Debatte Rot-rot-grüne Koalition: Aus der Traum
Rot-Rot-Grün, die Mehrheit links der Mitte: eine große Utopie. Die Zeit dafür scheint abgelaufen, obwohl sie noch gar nicht angebrochen ist.
E s ist eine Diskussion, die völlig aus der Zeit gefallen wirkt. Über das „Gespenst einer politischen Mehrheit jenseits der Union“ wollen sich an diesem Montag der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner, die Grünen-Vorsitzende Simone Peter und Thüringens Linkspartei-Ministerpräsident Bodo Ramelow auf Einladung des DGB in Köln unterhalten. Ob sie sich irgendetwas zu sagen haben werden? Schließlich scheinen alle rot-rot-grünen Blütenträume vorerst ausgeträumt. Selbst die momentan noch vorhandene arithmetische Mehrheit der drei Parteien dürfte nach der kommenden Bundestagswahl passé sein.
Die vergangenen Landtagswahlen markieren einen gesellschaftlichen Rechtsruck, dessen drastischster Ausdruck die Wahlerfolge der rechtspopulistischen AfD sind. Auch der Wiederaufschwung der nach wie vor marktfundamentalistisch ausgerichteten FDP ist Teil einer tektonischen Verschiebung. Vor den Wahlen gab es rot-grüne Mehrheiten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt wäre Rot-Rot-Grün möglich gewesen. Jetzt nicht mehr.
Glaubt man den jüngsten Umfragen, kämen SPD, Grüne und Linkspartei derzeit zusammen bundesweit noch gerade mal auf zwischen 41 und 43,5 Prozent – schlechter sah es für sie zuletzt bei der Bundestagswahl 1990 aus. Unter der Überschrift „Das Leben ist bunter“ hat ein kleiner Funktionärskreis von SPD, Grünen und Linkspartei in der vergangenen Woche ein Plädoyer veröffentlicht, Rot-Rot-Grün trotzdem nicht aufzugeben. Es erscheine ihnen „zu früh“, von dieser „strategischen und politischen Option jetzt abzurücken“, schreiben die AutorInnen, darunter auch 13 Bundestagsabgeordnete. „Uns verbindet nach wie vor viel“, glauben sie. „Die Verteilungsfrage ist dabei der Kern.“
Auch das Forum Demokratische Linke 21, in dem sich SPD-Linke organisiert haben, hat sich auf seiner Frühjahrstagung am vergangenen Wochenende trotzig zu Rot-Rot-Grün bekannt. In Richtung ihrer eigenen Partei forderten die GenossInnen, die SPD müsse „sich wieder eindeutig für eine andere Gesellschaft jenseits der neoliberalen Marktwirtschaft einsetzen“. Solche Positionen erscheinen indes gänzlich minoritär. Weder in der SPD noch in den Grünen sind Konzepte der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten mehrheitsfähig.
Gefängnis Große Koalition
Dabei wäre genau das angesagt. „In kaum einem Industrieland der Welt sind vor allem Chancen, aber auch zunehmend Vermögen und Einkommen ungleicher verteilt als in Deutschland“, schreibt Marcel Fratzscher in seinem im vergangenen Monat erschienenen Buch „Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird“. Die Bundesrepublik habe sich in eines „der ungleichsten Länder der industrialisierten Welt“ verwandelt und produziere statt „Wohlstand für alle nur noch Wohlstand für wenige“, konstatiert der linker Ideologie gänzlich unverdächtige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das ist das Ergebnis nicht zuletzt sozialdemokratischer Regierungspolitik in den vergangenen achtzehn Jahren. Allerdings haben auch die Grünen als SPD-Juniorpartner zwischen 1998 und 2005 ihren Anteil daran. Ein glaubwürdiger Kurswechsel ist jedoch nicht in Sicht.
„Weil eine solidarische Antwort auf die soziale Frage hierzulande seit Jahrzehnten nicht gegeben wurde, glaubt ein stark gewachsener Teil der Wähler, sie könnten vielleicht von einer nationalistisch-ethnisierenden Variante einer Antwort darauf profitieren“, schreibt Tom Strohschneider im Neuen Deutschland über den „Verlust an Glaubwürdigkeit des rot-rot-grünen Lagers“. Aber kann überhaupt noch von einem „rot-rot-grünen Lager“ gesprochen werden?
Der SPD, die in den Umfragen inzwischen bei 20 Prozent rumdümpelt, fehlt es an Personal, das bereit ist, aus der Lethargie der Großen Koalition auszubrechen, und das die Vision eines progressiven gesellschaftlichen Aufbruchs verkörpern könnte wie einst Willy Brandt. Ihr fehlt ein Justin Trudeau, Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders, der die Menschen begeistern kann. Die Grünen orientieren auf das moderne wohlhabende Bürgertum, jenes postmaterialistische Milieu der sogenannten Lohas (“Lifestyle Of Health And Sustainability“), die „ökologisch“ und „nachhaltig“ konsumieren, weil sie es sich leisten können – und nur dann Verständnis für diejenigen übrig haben, denen dies nicht möglich ist, wenn es sie nichts kostet. Weswegen ihnen auch eine Koalition mit der Union, die Versöhnung des Neu- mit dem Altbürgertum, näher liegt als Rot-Rot-Grün.
Fehlender intellektueller Esprit
Und die Linkspartei? Die befindet sich in einer schwierigen Selbstfindungsphase. Im Westen ist sie nur noch in den Landtagen von eineinhalb Flächenländern vertreten (Hessen und Saarland). Im Osten haben sich ihre Hoffnungen, das Modell Thüringen könnte Schule machen, nach dem Debakel von Sachsen-Anhalt in Luft aufgelöst. Auf die Herausforderung des Rechtspopulismus hat die Partei bisher keine kollektive Antwort gefunden. Generell sind ihre inhaltlichen Debatten von einer frappierenden Ideenlosigkeit geprägt. Das gilt sowohl für die sich in bloßem Pragmatismus verlierenden sogenannten Reformer als auch für den traditionslinken Flügel, dessen Parolen bisweilen an die Stamokap-Schulungshefte der Jusos in den 1970er Jahren erinnern. Es fehlt an intellektuellem Esprit und der Idee von einer modernen ausstrahlungskräftigen linkssozialistischen Partei.
„Ein umfassender Politikwechsel ist notwendig“, heißt es in der Einladung des Kölner DGB zu der Veranstaltung mit Stegner, Peters und Ramelow. So bedauerlich es ist: Die Zeit von Rot-Rot-Grün scheint abgelaufen zu sein, bevor sie überhaupt angebrochen ist. Auf absehbare Zeit besteht für ein solches Bündnis weder eine gesellschaftliche noch eine politische Mehrheit. Das gilt auch in der rheinischen Provinz: Statt auf Rot-Rot-Grün haben sich in Köln die Grünen Mitte März mit der CDU auf eine Kooperation geeinigt. Das „Gespenst einer politischen Mehrheit jenseits der Union“ ist also selbst hier ein Phantom. Der Veranstaltungsort hätte nicht passender gewählt werden können.
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