Kommentar Armutsbericht: Der unbekannte Reiche
Der Skandal am Armutsbericht ist nicht, dass die FDP hilflos daran herumredigiert. Der Skandal ist, dass der Bericht nichts über Reichtum zu sagen weiß.
ber die Armen weiß man alles – und über die wirklich Reichen fast nichts. Jeder Hartz-IV-Empfänger ist amtlich minutiös erfasst, aber es gibt keine aussagekräftigen Daten, wie viel die Vermögenden in Deutschland wirklich besitzen. In den Statistiken klaffen Löcher, die so groß sind, dass Billionen von Euro verschwinden. Niemand weiß, wer dieses Geld hat.
Auch der vierte Armuts- und Reichtumsbericht hilft da nicht weiter, der am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde. Denn in diesem Bericht können ja nur die Daten auftauchen, die es gibt. Die Löcher in der Statistik sind nicht verzeichnet.
Schon die bekannten Daten sind erschreckend genug. Arm und Reich driften auseinander, auch wenn die FDP dies nicht zugeben wollte und den entsprechenden Satz streichen ließ. Diese Zensurbemühungen sind jedoch völlig sinnlos, denn die Zahlen sprechen für sich.
ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.
Tatsächlich dürfte die Vermögensverteilung sogar noch viel extremer sein, als sie sich im Bericht wiederfindet. Es gibt seriöse Schätzungen, die davon ausgehen, dass das reichste eine Prozent bereits ein Drittel des Volksvermögens besitzen könnte. Doch, wie gesagt, Genaues weiß man nicht.
In Deutschland herrscht ein Daten-Nirwana, weil es keine Vermögensteuer gibt – und damit keine Vollerhebung des individuellen Besitzes. Das ist kein Zufall. Die Reichen haben viel Lobbyarbeit investiert, um eine verlässliche Statistik zu verhindern. Sie wissen genau, dass eine Verteilungsdiskussion nicht geführt werden kann, wenn die Daten fehlen.
Der eigentliche Skandal ist also nicht, dass die FDP hilflos am Text herumredigiert hat – sondern dass sich Deutschland einen Armuts- und Reichtumsbericht leistet, der über Reichtum nichts zu sagen weiß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen