Kommentar Berlin-Wahl: Die Spaß-Wahl
Die Piraten kommen locker in den Berliner Senat. Ist die Wahl in Berlin damit ein Vorbote für die Öffnung hin zu immer mehr Ein-Themen-Parteien?
B erlin war manches Mal ein politischer Seismograph für die Republik. Manche Bewegung formierte sich hier früher und lauter. Ist der Überraschungserfolg der Piraten also ein Vorbote für etwas, das nun der Republik blüht? Hat in Berlin gar die langsame Öffnung des stabilen deutschen Parteiensystems für "Ein-Thema-Bewegungen" begonnen?
Eher nicht. Der Erfolg von Klaus Wowereit und den Piraten speist sich aus einer ähnlichen Quelle. Es gab in der Stadt keine klare Konfrontation - keinen Kampf zwischen neoliberal und sozial, zwischen national und multikulturell. Wenn nicht klar ist, um was es wirklich geht, dann wählt man nach Ästhetik und Stil. Wowereit repräsentiert wie kein zweiter das Selbstbild Berlins als lässige Metropole. Und von der Unzufriedenheit, die überall gärt proftierten in Berlin die Piraten. Anderswo kommen solche Stimmungen Populisten zu Gute nutzt. In Berlin hat auch der Protest etwas Verspieltes, Unernstes, Cooles.
Man kann den Sieg der Piraten nicht auf die Republik hochrechnen, weil er aus einer speziellen Situation resultiert. Ihr Erfolg ist ein Echo der krassen Fehleinschätzung der Berliner Grünen, deren Wahlkampf den Piraten verunsicherte grüne Wähler zutrieb. Die äußerst energische Renate Künast war das falsche Mittel gegen den lustigen Wowereit. Und die Idee, auf Grün-Schwarz gegen Rot-Rot zu setzen, war eine Strategie, die nur einen Effekt hatte: Die eigene Anhängerschaft war verstört. Berlin ist eben keine schwarz-grüne Stadt.
ist Parlamentskorrespondent der taz.
Man fühlt eher links, ein alteingessenes und weltoffenes Bürgertum gibt es, anders als Frankfurt/M. oder Hamburg, auch nicht. Künasts letzter Hakenschlag, das späte Bekenntnis zu Rot-Grün, wirkte nur noch verzweifelt. Für die Grünen ist die Botschaft dieser Wahl kristallklar: Verlassen sie aus Übermut das rot-grüne Lager, werden sie bestraft. Dass sie nun wohl zum ersten Mal seit 20 Jahren regieren werden, ist eine ironische Pointe dieser Wahl.
Und sonst? Keine Tragödien, nichts Besorgniserregendes. Der rot-rote Senat war gut für Berlin. Nur diese Regierung konnte die Grenzen zwischen Ost und West gleichsam verflüssigen. Aber zehn Jahre sind genug. Und klug haben die Wähler den Verzweiflungspopulismus der FDP bewertet, die auf den letzten Metern mit Euro-Skepis punkten wollten. Mal sehen, ob die FDP diese Lektion versteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Einigung über die Zukunft von VW
Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen