8 % im Parlament - nicht gerade das, was ich als "Verdrängung von Liberalen" bezeichnen würde. Etwas genauere Recherche bitte!

  • So unbedeutend ist eine Landtagswahl in Sachsen nicht. Immerhin verschafft der Einzug der AfD ins Parlament dieser Gruppierung nicht unerhebliche Mittel. In einem hat der Artikel recht: Deutschland bewegt sich in Richtung europäische Normalität. Populisten erobern im gesamten Europa immer mehr Stimmen. Es ist doch viel einfacher, im Freundeskreis oder in der Kneipe über „Bauer sucht Frau“ u.ähnl. zu reden und bei der Glotze bei jeder politischen Talk-Sendung sofort den Kanal zu einer seichten Fake-Unterhaltungsendung zu wechseln. In dieser Atmosphäre findet dann selbst bei den dümmsten populistischen Parolen keine Auseinandersetzung mehr statt. Wirksam gegen eine solche Entwicklung ist die Wiederbelebung der reflektierten politischen Diskussion in allen öffentlichen Räumen. Hiermit will ich alle, gleich welcher politischen Couleur, auffordern zumindest den Versuch zu unternehmen sich jeder rein populistischen Parole entgegen zu stellen. Vermeiden wir die Auseinandersetzung leisten wir dem Populismus Vorschub. Allen die mit der Grundhaltung „ändert sich ja doch nichts“ nicht einmal mehr wählen gehen, warne ich hiermit: Populismus braucht immer Feindbilder. Ein Anwachsen von populistischen Kräften führt zur Entsolidarisierung und Polarisierung der Gesellschaft. Jede nicht abgegebene Stimme ist in der jetzigen Position eine halbe Stimme für den schädlichen Populismus.

    • D
      D.J.
      @Klaus Vollmer:

      Erste Regel der pol. Auseinandersetzung ohne Überheblichkeit: Die Leerphrase "Populismus" vermeiden.

      • @D.J.:

        Verraten Sie mir, wie ich bei einem Plädoyer gegen den Populismus das Wort selbst vermeiden kann?

        Mit Ausnahme meines ersten Satzes schreibe ich nur über die Gefahren des Populismus. Dazu ist es dringend notwendig, die Methodik Populismus auch beim Namen zu nennen.

        Aber zur Einschätzung meiner eigenen politischen Position:

        Die AfD ist derzeit eine national-konservative und pur wirtschaftsliberale Partei, der es mit populistischen Methoden(Fremdenfeindlichkeit, Warnung vor Kriminalität, Euro-Kritik(die da oben) usw.) gelingt Wählerstimmen zu erreichen. Die Plakate in Wahlkämpfen sprechen da eine sehr deutliche Sprache.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Das war keine Wahl, sondern eine Schande für die demokratische "Kultur".

     

    Bei 51% Nichtwählern sollte eigentlich die Wahl wiederholt werden müssen.

    • D
      D.J.
      @571 (Profil gelöscht):

      Das Recht zur Enthaltung ist ein wichtiges demokratisches Recht, ob es mir im Einzelnen passt oder nicht.

  • Zuerst einmal muss tatsächlich darauf verwiesen werden, dass, wie @Xaver H hier richtig ausgeführt hat, die zwei liberalen Parteien in den NL bei weitem mehr Stimmen haben als Wilders PVV. Ich mag Herrn Rutte auch nicht besonders, aber ihn mit Wilders oder Lucke gleichzusetzen, ist schon sehr unverständlich. Man sollte sich einfach fragen, wo man lieber leben möchte: In Sachsen oder in NL?

     

    Und da dürfte die Entscheidung angesichts von 15-20% der Wählenden in Sachsen noch rechts von einer ohnehin schon reaktionären CDU nicht schwer fallen.(Auch die FDP in Sachsen war immer national ausgerichtet anstatt liberal.) Das dies so einfach hingenommen wird in dem Kommentar, finde ich bedenklich.

     

    Es sollte bei solchen Wahlentscheidungen in der BRD allmählich lieber über Sanktionen nachgedacht werden, wozu man weiterhin einen Solidaritätsbeitrag dorthin schicken soll, um faschistoide Tendenzen weiter zu unterstützen.

    Ich gehöre auch zu den Menschen, die die Entwicklungen in der West-Ukraine mit Sorgen betrachte, was die faschistischen Kräfte dort um den rechten Sektor oder der Banderas.Partei anbelangt, dennoch glaube ich nicht, dass der Anteil an reaktionären Menschen dort prozentual höher sein wird wie in Sachsen. Man sollte sich also auch mal um die Probleme hier kümmern.

    Es ist eine Schande, dass dieses Land in der BRD liegt.

  • "Das Wahlvolk bleibt zu Hause oder wählt rechts."

     

    Ist das alles, was Stefan Reinecke zu dieser erschreckenden Entwicklung zu kommentieren hat?

     

    Christian Semler und Lothar Mikos hätten wahrscheinlich völlig anders kommentiert und wären auf die niedrige Wahlbeteiligung von nur 49,2 % eingegangen. Sehr bedrohlich für die Demokratie! - "Amerikanische Verhältnisse"? Und "Polnische Verhältnisse"?

     

    Siehe Analyse von Lothar Mikos in der taz vom 28./29. August 1999 und von Christian Semler in der gleichen Ausgabe, die allerdings nicht in das Buch über Christian Semler (2013) aufgenommen wurde. Herausgeber des Buches Stefan Reinecke und Mathias Bröckers.

  • SPD mehr Sitze als AfD!

  • In den Niederlanden gibt es nach wie vor echte liberale Parteien, die nicht von den Wilders-Populisten verdrängt wurden: VVD (die neoliberalere der beiden) ist stärkste Kraft im Parlament und stellt den Ministerpräsidenten, D66 (eher sozialliberal) ist ebenfalls stark vertreten (ähnliche viele Sitze wie Wilders' PVV). In den Niederlanden leiden eher die Konservativen unter den Rechtspopulisten.