BuzzFeed-Chefin über Teilen: „Klar ist das trivial“
Juliane Leopold sieht ihr Portal als das feministischste Mainstream-Medium an, lobt emotionale Artikel und fühlt sich extrem unter die Lupe genommen.
taz: Frau Leopold, am 11. Juli 2014 haben Sie getwittert, dass Sie BuzzFeed Deutschland aufbauen werden. Ihre Bilanz?
Juliane Leopold: Es war ein tolles Jahr, in dem ich wahnsinnig viel gelernt habe. Für BuzzFeed war es auch ein gutes Jahr. Unser Ziel war es, eine Redaktion aufzubauen, mit dem richtigen Standort, den richtigen Leuten. Wir haben zu dritt angefangen, jetzt sind wir zu siebt, am Ende des Jahres wollen wir zwölf sein. Wir haben viel geschafft, aber es liegt auch noch viel vor uns.
Es gibt viel Kritik an BuzzFeed. Zum Beispiel: Das sei gar kein Journalismus, sondern pure Unterhaltung.
Ich glaube, Unterhaltung und Journalismus schließen einander nicht aus. Als BuzzFeed 2006 in den USA startete, hatte es nicht den Anspruch, Nachrichtenjournalismus zu machen. Erst mal ging es darum zu verstehen, welche Inhalte und Formate Leute gerne im Internet teilen. Das waren eben in erster Linie unterhaltende Inhalte. 2012 kamen BuzzNews als starkes Nachrichtenressort und BuzzLife für Verbraucherthemen zu BuzzFeed dazu. Beide sind zu eigenen starken Marken bei BuzzFeed geworden. Das sehen wir in den USA und in Großbritannien, wo BuzzNews große Aufmerksamkeit mit seiner Wahlberichterstattung erregte. In Deutschland versuchen wir nun, diesen Weg auch zu gehen: Wir konzentrieren uns derzeit auf Unterhaltung, bieten aber auch nachrichtlichere Artikel an.
BuzzFeed steht für Katzenbilder und Listen, die sogenannten „Listicles“. Worauf achten Sie bei der Entwicklung neuer Themenideen?
Uns geht es darum, Inhalte zu erschaffen, die Leute gerne miteinander teilen. BuzzFeed ist sehr bildgetrieben, Bleiwüsten sind bei uns selten. Außerdem ist ein „Listicle“ mehr als das bloße Aneinanderreihen beliebiger Inhalte. Wir denken mit, welche Bilder zu unseren Geschichten passen. Klar ist das trivial, klar ist das Unterhaltung. Aber auch die sollte gut gemacht sein. Außerdem wichtig: Unsere Inhalte müssen mobil gut funktionieren, Videos auch ohne Ton und mit schlechter Bandbreite, für die Leute unterwegs. Drei von vier unserer Nutzerinnen und Nutzer kommen über soziale Netze, zwei von drei lesen uns auf dem Smartphone.
BuzzFeed USA und Großbritannien haben den Nachrichtenjournalismus stark ausgebaut – inklusive Investigativteams mit namhaften Politjournalisten, die lange Recherchen anstoßen, große Reportagen schreiben. Ist das für BuzzFeed Deutschland auch geplant?
In der Zukunft schon. Der Weg aller internationalen Editionen ist es, dem der US-Marke zu folgen. Das heißt aber auch: Erst mal die Marke aufbauen, dann die Inhalte erweitern. Es geht darum, das Publikum in unserem lokalen Markt Deutschland kennenzulernen. Wir müssen lernen, was hier funktioniert und experimentieren, um die richtige Mischung zu finden.
Die Webseite: Mit 200 Millionen Besuchern im Monat eine der beliebtesten der USA; weltweit mehr als 1.000 Mitarbeiter.
Die Chefin: geb. 1983, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Berlin, danach u. a. NZZ, Zeit Online.
Zum Start von BuzzFeed Deutschland gab es auch politische Reportagen, aus Brandenburg, über Pegida und Hogesa. Jetzt gibt es die eher selten.
Wir haben von Anfang an eine breite Mischung von Themen angeboten. Unser Eindruck ist, dass die Leute, die momentan BuzzFeed Deutschland lesen, zu uns kommen, um sich ablenken und unterhalten zu lassen. Und wir finden das legitim. Gleichzeitig packen wir immer wieder auch ernsthaftere Themen an, die wir dann auf unsere Art versuchen, frisch aufzubereiten, wie unlängst mit einem FAQ zu Griechenland oder Artikeln über Alltagsrassismus.
Wie eng arbeiten Sie mit dem US-Mutterhaus zusammen?
Administrativ sind wir komplett angebunden, obwohl in London gerade parallele Strukturen aufgebaut werden. Redaktionell sind wir aber komplett unabhängig. Manchmal haben wir gemeinsame Ideen für Recherchen, zu denen auch die anderen Häuser etwas beisteuern. BuzzFeed hat inzwischen über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So können wir auf viele Ressourcen zugreifen.
