Europa schottet sich ab: Zweifelhafte Erfolge von Frontex
Die Grenzschutzagentur vermeldet eine sinkende Zahl von illegalen Grenzübertritten. Ein Grund ist, dass wieder mehr Migranten auf der Flucht ertrinken.
ISTANBUL taz | Erstmals seit die europäische Grenzschutzagentur Frontex vor knapp zehn Jahren gegründet wurde, meldet die integrierte Polizeieinheit einen Erfolg. Ilkka Laitinen, finnischer Brigadegeneral und Frontex-Chef, gab jetzt bekannt, dass erstmals seit Frontex seine Arbeit aufgenommen hat, die Zahl der Flüchtlinge, die illegal die Grenzen zur EU übersqueren konnten, gesunken ist.
Im Jahr 2012 sind nach den Zahlen von Frontex nur noch 73.000 illegale Grenzübertritte verzeichnet worden. Das waren nur noch halb so viele wie 2011, aber auch ein Drittel weniger als 2010.
Das Jahr 2011 war laut Laitinen eine Ausnahme, weil wegen der weggefallenen Grenzkontrollen in Ländern wie Tunesien und Libyen während des „arabischen Frühlings“ sich ungleich mehr Menschen auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gemacht hatten, als es „normalerweise“ der Fall gewesen wäre. Seit das Grenzregime auf der südlichen Seite des Mittelmeeres unter tätiger Hilfe von Frontex wieder reetabliert werden konnte, hatten eben auch sehr viel weniger Menschen die Möglichkeit, sich überhaupt auf den Weg nach Europa zu machen.
Für den zweifelhaften Erfolg von Frontex dürfte aber vor allem gesorgt haben, dass sich das Mittelmeer zwischen Tunesien, Libyen und Italien in den Jahren 2011 und 2012 in ein Meer des Todes verwandelte. Fast wöchenlich gab es Meldungen von gekenterten Flüchtlingsbooten und ertrunkenen Menschen, die teilweise noch in Sichtweite der italienischen Insel Lampedusa ihr Leben ließen.
Keine Eile bei Rettung von Flüchtlingen
Denn Frontex hatte die Flüchtlinge zwar häufig auf ihren vielfältigen Überwachungsinstrumenten registriert, für die Rettung in Seenot geratener Migranten fühlt die Abwehragentur sich aber nicht zuständig. Das sollten dann die Marine von Italien oder Malta tun, die sich aber nicht gerade beeilten, Flüchtlinge zu retten. Abschreckung per unterlassener Hilfeleistung, über die in Europa lieber kaum jemand redet.
Als weiteren Erfolg ihrer Arbeit hält Frontex sich zugute, dass es gelang, die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland dicht zu machen. Dabei handelt sich vor allem um einen knapp 15 Kilometer langen Grenzstreifen in der Nähe der türkischen Grenzstadt Edirne, über den laut Frontex fast 80 Prozent aller „illegalen Grenzübertritte“ in die EU stattgefunden haben sollen.
Dieser Streifen ist das einzige Grenzstück zwischen der Türkei und Griechenland, der trockenen Fusses zu überqueren ist – die gesamte übrige Grenze wird durch den Grenzfluss Meric-Evros gebildet. Diese Landgrenze hat Griechenland nun unter Anleitung von Frontex mit einem Schutzwall aus Zäunen und anderen Absperrungen versehen. Dieser Schutzwall hat bis jetzt schon dazu geführt, dass mehr Flüchtlinge wieder den gefährlicheren Weg über den Fluss oder übers Meer von der türkischen Küste zu einer griechischen Ägäis-Insel gewählt haben. Das vorhersehbare Ergebnis: mehr Tote beim versuchten Grenzübertritt, weil der Weg erheblich gefährlicher ist.
Grenzübertritt immer gefährlicher
Das Ziel von Frontex wird durch die bisherige Praxis deutlich: Die Abschottung so zu perfektionieren, dass ein Grenzübertritt immer gefährlicher wird. Je mehr Flüchtlinge dabei sterben, umso besser die Abschreckung. Trotzdem weiß man aus Erfahrung, dass es immer noch genügend verzweifelte Flüchtlinge gibt, die auch große Gefahren nicht abschrecken.
Der Hauptgrund für die zurückgegangenen Zahlen sind deshalb nicht Frontex und seine Maßnahmen, sondern die schlechten Nachrichten aus der EU im Allgemeinen und aus Griechenland im Besonderen. Die Situation für Flüchtlinge ist in Griechenland derzeit derart aussichtslos, dass viele Afghanen, Iraker, aber auch Afrikaner die früher über die Türkei nach Griechenland gegangen sind, jetzt lieber in Istanbul bleiben. Dort ist es einfacher einen Job zu bekommen.
Außerdem hat das türkische Parlament kürzlich ein neues Asylgesetz beschlossen, das es verbietet, mit Folter oder anderen Misshandlungen bedrohte Personen in ihre Heimatländer zurückzuschicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Einigung über die Zukunft von VW
Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen