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Kommentar FrontexImagepflege der Grenzschützer

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist keine Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger – sie produziert Schiffbrüchige. Das ist die direkte Folge ihrer Arbeit.

Pakistanische Flüchtlinge nahe der griechisch-türkischen Grenze Bild: reuters

A uf Anfrage hat das Bundesinnenministerium am Wochenende zwei Zahlen zur Arbeit von Frontex, der Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, genannt: 33.000 Menschen seien 2011 aus Seenot „gerettet“ worden, 180 im vergangenen Jahr ertrunken. Das seien aber „keine amtlichen Zahlen, sondern nur gesammelte Einzelfälle“.

Schiefer könnte das Bild kaum sein: Für diese so genannte „Statistik“ dürfte die Bundesregierung kurzerhand alle Papierlosen, die Frontex aufgegriffen hat, zu „Geretteten“ erklärt, sich aber bei den Toten einfach auf die Fälle beschränkt haben, mit denen deutsche Beamte direkt zu tun hatten. Die Zahlen von Stellen, die versuchen, europaweit alle Fälle zu erfassen, liegen stets im vierstelligen Bereich.

Frontex setzt eine Ordnung durch, in der es nicht mehr möglich ist, regulär nach Europa zu kommen, um Schutz zu suchen. Die Fluchtwege sind zu. Frontex ist dafür da, dass das so bleibt. Das Asylrecht ist formal weiter in Kraft, aber wer es in Anspruch nehmen will, ist gezwungen, auf verschlungenen, illegalen, teuren und gefährlichen Wegen hierher zu finden.

privat
Christian Jakob

ist Redakteur im Ressort taz1.

Keine Fluggesellschaft, keine Fähre nimmt einen Papierlosen an Bord, der einen Asylantrag stellen will. Das tun nur Schlepper. Das ist der Grund, warum Tausende Menschen ertrinken, wenn sie versuchen, hierher zu kommen.

Jeder, den die Grenzschützer auf dem offenen Meer oder an den Landgrenzen aufgreifen, muss einen Asylantrag stellen können. Dazu haben sich die EU-Staaten mit dem Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet. Die Art, wie sie diese Verpflichtung umsetzen, ist in höchstem Maße verlogen: Das Asylrecht bleibt formal in Kraft, um an der Erzählung von Europa als Raum der Menschenrechte festhalten zu können. Gleichzeitig wird alles dafür getan, dass dieses Recht so selten wie möglich in Anspruch genommen werden kann.

In den ersten Jahren, nachdem Frontex gegründet wurde, gab es immer mehr Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die europäischen Grenzer: Migranten berichteten von Prügel, Misshandlungen, illegalen Zurückschiebungen, die Öffentlichkeit war irritiert, der Ruf von Frontex litt.

Die EU setzte einen Menschenrechtsbeirat ein, um dafür zu sorgen, dass die Agentur ihre Arbeit künftig geräuschloser erledigt. Zu dieser Imagepflege gehört es auch, die Grenzer als Seenotretter hinzustellen, wie es die Bundesregierung jetzt tut. Doch solange die Agentur dazu da ist, Schutzsuchende konsequent auf Abstand zu halten, gehen Menschenrechte und Frontex nicht zusammen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Christian Jakob
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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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10 Kommentare

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  • DS
    Der Sizilianer

    "Das Asylrecht bleibt formal in Kraft, um an der Erzählung von Europa als Raum der Menschenrechte festhalten zu können. Gleichzeitig wird alles dafür getan, dass dieses Recht so selten wie möglich in Anspruch genommen werden kann."

     

    Ganz genau, Herr Jakob, Sie bringen es auf den Punkt. Das ist die verlogene Realität eines Kontinents, der sich gerne als Wiege und Hort der universellen Menschenrechte präsentiert. Danke Ihnen für diesen Artikel.

  • D
    Dana

    Andere Baustelle, aber klingt für mich ebenso verfahren wie AGG Klagen und kein Zeugnis... De facto gibt es das nicht. Aber den letzten beißen die Hunde. Rückkehr aus dem Hartz 4 Wunderland? Nein, leider auch nicht. Sind zwar auch alles Menschenrechtsverletzungen - aber kann man natürlich bei der Systemhinterfragung an sich in Beziehung setzen.

  • T
    tommy

    @besser nicht

     

    An den Bremen-Tatort kann ich mich auch erinnern; für mich ein Musterbeispiel der Diffamierung von Frontex durch die Medien. Sie wissen schon, dass Tatort Fiktion ist? Und das Gerede von den "Neoliberalen", na ja, nicht besonders originell.

     

    @Steiner

     

    Es gibt ein Recht zur Emigration, aber nicht zur Immigration (d.h. Staaten können ihre Bürger nicht im eigenen Land einsperren, aber kein Staat ist gezwungen - außer durch die "Lücke" des Asylrechts, bilaterale Vereinbarungen etc. - Bürger anderer Staaten einreisen zu lassen). Und es gibt ein legitimes Interesse Europas, ungezügelte Masseneinwanderung aus Afrika zu verhindern. Dass das geschehen sollte, ohne dass Menschen im Mittelmeer ertrinken - unbestritten, aber für die Einwanderungsbefürworter wie Sie wohl einer sind, ist das nur ein vorgeschobenes Argument, es geht darum Grenzen und Grenzschutz an sich zu diffamieren und delegitimieren.

  • B
    BesserNicht

    Als ehemaliger Grenzschützer (1970-1983 inkl.RAF Bekämpfung)schäme ich mich

    für meine KollegInnen die eine eindeutig falsche Politik der EU und Berlin durchsetzen müssen und rings um das Mittelmeer eine neue Mauer bauen wollen.

    Erinnere mich auch in diesem Zusammenhang an einen Tatort aus Bremen im Ersten,wo genau dies Vorgehen

    im Spiel geschildert wurde.

    Pfui Teufel mit den Neoliberalen die über Leichen gehen!

  • RR
    Rolf R. Steiner

    Komische "Helden" von Frontex, die Flüchtlinge absaufen lassen, sie von den Grenzen wegjagen, die Kranke und Kinder in den Tod schicken. Nachdem die Konzentrationslager Gadaffis wegfallen, die von uns mit Abermillionen finanziert wurden und die Flüchtlinge aus Schwarzafrika in Gewahrsam nahmen. Mir fällt nichts besseres ein als die der DDR-Grenzzaun, doch die Opferzahl der Flüchtlinge sind jetzt schon bedeutend höher als bei den 28 Jahren DDR-Mauer.

  • T
    tommy

    Für mich sind die Mitarbeiter von Frontex Helden, die einen schwierigen, aber notwendigen Job machen und dafür immer wieder von den Medien diffamiert werden.

  • P
    Pulitzer

    Und was ist mit den direkten Todesfällen, also Mord durch griechischen Küstenschutz unter Mitwirkung von Frontex?

    Es gibt sogar Videos in denen Frontex ganz offen demonstriert, wie sie mit ihren Schnellbooten kleine Flüchtlingsboote umkreisen, um sie mit den daraus entstehenden Wellen zu kentern und es gab immer wieder Berichte über abgestochene Schlauchboote, bis hin zu einem Fall, in dem 36 iranische Flüchtlinge dadurch ersoffen. Journalisten interessiert so was schon lange nicht mehr.

  • A
    anke

    Ein überaus beliebtes Prinzip: Schaffe ein Problem und lass dich anschließend für seine "Lösung" nicht nur bezahlen sondern auch noch feiern.

     

    Vor dem Hintergrund der 180 nicht "Geretteten" und angesichts der hohen Zahl gar nicht erst erfasster Toter kann man die "Erfolgsbilanz" der EU-Truppe FRONTEX in nur zwei einfache Worte fassen. Das eine ist: unmenschlich, das andere: zynisch.

     

    Es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, dass die Organisation privatisiert wird. Damit wäre der Konflikt zwischen Primär- und Sekundärrecht elegant gelöst. Öffentliche Kontrollen oder gar eine Korrektur der Richtung wären nicht mehr notwendig. Auch so eine Lieblings-"Lösung" moderner "Entscheidungsträger".

  • V
    vic

    Hat tatsächlich jemand geglaubt, Frontex würde Menschenleben retten?

    Nein, Frontex ist die EU-Grenzverlängerung auf dem Wasser und Frontex ist gefährlich.

  • I
    inflexible

    Tendenziöser Beitrag, dem ich so nicht zustimme. Empfehle einen Blick in die Frontex-Verordnung. Demnach ist der integrierte Grenzschutz eine notwendige Ergänzung des freien Personenverkehrs innerhalb der Europäischen Union und ein wesentliches Element des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Zu diesem Zweck beinhaltet die Verordnung Vorschriften über Standards und Verfahren für die Kontrolle der Außengrenzen. Sie spricht die Grundrechte-Charta oder die Genfer Konvention explizit an und sieht auch ein Konsultationsforumvor.

     

    Wer produziert Schiffbrüchige? Geldgierige Schleuser? Finstere Gestalten wie Assad? Die Chinesen, wenn sie in ihren Einflussphären Freiheiten beschneiden? Nein, wie üblich nur "wir" allein, der böse Westen und seine Grenzschergen.

     

    Wenn Borniertkeit die Schwester der Einfalt ist, halten sie hier Karneval. Der Westen trägt keine blütenweise Weste. Unsere Welt ist aber zu komplex für solch simples Schubladendenken gepaart mit Selbsthass. Dies aber sind schlechte Ratgeber, zumal der Beitrag keine überzeugende Alternative aufzeigt.