Wenn man sich die Social Media Charts anschaut, also guckt, welche Geschichten in den sozialen Medien am meisten geteilt werden, liegt Ihre direkte Konkurrenz, wie heftig.com und bild.de, oft weit vor BuzzFeed. Was machen die besser?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich schon völlig zufrieden mit unserer Leistung bin. Aber man muss sich auch die Relationen angucken: Wir sind momentan zu siebt, fünf Autoren arbeiten täglich an unserer Seite. Das ist sehr wenig im Vergleich zu bild.de und heftig.com. Uns interessiert auch eher, ob einzelne Geschichten gut laufen, anstatt auf welchem Platz wir in Rankings stehen.
Nach dem BuzzFeed-Start hat bild.de ebenfalls Buttons eingeführt, mit denen die Leser Artikel bewerten können: Lachen, Weinen, Staunen. Bestätigt oder beunruhigt Sie das?
Ich glaube, dass es schon noch Unterschiede zwischen unseren Mitbewerbern und uns gibt, sowohl bei den Inhalten als auch bei der Leserschaft. Egal, ob einige Elemente der jeweiligen Webangebote sich ähneln. Aber natürlich erhöht es den Druck auf uns, wenn Mitbewerber mit mehr Ressourcen im lokalen Markt unsere Erfolgsrezepte auch anwenden.
Sie schreiben für Kleinerdrei, das Blog für Politik und Popkultur. Dort beschäftigen Sie sich viel mit Feminismus. Inwiefern spielt das auch für BuzzFeed eine Rolle?
Ich lege meine Persönlichkeit ja nicht ab, wenn ich hier ins Büro komme. Ich habe mich in allen Häusern, in denen ich gearbeitet habe, für das Thema Gleichberechtigung eingesetzt, und das geht hier weiter. Aber BuzzFeed ist etwas jünger, die meisten haben schon mal was von Gender Studies gehört, von LGBT-Themen und Antirassismus. Wir müssen nicht rechtfertigen, warum wir solche Themen behandeln.
Aber als dezidiert feministisches Blog ist BuzzFeed bislang noch nicht aufgefallen.
Ich glaube, BuzzFeed ist das feministischste Mainstream-Medium, das wir derzeit haben, global gesehen. Auch in Deutschland versuchen wir, dieses Thema zu setzen. Wir hatten zum Beispiel einen Beitrag über Sätze, die schwarze Frauen nicht mehr hören können. Das hat sehr gut funktioniert – bei den Betroffenen und bei denen, die sich noch nie damit auseinandergesetzt haben.
BuzzFeed verdient sein Geld mit Native Advertising, also Werbung, die aussieht wie journalistischer Inhalt. Ist das nicht Betrug am Leser?
Werbebeiträge sind mit gelben Bannern gekennzeichnet, als Autor des Beitrags ist der Werbekunde angegeben. Insofern finde ich das okay. Da habe ich mit Verlagsbeilagen in Zeitungen, die in der gleichen Schrift erscheinen wie der Rest der Zeitung, zum Teil mit den gleichen Autoren, größere Probleme.
Unabhängig von den gesponserten und als solche ausgewiesenen Beiträgen, gibt es immer wieder auch Artikel, die mit Werbecharakter daherkommen. Aktuell bei BuzzFeed Deutschland zum Beispiel eine Liste mit den besten Urlaubsapps, eine andere mit den besten Reisewebseiten.
Diese Posts sind keine Werbung, sondern sind in unserer Redaktion entstanden. Wir versuchen, unseren Leserinnen und Lesern gute Informationen zu einem Thema zu liefern und sie möglichst ansprechend rüberzubringen. Diese Herangehensweise an Verbraucherthemen ist weniger nüchtern als anderswo, enthusiastischer und damit vielleicht auch angreifbarer. Aber für uns ist entscheidend, dass wir mit Artikeln Emotionen ansprechen und Leuten das Gefühl geben, wir holen sie da ab, wo sie sind.
Aber Verbraucherjournalismus wertet aus, testet und macht transparent, was für oder gegen die empfohlen Produkte spricht. Das gibt es in diesen Beiträgen nicht.
Wir geben schon eine Einschätzung ab, was wir an diesen Tools gut finden oder wo es Probleme in der Benutzung gibt. Aber es stimmt, wir könnten mehr erklären. Das ist ja das Schöne an unserer Arbeit: Wir lernen durch Feedback und dann machen wir es beim nächsten Mal eben besser.
Wer wirbt denn gerade bei Ihnen auf der Seite?
Das weiß ich nicht, das liegt komplett in der Hand des Londoner Anzeigenteams und unserem Verlag. Darauf habe ich keinen Einfluss. Meine Aufgabe ist allein die Redaktion.
Seit Sie Chefin von BuzzFeed Deutschland sind, sind Sie sehr viel weniger präsent in den sozialen Netzwerken. Fordert das paradoxerweise der neue Job?
Ich liege unter einem extremen Vergrößerungsglas. Ich bin übers Twittern und Bloggen zu meinem Job gekommen und ich liebe ihn. Aber ich merke auch, dass ich mich in mancher Hinsicht verändern muss, um in dieser Branche zu bestehen. Im Gegensatz zu früher denke ich viel mehr darüber nach, was ich veröffentliche, und ob überhaupt. Die Unbeschwertheit ist weg und das ist manchmal hart.
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