GDL-Chef über Arbeitskampf: „Dieser Streik ist nur der Einstieg“
Die Bahn habe in ihrem Angebot Verhandlungsergebnisse unterschlagen, sagt Claus Weselsky. Beim Tarifeinheitsgesetz hofft er auf das Verfassungsgericht.
taz: Herr Weselsky, über die Gespräche zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) in der letzten Woche gibt es sehr unterschiedliche Darstellungen. Worüber haben Sie denn Ihrer Meinung nach verhandelt?
Claus Weselsky: Alle Faktoren, die diesen Tarifstreit betreffen: Arbeitszeiten, wie man die Entgelttabellen verbessern kann, die Beschäftigtengruppen.
Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber sagt aber, über Geld und Arbeitszeit sei noch gar nicht verhandelt worden.
Was Herr Weber der Öffentlichkeit für ein Bild malt, ist nicht meine Sache. Ich spreche von den Verhandlungen, wie sie gelaufen sind.
Vor den Gesprächen wirkte die Stimmung doch gut. Wie kam es zu der Eskalation?
Wir sind in die Verhandlung eingetreten mit dem Wissen, dass wir ein Zwischenergebnis zu erzielen haben, weil die GDL die Verhandlungen sonst nicht fortführt. Das war Herrn Weber bekannt. Und es sah auch eine Zeit lang so aus, als ob wir das schaffen könnten. Wir wären in mehreren Punkten Kompromisse eingegangen. Die muss man dann aber auch fixieren. Und das hat die Bahn nicht getan.
Geben Sie uns ein Beispiel für einen solchen Kompromiss?
Wir hätten uns darauf eingelassen, für Zugbegleiter das alte Entgeltsystem weiter gelten zu lassen – unter der Voraussetzung, dass die feste Einkommenssteigerung während der Berufsjahre verbessert wird. Im Moment ist festgelegt, dass die Einkommen über 25 um 180 Euro steigen. Wenn wir uns einigen, das zu verbessern, ohne die konkrete Höhe festzulegen, ist das ein Zwischenschritt. Den muss man festhalten. Und ganz zum Schluss der Verhandlungen, wenn auch die Bahn alle Kosten überblicken kann, redet man über die Höhe dieser Verbesserung. So kommt man zum Abschluss einer komplizierten Tarifverhandlung.
56, ist in Dresden geboren und aufgewachsen. Er ist gelernter Lokführer, CDU-Mitglied und seit 2008 GDL-Vorsitzender.
Die Bahn hat Ihnen aber doch ein Angebot vorgelegt.
Ich finde es bemerkenswert, wie die Bahn mit gut gemachten Vorträgen der Öffentlichkeit ein Bild vorgaukelt. Es gibt ein Angebot, aber die GDL hat es nicht angenommen. Der Inhalt ist nicht geeignet, einen Zwischenstand zu dokumentieren, von dem aus man weiterverhandeln könnte.
Und da kommen Sie gleich mit dem Streikhammer?
Alle Welt sagt: Herr Weber hat doch unterschrieben, wo ist das Problem? Beim nächsten Mal mache ich es einfach genauso, werfe Herrn Weber ein unterschriebenes Angebot auf den Tisch und sage: Herr Weber, wir haben ein Zwischenergebnis. Das ist doch ein Witz.
Ihnen läuft aber die Zeit weg. Voraussichtlich noch vor der Sommerpause wird das Tarifeinheitsgesetz in Kraft treten. Dann wird die Bahn nicht mehr mit Ihnen verhandeln müssen.
Ich bin da optimistisch. Wir erleben eine große gesellschaftspolitische Debatte über dieses Gesetz. Dass es kommt, ist klar, aber ob es bleiben wird, ist nicht klar. Wir werden noch im Mai vor dem Bundesverfassungsgericht Klage erheben.
Und bis dahin?
Ich weiß nicht, ob der Bahn bewusst ist, dass es bis zur Einführung des Tarifeinheitsgesetzes noch dauert. Dieser Streik ist nur der Einstieg auf niedrigem Niveau. Unsere Mitglieder sind bei uns: Der Druck aus der Gewerkschaft steigt, noch mehr zu unternehmen. Unsere Mitglieder wollen sich nicht länger veralbern lassen.
Warum versuchen Sie es in einer so verfahrenen Lage nicht mit einem Schlichter?
Wir lassen nicht schlichten über grundgesetzlich geschützte Rechte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin