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Kommentar Grüne und PädophilieDie Kosten der Selbstaufklärung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die sachliche und historische Darlegung der grünen Vergangenheit mag teilweise instrumentalisiert werden – ist aber der einzig richtige Weg.

Hinter den Verboten ahnten sie die große Freiheit – und fanden, dass sie sich bisweilen heftig verrannten Bild: dpa

D ie moralisch hochfahrende Verurteilung von Daniel Cohn-Bendit war bösartig und unfair. Es war eine Kampagne, inszeniert von Konservativen in Baden-Württemberg, orchestriert von Medien, die es nicht kümmerte, dass es in den zum namenlosen Skandal stilisierten Zeilen in seinem Buch „Der große Basar“ nichts Neues gab. Vielleicht aber bringt die heillose Aufregung um Cohn-Bendit doch noch etwas Brauchbares hervor: nämlich eine solide Debatte um Pädophilie und Grüne in den 80er Jahren.

Es geht dabei um Grenzen der Freiheit und um die Unterschiede zwischen den Pädophilie-Aktivisten und Missbrauch anderswo. Denn ins Auge fällt ein fundamentaler Unterschied zu den Fällen in der Odenwaldschule oder der katholischen Kirche. Dort handelt es sich um sexuelle Übergriffe von Autoritätspersonen an Schutzbefohlenen. Und die Täter versuchten alles, um diese zu vertuschen.

Die Pädodebatte bei den Post-68ern und den Grünen war fundamental anders. Nichts wurde versteckt – im Gegenteil. Es regierte eine geradezu exhibitionistische Lust, alles ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu rücken. Die Pädosexuellen schrieben Bücher und Manifeste. Sie wollten nicht im Verborgen geduldet, sie wollten von aller Welt als Unterdrückte anerkannt werden.

Wenn man liest, mit welchem Selbstverwirklichungsfuror damals für das Recht auf Sex mit Kindern agitiert wurde, verschlägt es einem die Sprache. Wie konnten Leute, die sich Menschenrechte und Emanzipation auf die Fahne schrieben, das tolerieren? Wie konnte man das offenkundige Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern übersehen?

Das hatte mit einem verkrümmten Freiheitsbegriff zu tun, dem zufolge nur Verbieten verboten war. Und mit einem krude ideologisierten Bild von Kindern als edle Wilde. Das Kind war eine Projektionsfläche. Die Erwachsenen waren vom System deformiert, die Kinder rein, unverfälscht, deshalb mussten sie auch in ihrer Sexualität schrankenlos sein dürfen.

Die sachliche, historische Darlegung ist der richtige Weg, sich damit zu befassen. Gerade weil das Thema Sex und Kinder leicht instrumentalisierbar ist. Die Grünen habe sich nach anfänglichem Zögern dazu entschlossen. Das wird sie wohl Stimmen von kulturkonservativen WählerInnen kosten. Aber historische Selbstaufklärung ist nicht kostenlos.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • „Die Kosten der Selbstaufklärung“ – schon der Titel ist beschönigend. Als ob die Grünen allein darunter litten, dass sie so wacker und ohne Rücksicht auf sich selbst Aufklärung betreiben würden. (Und, ganz nebenbei: Könnte die taz nicht ab und zu versuchen, das Bemühen um journalistische Distanz wenigstens zu simulieren?)

     

     

     

    Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Dass die Grünen jahrelang eine Pädophilen-Partei waren (in dem Sinne, dass Pädophile die Grünen als politischen Arm ihrer Anliegen verstanden und dass grüne Parteibeschlüsse auf eine Legalisierung der sexuellen Ausbeutung von Kindern drangen) – das war lange bekannt. Es hat nur niemanden interessiert, und schon gar nicht die Grünen selbst.

     

     

     

    Nun gibt es keine Anlaufstelle für Opfer der grünen Politik, schon gar keine Diskussion über mögliche Entschädigungen, statt dessen wird die „Aufklärung“ abgeschoben in ein Forschungsprojekt eines wohlgesonnenen Wissenschaftlers. Das erste nennenswerte Ergebnis dieser Forschung ist es dann auch, über einen Text einer FDP-Kandidatin aufzuklären. Wie praktisch.

     

     

     

    Der Umgang der katholischen Kirche mit den massiven sexuellen Übergriffen von Priestern auf Kinder ist zu Recht hart kritisiert worden, natürlich auch von Grünen. Dabei hat die Kirche im Unterschied zu Grünen die sexuelle Ausbeutung von Kindern niemals als sexuelle „Befreiung“ der Kinder glorifiziert, und sie ist auch niemals für eine Legalisierung eingetreten.

     

     

     

    Würden die Grünen an sich selbst auch nur annähernd die Maßstäbe anlegen, die sie an die Kirche angelegt haben – dann sähe die „Selbstaufklärung“ ganz anders aus.

  • Sorry, aber kann es sein, dass hier eine sexuelle Perversion unnötigerweise verklärt wird?

  • Schon der Titel ist verzerrend - "Die Kosten der Selbstaufklärung". Das ist, mit Verlaub, Selbstbeweihräucherung - "Wenn wir jetzt in Schwierigkeiten geraten, dann nur, weil wir so tapfer über uns selbst aufklären." Tatsächlich ist es ganz anders: Dass die Grünen in den ersten Jahren, und langen Jahren, eine Pädophilenpartei waren (in dem Sinne, dass sie die sexuelle Ausbeutung von Kindern durch Erwachsene verharmlosten, gar als sexuelle Befreiung der Kinder glorifizierten und politische Plattform Pädophiler waren) - das war immer eine offenes Geheimnis. Es hat nur nie jemanden interessiert, schon gar nicht die Grünen selbst.

     

     

     

    Das, was jetzt selbstbeklatschend als "Aufklärung" gefeiert wird, ist tatsächlich der Versuch, eine erssthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu vermeiden - das Abschieben der Diskussion in die Forschungsarbeit eines wohlgesonnen Wissenschaftlers, der zufällig als erstes aufsehenerregendes Ergebnis einen jahrzehntealten Text einer FDP-Kandidatin präsentiert. Wie praktisch.

     

     

     

    Nirgendwo kümmern sich die Grünen um Opfer ihrer Pädophilie-Unterstützung, es gibt keine Anlaufstelle für sie, schon gar keine Möglichkeit der Entschädigung. Die katholische Kirche, die anders als die Grünen niemals die Pädophilie öffentlich unterstützt hat, ist gleichwohl zurecht für ihren Umgang mit sexueller Gealt gegen Kinder durch Priester scharf kritisiert worden. Würden die Grünen an sich nur annähernd die Maßstäbe anlegen, die sie an die Kirche angelegt hatten - dann würde die "Selbstaufklärung" ganz anders aussehen.

  • Komisch, dass dieses Fass ausgerechnet vor Wahlen aufgemacht wird. Vermutlich verspricht man sich dadurch eine besonders seriöse Debatte.

  • "Die Pädosexuellen schrieben Bücher und Manifeste."

     

     

     

    Und genau diese Hinweise auf die Vergangenheit einzelner Personen und die heutige Diskussion sollen verwischt werden. Die deutsche Wikipedia hat damit bereits begonnen:

     

     

     

    "Ideologische Bereinigung: Wikipedia-Einträge zur Pädophiliedebatte bei den Grünen sollen gelöscht werden "

     

     

     

    http://genderama.blogspot.de/2013/08/ideologische-bereinigung-wikipedia.html

    • @FocusTurnier:

      Man die Jungs von der Gender Rama sind immer so glitschig!

    • @FocusTurnier:

      Ganz und gar nicht - der Artikel wurde je eben erst angelegt.

  • G
    GegenExtremisten

    Inwieweit eine "sachliche" Ausklaerung unter der Aegide von Herrn Walter und seinem Insitut gegeben ist, darf mehr als bezweifelt werden. Man kann es auch so sehen, dass man bewusst eine der am weitesten links stehenden Wissenschaftler beauftragt hat um sich selbst reinzuwaschan aber nach aussen den Anschein wissenschaftlicher Genauigkeit zu wahren. War mal wieder nichts, liebe Gruene.

  • J
    JDI

    Sorry, aber den inhaltlichen Unterschied zu den beiden genannten Institutionen kann ich hier wirklich nicht erkennen. Im Gegenteil: Alles, was heutzutage relativierend und verhamlosend über damalige Beiträge (Cohn-Bendit, Beck etc.) geäußert wird, entspricht wertmäßig den Vertuschungsaktionen ("Nicht so gemeint, rein fiktional, nicht redigiert, wirklich nur Einzelne, nichts mit der Partei zu tun...."). Es ist erkennbare Strategie von Bündnis 90/ Die Grünen ein Bild zu zeichnen, sich als damalige Freiheitskämpfer zu stilisieren, bei denen Einige nur etwas über das Ziel hinausgeschossen sind.

     

     

     

    Ein klares Schuldbekenntnis sieht anders aus. Dieses hätte ich mir insbesondere von den Personen wie Trittin und Roth gewünscht, die damals bereits aktiv waren: "Wir bekennen, dass wir geschwiegen haben, obwohl wir nicht hätten schweigen dürfen." Aber Personalisierung von Schuld scheint ein Fremdbegriff zu sein. Daran wird ersichtlich, dass mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird.

     

     

     

    Ich schäme mich für solches Phärisäertum.

    • @JDI:

      "Sorry, aber den inhaltlichen Unterschied zu den beiden genannten Institutionen kann ich hier wirklich nicht erkennen"

       

       

       

      Die Fähigkeit sich mit dem Thema Pädophilie tatsächlich differenziert und genau auseinanderzusetzen scheint aber nicht sehr verbreitet zu sein. Scheinbar geht es vor allem darum ein paar Schuldige zu finden und dingfest zu machen ("klares Schuldbekenntnis!!").

       

       

       

      Das Interesse zu verstehen was damals tatsächlich getan, gedacht und geschrieben wurde fällt dabei recht gering aus.

    • R
      RoFi
      @JDI:

      Das sehe ich ganz genau so.

       

       

       

      Offenbar herrscht bei Cohn-Bendit, et al die Vorstellung, dass diejenigen, die die 'bessere' (politische) Einstellung haben, sich dafür auch mal was 'rausnehmen' dürfen.

       

      Das sah ein Teil des Lehrkörpers der Odenwaldschule wohl genauso.

  • S
    Schredderung

    wenn herr volker heck bestimmen könnte welche sätze eindeutig von ihm stammen und welche ihm nach seiner aussage in den text (der pädosexuelle komplex) HINEINGESCHREDDERt wurden, wäre doch ein großes stück aufklärung geleistet.

     

     

     

    aber ich vermute, da hat beck einen völligen Blackout und prof walter wird den beck danach nicht nach Aufklärung fragen.