Kommentar Berichterstattung Blockupy: Steile öffentliche Erregungskurve
Gewalt bei Demonstrationen ist nicht neu. Das Maß der Erregung darüber schon. Will man die Krawalle vermindern, sollte man sie weniger beachten.
B ei den Leuten, die in Frankfurt verletzt, deren Autos angezündet oder Scheiben eingeworfen wurden, ist die Wut völlig verständlich. In der öffentlichen Diskursmaschine ist sie aber bigott. Sie hat etwas vom Verhalten von Autofahrern, die anhalten, um Unfallopfer zu beglotzen.
Große Demos ziehen Leute an, die auf Konfrontation aus sind, genauso wie Fußballspiele Hooligans und Bahnhöfe Taschendiebe. Das war schon immer so und wird auch nicht ohne Weiteres aus der Welt zu schaffen sein. Und ebenso viel oder wenig, wie die Fußballvereine etwas für ihre prügelnden Fans können, können die Abgeordneten, die Blockupy angemeldet haben, etwas für die Autoanzünder. Es gibt auch keine „neue Qualität der Gewalt“. Dass die Polizeigewerkschaft dies behauptet, ist ihr Job. Und um das zu widerlegen, muss man nicht bis zur Startbahn West zurückgehen.
Nur der Winkel der öffentlichen Erregungskurve ist heute steiler. Und da liegt eines der Probleme. Medien stürzen sich begierig auf jede Form von Regelverletzung. Dieser Sog ist so stark, dass dann, wie am Mittwoch, schon mal öffentlich-rechtlich weiterverbreitet wird, 80 Polizisten seien durch „ätzende Säure“ verletzt worden, obwohl es wohl das eigene Pfefferspray war. Dieser überhitzte Umgang mit der Demo-Gewalt lässt sich am Ende auf eine überaus unselige Formel bringen: Wer zerstört, wird gehört.
Tatsächlich führen die Krawalle eben nicht dazu, dass nicht über „das Anliegen“ – sei es EU-Spardiktat, Castor oder Nazis – geredet wird. Es wird sehr wohl über beides gesprochen. Ob dies für die Autoanzünder eine Rolle spielt, ist fraglich. Trotzdem: Wer den Automatismus durchbrechen will, dass Krawall faktisch belohnt wird, sollte in der Demo-Berichterstattung nicht immer neue Superlative nachbeten, sondern einfach mal den Dampf rauslassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee