Geschichte des BFC Dynamo: Weinrote Welt ohne gelbe Karten

Vor 30 Jahren stemmte sich ein hoher Fußball­funktionär gegen das BFC-Dynamo-Stasikartell. Er bewegte viel und scheiterte doch.

Spielszene aus BFC Dynamo gegen Hallescher FC

Schiri Adolf Prokop beobachtet 1989 in der Partie zwischen dem BFC Dynamo und dem Halleschen FC, wie BFC-Spieler Frank Pastor abzieht Foto: Imago / Werner Schulze

BERLIN/ERFUT/MÜHLHAUSEN taz | Auf den Rängen des Erfurter Georgij-Dimitroff-Stadions sangen sie ihren Hass lauthals heraus. Der Torhüter des BFC Dynamo, Bodo Rudwaleit, ein schlaksiger Fänger, wurde geschmäht als „Bodo Eierkopp“. Der Gegner aus Berlin, Hätschelkind von Stasichef Erich Mielke, war für die Fans von Rot-Weiß Erfurt nur der „Schiebermeister BFC“.

Spiele gegen die Kicker im weinroten Dress waren Demonstrationen. Gegen die Bonzenkicker. Gegen die da oben. Provinz gegen Hauptstadt. Möchtegernaufrührer gegen die Berliner Stasi-Arschlöcher. 90 Minuten lang durfte man öffentlich gegen „das System“ anschreien. Danach fügte man sich wieder in den Alltag.

Der BFC hatte nicht nur gute Spieler in seinen Reihen, auch die Schiedsrichter hatten ein Herz für den Verein, der von 1979 an 10 Meisterschaften hintereinander unter wohlwollender Mithilfe der Pfeifenmänner gewinnen sollte. Der BFC war übermächtig. Das bekam das Erfurter Publikum regelmäßig zu spüren. 1984 siegte der BFC unter fragwürdigen Umständen mit 5:4 am Erfurter Steigerwald. Noch auffälliger wurde im Oktober 1985 beim 2:3 manipuliert.

Wer damals, vor 30 Jahren, im Stadion war, der vergisst die Szenen nicht: Wie die Fans nach dem Abpfiff außer sich waren, wie Schiedsrichter Reinhard Purz beim Gang in die Kabine übel beschimpft und mit Gegenständen beworfen wurde. Wie stark die Empfindung war, wieder einmal betrogen worden und in einem System gefangen zu sein, aus dem es anscheinend kein Entrinnen gab. Dann erklangen die völlig ernst gemeinten Rufe: „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht.“ Der Mob schien bereit, doch es kam nicht zum Äußersten.

Hunderte Beschwerdebriefe an die „Fuwo“

Am nächsten Tag blättern wir Rot-Weiß-Fans Das Volk durch, die lokale Zeitung der SED. Wir wollen wie immer wissen, ob unsere Realität auch die Realität der Lohnschreiber von der Parteipostille gewesen ist. Meist werden wir enttäuscht, doch diesmal war’s ein wenig anders.

Die Erfurter Zeitung Das Volk

„Mit derartigen, das Publikum geradezu provozierenden Schiedsrichterleistungen ist weder unserem Fußball geholfen, noch wird dadurch unser Meister populär.“

Die Fehlentscheidungen zugunsten des BFC waren zu krass, zu dreist die Pfiffe, um nicht genannt zu werden. Der Journalist Gerhard Weigel schreibt 1985, dass Purz „zwei spielentscheidende Fehler“ unterlaufen seien: „Er schenkt dem BFC ein irreguläres Siegestor und verweigert den Erfurtern einen klaren Elfmeter.“ Im Jahr zuvor wurde Das Volk sogar noch deutlicher.

Derselbe Autor hält fest: „Mit derartigen, das Publikum geradezu provozierenden Schiedsrichterleistungen ist weder unserem Fußball geholfen, noch wird dadurch unser Meister populär.“ Der Schiedsrichter der Partie, die Rot-Weiß so unglücklich verliert, heißt Klaus-Dieter Stenzel. In einem zusätzlichen Kommentar heißt es, dass Schiri Stenzel „keinen Wert auf die Bezeichnung Unparteiischer legte“. Sogar der damalige Trainer des BFC Dynamo, Jürgen Bogs, räumt nach der Partie ein, seine Elf habe so einen „Naturschutz“ nicht nötig. Und doch wurde er flächendeckend in der DDR-Oberliga gewährt.

Spätestens Mitte der 80er Jahre kocht deswegen die Volksseele. Die Fußballfans in Dresden, Leipzig, Magdeburg, Erfurt oder Jena sind erbost über die Bevorteilung einer Mannschaft, die ohnehin schon etliche Privilegien genießt. Es häufen sich wütende Eingaben – an den DDR-Fußballverband, DFV, an die Staatsführung. Auch das Fachblatt Fuwo erhält Hunderte Beschwerdebriefe.

Der Druck von der Basis wird größer

Ein gewisser Siegfried Spantig aus Hagenow richtet seinen Unmut 1986 in einem Beschwerdebrief an das Zentralkomitee der SED: „Die Dynamo-Mannschaft wird seit Jahren hochgepfiffen, hat deshalb schlechtes Ansehen in der Republik. Warum will man das bei den Verantwortlichen nicht sehen? Und dass so eine hochgepfiffene Mannschaft international gar nichts nutzt, das beweist diese Mannschaft seit Jahren selbst.“ Die offensichtlich verschobenen Spiele mit BFC-Beteiligung sind nicht mehr zu übersehen.

Eingabe an Das ZK der SED

„Dynamo wird seit Jahren hochgepfiffen, hat deshalb schlechtes Ansehen in der Republik.“

Der Druck von der Basis wird größer. Der Fußballverband sieht sich 1985 zum Handeln gezwungen, obgleich er in der Führung von BFC-getreuen Funktionären durchsetzt ist. DFV-Generalsekretär Karl Zimmermann ist allerdings Sachse – und tut etwas, womit kaum einer gerechnet hat.

Wohl unter Mithilfe der Fuwo erarbeitet er ein Papier mit dem sperrigen Titel „Zusammenstellung von Informationen zur Problematik von Schiedsrichterleistungen und -verhaltensweisen im Zusammenhang mit den Spielen des BFC Dynamo, der SG Dynamo Dresden und dem 1. FC Lok Leipzig in der Saison 1984/85“.

Vor 70 Jahren berieten sich auf der Potsdamer Konferenz Sowjets, Amerikaner und Briten über die Zukunft Deutschlands. Heute leben viele ihrer Enkel in Berlin. Drei von ihnen haben wir getroffen. Das Gespräch lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Juli 2015. Außerdem: Lange Beine, pralles Dekolleté? Alles von gestern. Die neuen weiblichen Schönheitsideale sind die Oberschenkellücke und die Bikini-Bridge. Über den Wahn von Selfie-Wettbewerben im Internet. Und: In Kabul haben sich Witwen einen eigenen Stadtteil gebaut. In der Gemeinschaft gewinnen sie Respekt zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Klarer Fall von Wettbewerbsverzerrung

Dieses Dokument hat es in sich, denn darin werden BFC-freundliche Schiedsrichter namentlich benannt und Sanktionen gefordert. Unter dem Verdacht, den BFC bevorteilt zu haben, stehen sechs Referees, darunter auch Purz und Stenzel sowie der Erfurter Adolf Prokop. Schiedsrichter, die Dynamo Dresden und Lok Leipzig benachteiligt haben sollten, sind Stenzel, Wolfgang Henning und Klaus Scheurell.

Zimmermann listet auf, dass die BFC-Spieler viel weniger gelbe Karten erhalten haben als Leipziger und Dresdner und dass Schlüsselspieler von Lok und Dresden vor BFC-Spielen gezielt mit Gelbsperren belegt worden sind. Der Befund: klarer Fall von Wettbewerbsverzerrung. Obendrein wird angedeutet, dass BFC-kritische Journalisten bedroht wurden und Schiedsrichter wie Stenzel Vergünstigungen vom MfS, dem Ministerium für Staatssicherheit, erhalten haben, zum Beispiel Ferienplätze.

Zimmermanns Vorpreschen ist beachtlich, auch wenn ihn letztlich die Sorge um das Ansehen des BFC umtreibt, schließlich werde, konstatiert er, der Hass auf den BFC immer größer und auch die Leistungen von Dynamo würden „gehemmt“ oder „in Misskredit gebracht“. Zuletzt fordert Zimmermann eine Sperre für Schiri Prokop (zwei internationale Spiele). Die Unparteiischen Gerhard Demme, Stenzel und Prokop sollen nicht mehr bei Spielen des BFC, von Lok oder der SG Dynamo Dresden eingesetzt werden. Zimmermanns Papier landet sogar bei Egon Krenz, der seinerzeit im Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei für den Sport zuständig war.

„Kluges tschekistisches Verhalten“

Tatsächlich sanktioniert werden die Schiedsrichter Purz (bis Ende des Jahres 1985) und der nicht im Papier genannte Günter Supp (für drei Spieltage), zusätzlich die Schiedsrichter des FDGB-Pokalfinales von 1985. Insgesamt werden den Referees in dieser Partie von einer speziell eingesetzten Kommission (in der Zimmermann allerdings nicht sitzt) 17 grobe Fehler nachgewiesen, 14 zugunsten des BFC.

Als Konsequenz wird Schiri Manfred Roßner zunächst für die kommende Oberligasaison gesperrt. Sein Linienrichter Klaus Scheurell wird für den nächsten Europacup-Einsatz an der Linie nicht berücksichtigt. Schon im FDGB-Pokalfinale des Vorjahrs war es bei gleicher Spielpaarung zu Spielverzerrungen gekommen, in deren Folge Schiri Henning gesperrt worden war.

Karl Zimmermann geht nun sogar noch weiter. So spricht er sich gegen Heinz Einbeck als Chef der Schiedsrichterkommission aus, weil Einbeck zugleich Fördermitglied des BFC ist. Die Stasi als Mentor des BFC Dynamo hat es aber längst geschafft, etliche Schiedsrichter in ihr System einzubinden, zum Beispiel Adolf Prokop, der 1961 als Unteroffizier bei der Stasi anfängt und 1989, hoch dekoriert, mit 1.100 Mark besoldet und im Rang eines Oberstleutnants spezielle Aufgaben erledigt, nämlich die eines Offiziers im besonderen Einsatz, OibE. Gerühmt wird von der Stasi sein „kluges tschekistisches Verhalten“.

Nähe zum MfS gesucht

Prokop überwacht vor allem „Reisekader“. Kurz vor der Wende plant die Stasi, Prokop, der für einen DDR-Bürger gut Englisch spricht, in ein Gremium der Uefa oder der Fifa zu schleusen. Heute verwahrt sich der Thüringer dagegen, Spiele manipuliert zu haben. „Der Vorwurf ist schon etwas makaber, dass ich Spiele verschaukelt haben soll“, sagt er der taz. Kein DDR-Schiedsrichter sei „subjektiv eingestellt in ein Spiel gegangen, nur um es zu verschieben“, behauptet er. „Mannschaften, die vorne stehen, werden halt skeptisch betrachtet.“ Er hätte auch nie Drohbriefe von aufgebrachten Fans bekommen, „niemand hat mir aufgelauert“.

Prokop sagt, er werde immer noch gern zu Nostalgiespielen der DDR-Nationalmannschaft eingeladen. Der 76-Jährige ist offensichtlich mit sich im Reinen, wie wohl auch andere DDR-Schiris mit Stasikontakten. Bernd Stumpf zum Beispiel, der 1986 ein legendäres Spiel zwischen Lok Leipzig und dem BFC verpfiff. Oder Schiedsrichter Günter Supp aus Meiningen, der dem MfS als GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit) „Günter“ diente. Oder der Rostocker Wolfgang Henning, der IM „Wolfgang Fuchs“ war.

Wer nicht direkt für die Stasi arbeitete, suchte oftmals indirekt die Nähe zum MfS, weil dort entschieden wurde, wer Spiele im Westen pfeifen darf. Da überlegte man es sich als Referee zweimal, ob man einem BFC-Spieler für ein grobes Foul die Rote Karte zeigte.

Karl Zimmermanns Versuch, den DDR-Fußball zu modernisieren und die Schiedsrichter zu echter Neutralität zu verpflichten, scheiterte. Er kam nicht an gegen das BFC-Stasikartell. Der Generalsekretär des Fußballverbands sprach 1986 anlässlich der Wiederwahl von Egon Krenz ins ZK über seine Probleme im Verband: „In meiner jetzigen Funktion gehören Beleidigungen, Verleumdungen und Bedrohungen (auch gegenüber meiner Familie) zur Tagesordnung. In meinem unmittelbaren Umfeld gehört es ebenfalls zur Praxis, dass viele durch mich getroffene Entscheidungen als Entscheidung gegen den BFC interpretiert und ausgelegt werden.“

Ein Jahr später starb Karl Zimmermann, 55-jährig. Der Meister in Zimmermanns Todesjahr hieß: BFC Dynamo.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.