Kolumne Macht: Haben die zu Hause keinen Spiegel?
Gut, dass Rainer Brüderles Distanzlosigkeit öffentlich gemacht wurde. Woher nehmen diese Männer eigentlich ihr Selbstbewusstsein?
E s ist eine gute Nachricht, dass Rainer Brüderle offenbar versucht hat, sich an eine Reporterin heranzumachen. Nicht die Information als solche, die ist eklig und wenig überraschend, sondern die Tatsache, dass der Vorfall eine Nachricht wurde – also öffentlich. Wunderbar, wie jetzt Leute aus der FDP versuchen, ihrem Parteifreund Brüderle beizuspringen: Ein „Tabubruch“ sei der Bericht des Stern und eine „Sauerei“. Mit einer der beiden Einschätzungen haben sie Recht, bei der anderen haben sie etwas verwechselt.
Die Sauerei besteht nicht darin, dass eine Frau von Belästigungen erzählt, sondern darin, dass sie stattfinden. Und darin, dass es noch immer Leute gibt, die derlei Übergriffe verzeihlich finden oder normal oder egal. All das sind sie nicht. Nur alltäglich, aber das macht die Sache ja nicht besser, sondern schlimmer.
Viele Männer glauben, Frauen seien Annäherungsversuche hochwillkommen und sie empfänden diese als Kompliment. Woher nehmen diese Männer eigentlich ihr Selbstbewusstsein? Haben sie zu Hause keinen Spiegel? Warum sollte eine 29-Jährige es schmeichelhaft finden, wenn ein 67-Jähriger ihr Avancen macht – noch dazu einer, den sie nicht gut genug kennt, um sich allein aufgrund seiner inneren Werte in ihn zu verlieben? Höhö. Innere Werte. Höhö. Nein, das rätselhafte Geschlecht sind nicht die Frauen.
Recht haben allerdings alle, die es als „Tabubruch“ bezeichnen, dass die Reporterin Laura Himmelreich ihre Erlebnisse veröffentlichte. Die Kollegin hat Mut bewiesen. Wie oft muss sie sich wohl in den kommenden Jahren „humorvolle“ Anspielungen gefallen lassen? Zu wie vielen Hintergrundgesprächen wird sie nicht mehr eingeladen?
Es ist ja wahr: Was abends an der Bar passiert, darüber wird – einem ungeschriebenen Gesetz zufolge – nicht geschrieben. Wahr ist auch: Zwischen Politikern und Journalistinnen haben sich oft Liebesgeschichten entwickelt, manchmal sind daraus sogar Ehen entstanden. In selteneren Fällen auch zwischen Politikerinnen und Journalisten. Beides ist problematisch. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, wenn zwischen Medien und Politik stets die Distanz gewahrt bliebe. Aber im politischen Betrieb werden halt dieselben Regeln gebrochen wie in anderen Branchen. Büroliebe ist schwierig und kommt dennoch vor.
Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.
Liebe oder Verliebtheit hat jedoch nichts mit sexueller Belästigung zu tun. Auch mich hat ein Politiker auf dem Weg zum Taxistand an sich gezogen und zu küssen versucht. Vor 15 Jahren, Regierungssitz war seinerzeit noch Bonn. Niemals habe ich auch nur in Erwägung gezogen, das öffentlich zu machen. Das hätte ich nicht gewagt. Meine einzige Sorge war, dass – bitte, bitte – niemand uns sehen möge, der uns beide kannte. Das hätte meinen Ruf als unabhängige Journalistin ruiniert. Für ihn hätte es keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. Also habe ich geschwiegen. Und mich gefürchtet. Aber wir waren offenbar unbeobachtet geblieben. Was für ein Glück.
Heute müsste ich nicht mehr schweigen. Das ist Laura Himmelreich und einigen anderen Kolleginnen zu verdanken, die an die Öffentlichkeit gingen. Natürlich haben sie keine Beweise. Vielleicht haben sie sich alles nur ausgedacht. Aber wenn ein Mann – zum Beispiel: Rainer Brüderle – sich zu Unrecht angegriffen fühlen sollte, dann könnte er sich ja wehren. Oder findet er, eine solche Petitesse sei der Mühe nicht wert?
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