Kommentar Ägypten: Ab jetzt ein unregierbares Land
Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Ägypter noch einmal wählen gehen, ohne sich gegenseitig umzubringen. Wer auch immer übernimmt, wird kaum regieren können.
D ass Ägypten nicht von den Muslimbrüdern alleine regiert werden kann, diese Lektion haben die Ägypter gelernt. Jetzt steht die nächste an: Das Land kann auch nicht ohne die Muslimbrüder regiert werden. Es könnte eine sehr blutige Lektion werden, besonders nach dem blutigen Montag, an dem das Militär das Feuer auf Pro-Mursi-Demonstranten eröffnet hat, was immer sich am Ende als Grund dafür herausstellen wird. Die einen sehen sich als Opfer eines Militärputsches, die anderen verteidigen ihre Armee als Retter der Nation.
Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Viele derjenigen, die gegen Mursi in den letzten Tagen auf den Straßen waren, rufen nun, gerne auch via Twitter, dazu auf, die Muslimbrüder „fertigzumachen“. Es geht hier nicht um ein paar Tausend: Millionen Ägypter sollen fertiggemacht werden.
Die Muslimbrüder selbst haben nach den tödlichen Schüssen auf ihre Mitglieder ihre Märtyrer bekommen und rufen zum Aufstand auf. Das Problem ist, dass es keine neutrale staatliche Institution gibt, die die Gewaltspirale aufhalten kann. Die Armee scheidet mit der Beseitigung Mursis und auch mit den Schüssen am Montagmorgen als Vermittlungsinstanz aus.
ist Ägypten-Korrespondent der taz.
Und das Ganze findet in einem Vakuum legitimer Autorität statt. Die Übergangsperiode hin zu Präsidentschaftswahlen hat den denkbar schlechtesten Start bekommen. Mit der salafistischen El-Nour-Partei hat sich nun die letzte Vorzeigegruppe des politischen Islam aus den Verhandlungen für eine Übergangsregierung abgemeldet. Die wird nur eine der beiden Seiten des polarisierten Landes abbilden.
Gefährliche Entwicklungen
Daher ist es gar nicht mehr wichtig, wer der nächste Regierungschef wird, denn er wird ein unregierbares Land verwalten. Vor ein paar Tagen konnte man noch hoffen, dass es so früh wie möglich zu Präsidentschaftswahlen kommt, um erneut der Führung des Landes eine demokratische Legitimität zu geben. Jetzt ist es schwer, sich vorzustellen, dass die Ägypter noch mal vor den Urnen Schlange stehen, ohne sich gegenseitig umzubringen.
Der Montag wird zwei Entwicklungen einleiten, die für Ägypten gefährlich sind. Er wird endgültig eine Radikalisierung des politischen Islam auslösen. Und dazu führen, dass sich in einem unregierbaren Land die Armee noch mehr in der Politik verstrickt. Und wo bleibt die gute Nachricht? Im Moment gibt es keine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern